irgendetwas mit dem Gewicht eines Elefantenbabys auf
seiner Brust zu liegen, was ihm das Atmen schwer machte. Mit einer zweiten, noch größeren Anstrengung schaffte er es wenigstens, die Augen zu öffnen. Helles Sonnenlicht drang in die Hütte und er spürte ganz instinktiv, dass es sehr spät war. Das Brummen, das er gehört hatte,
stammte ebenso wie das vermeintliche Zentnergewicht von einem schwarzen, haarigen Ball, der sich auf seiner Brust zusammengerollt hatte und wohlig im Schlaf schnurrte, wobei er immer wieder rhythmisch die
Krallen ausstreckte und einzog. Astaroth? dachte Mike.
Normalerweise hätte ein einziger Gedanke ausgereicht, den Kater auf der Stelle zu wecken. Heute jedoch reagierte er nicht; nicht einmal, als Mike ein zweites und drittes Mal in Gedanken nach ihm rief. Erst als er sich mit einem Ruck ganz aufsetzte, wodurch Astaroth reichlich unsanft von seiner Brust h munterbefördert wurde, öffnete der Kater erschrocken sein einziges Auge und blinzelte ihn an.
Was ist los mit dir, Schlafmütze? dachte Mike. Sprichst du jetzt gar nicht mehr mit mir?
Astaroth reagierte auch jetzt nicht. Er schüttelte benommen den Kopf und gähnte dann noch einmal so herzhaft, dass Mike sein ganzes scharfes Gebiss sehen konnte. »Findest du das lustig?«, fragte er laut. Astaroth legte den Kopf auf die Seite, sah ihn fragend an und miaute. Die Antwort in seinem Kopf, auf die Mike wartete, kam nicht. Allmählich wurde Mike ärgerlich. Also gut, dachte er. Wenn du Spielchen spielen willst, dann aber ohne mich.
Astaroth starrte ihn noch immer scheinbar vollkommen verständnislos an, aber Mike hatte keine Lust auf diese Mätzchen. Außerdem hatte er wahrlich Wichtigeres zu tun. Er hatte verschlafen und war allein in der Hütte aufgewacht - wie er annahm, hatte ihn Trautman absichtlich nicht wecken lassen, vielleicht weil er glaubte, dass Mike nach seinem Abenteuer in der vergangenen Nacht ein Anrecht auf ein wenig Ruhe hatte. Auch das wäre Mike unter normalen Umständen höchst gelegen gekommen. Aber heute ärgerte es ihn. Die Auseinandersetzung zwischen Argos und Trautman war noch lange nicht vorbei. Und er wollte dabei sein, wenn sie sich entschied. Schon weil er das sichere Gefühl hatte, dass Trautman jede Hilfe brauchen konnte. Wo sind die anderen? fragte er. Unten am Strand? Astaroth miaute fast kläglich. Mike blickte ihn mit fins
terem Gesicht an, seufzte und sagte: »Also gut, wenn du darauf bestehst: Wo sind die anderen?« Astaroth miaute auch jetzt wieder nur, aber er gebärdete sich plötzlich wie toll: Er sprang auf der Stelle, machte einen Buckel und fauchte ein paarmal. Und nichts von alledem war normal. Aus Mikes Verärgerung wurde allmählich Misstrauen, dann ein deutliches Gefühl von Sorge. Irgendetwas stimmte mit Astaroth nicht. Langsam ließ er sich in die Hocke sinken, streckte die Hand aus und strich Astaroth über den Kopf; eine Behandlung, die sich der Kater normalerweise niemals hätte gefallen lassen, denn er betrachtete sie als kilometertief unter seiner Würde. Jetzt aber schnurrte er, sprang mit einem Satz näher an ihn heran und strich mit erhobenem Schwanz um seine Beine. Ganz wie eine normale Katze eben, die einen Menschen begrüßt. Nur dass Astaroth alles andere als eine normale Katze war. Astaroth war überhaupt keine Katze. Er war ein Wesen, das aussah wie ein Kater, aber über eine Intelligenz verfügte, die mit der eines Menschen durchaus mithalten konnte, und das es hasste, wie ein Tier behandelt zu werden. Jeder an Bord der NAUTILUS hatte sich einige Kratzer und Bisse eingehandelt, ehe er das begriffen hatte. »Was ist los mit dir, Astaroth?«, fragte Mike. »Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir! Kannst du nicht antworten?« Astaroth miaute und jetzt war Mike sicher, dass es sich kläglich anhörte. »Du kannst nicht antworten«, murmelte er. »Verdammt, was ist passiert?« Und mit einem Mal hatte er Angst. Astaroth war viel mehr als bloß ein normales Besatzungsmitglied der NAUTILUS. Neben Serena war der Meerkater vielleicht der beste Freund, den Mike an Bord des Schiffes hatte, ja vielleicht sogar der beste Freund, den er jemals gehabt hatte. Von einer Sekunde auf die andere war alles vergessen. Trautman. Argos. Der Streit, den die beiden hatten, das unheimliche Wesen von vergangener Nacht - in Mikes Denken war plötzlich nur noch Platz für die Sorge um Astaroth. »Schnell!«, sagte er. »Wir müssen Serena suchen! Vielleicht weiß sie, was mit dir los ist!« Astaroth miaute erneut auf diese klägliche Weise und Mike zögerte nicht mehr länger, sondern ergriff den Kater kurz entschlossen mit beiden Händen, nahm ihn auf die Arme und lief mit weit ausgreifenden Schritten
aus der Hütte. Die Sonne stand bereits ein gutes Stück am Himmel. Es musste noch später sein, als Mike angenommen hatte. Außer ihm selbst schien jedermann hier am Ort schon auf den Beinen zu sein. Mike war der Sprache der Ein
geborenen nicht mächtig, so dass er die durcheinander hallenden Stimmen und Schreie nicht verstand, doch das musste man auch nicht sein, um zu erkennen, dass sich die Männer und Frauen in heller Aufregung befanden. Als sie ihn mit Astaroth auf den Armen aus der Hütte kommen sahen, stürmten gleich drei von ihnen auf ihn los und begannen auf ihn einzureden. Er verstand nichts von dem, was sie sagten, wohl aber ihre aufgeregten Gesten.
Sie deuteten zum Strand. Mike fuhr auf dem Absatz
herum und stürmte los, so schnell er konnte. Obwohl
ihn das Gewicht des Katers auf den Armen eigentlich
hätte behindern müssen, war er weitaus schneller als
die Eingeborenen. Astaroth begann zu murren und sich
unruhig zu bewegen; offenbar gefiel ihm diese Art des
Transports nicht besonders. Aber darauf achtete Mike
nicht. Er hielt den Kater mit eiserner Hand fest und be
schleunigte seine Schritte noch.
Trotzdem brauchte er sicherlich zwanzig Minuten, um den schmalen Streifen weißen Sandstrandes zu erreichen, vor dem die NAUTILUS lag. Und er konnte schon von weitem hören, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten schienen. Er konnte Trautmans Stimme und auch die der anderen vernehmen - und ein Geräusch, das ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: das dumpfe, vertraute Dröhnen der mächtigen Motoren, die die NAUTILUS antrieben! Mike rannte aus dem Wald heraus -und blieb so abrupt stehen, dass Astaroth fast von seinen Armen geglitten wäre und protestierend fauchte. Mit einem Gefühl, das er nur noch als blankes Entsetzen bezeichnen konnte, schaute Mike die NAUTILUS an. Sie war noch ein kleines Stück weiter aus dem Wasser emporgestiegen und hatte gedreht, so dass der Bug mit dem langen, gezackten Randsporn nun aufs offene Meer hinaus wies und das an einen Walschwanz erinnernde Heck dem Strand zugewandt war. Darunter brodelte das Wasser, gewaltige Blasen stiegen an die Oberfläche und zerplatzten und hier und da stieg Dampf auf. Obwohl das Schiff eigentlich viel zu schwer war, um sich im Takt der Wellen zu bewegen, zitterte es sacht und hinter dem gewaltigen Loch, das wie eine Wunde im Heck des Tauchbootes gähnte, stoben blaue Funken auf. »Was bedeutet das?«, flüsterte Mike fassungslos. Er sah, dass Ben und Juan hinzugerannt kamen, wobei sie heftig mit den Armen gestikulierten, und er hörte auch, dass sie ihm etwas zuschrien, achtete aber nicht darauf, sondern setzte Astaroth mit einer hastigen Bewegung in den Sand, hielt ihn aber zugleich mit beiden Händen fest und zwang den Kater, ihm ins Gesicht zu blicken. Was bedeutet das? dachte er. Der Kater starrte ihn nur an und gab sich alle Mühe, nach wie vor nur wie ein Tier auszusehen, das gar nicht begriff, was der Mensch
da von ihm wollte, aber Mikes Geduld war endgültig erschöpft. Das hier war nicht mehr witzig. »Was bedeutet das?!«, herrschte er den Kater an. »Antworte!« Astaroth miaute und versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, aber Mike hielt ihn eisern fest. »Verdammt, Astaroth, was geht da vor?!«, schrie er. »Mike!« Ben langte schwer atmend neben ihm an. »Bist du verrückt? Hör auf, mit dem Kater herumzuspielen!« »Ich spiele nicht, ich versuche herauszubekommen, was hier los ist!«, erwiderte Mike gereizt. Ben machte eine heftige Bewegung mit beiden Händen. »Das siehst du doch! Jemand versucht, das Schiff zu klauen!« »Das ist völlig unmöglich«, behauptete Mike - obwohl ihm seine Augen das genaue Gegenteil bewiesen. Trotzdem fügte er hinzu: »Niemand kann die NAUTILUS fahren, außer ...« Er hielt verblüfft mitten im Wort inne, stand mit einem Ruck auf und sah sich am Strand um. Alle waren hier, alle, bis auf... »Außer Serena, ja«, sagte Ben düster. »Und Argos.« Wieder drehte sich Mike herum und blickte zur NAU-TILUS hin. Singh, Chris, Trautman und Juan standen bis zu den Knien im Wasser und starrten hilflos zu dem U-Boot hinüber, das nur wenige Meter entfernt und doch unerreichbar war. Selbst ohne den Zwischenfall mit den Haifischen vom gestrigen Tag hätte es nun niemand mehr gewagt, zum Schiff hinzuschwimmen. Unter dem Heck der NAUTILUS kochte das Meer. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, so hätte der gewaltige Sog der Turbinen jeden Schwimmer binnen Sekunden in die Tiefe gezerrt. »Aber das ... das kann nicht sein!«, murmelte Mike. »Das würde sie niemals tun!« Hastig bückte er sich wieder nach Astaroth, packte den Kater mit beiden Händen und schüttelte ihn so wild,
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