Mike blinzelte und versuchte, den Verwirrten zu spielen. »Wie?« »Du hast mich noch nie belügen können, Mike«, erklärte Trautman mit einem sanften, fast väterlich wirkenden Lächeln. »Keiner von euch kann das. Da draußen ist noch mehr passiert, nicht wahr? Du hast nicht nur Astaroth gesehen.« »Doch«, antwortete Mike. Trautman sah ihn nur an und nach einer Sekunde verbesserte sich Mike: »Oder nein, Sie haben Recht. Es ist noch etwas passiert.« »Und was?« »Die Haie ... haben mir geholfen«, sagte Mike zögernd. Juan starrte ihn ungläubig an, während Trautman keineswegs überrascht dreinsah. »Geholfen?« »Ich wäre allein nie in das Wrack hineingekommen«, antwortete Mike. »Zwei von ihnen haben mich hochgehoben. Nur so konnte ich zu Singh und Argos gelangen. »Um ihnen die Sauerstoffflaschen zu bringen«, fügte Trautman in nachdenklichem Tonfall hinzu. »Das ist erstaunlich.« »Aber warum sollten sie das tun?«, wunderte sich Juan. »Doch bestimmt nicht, um Argos das Leben zu retten.« »Wer weiß«, sagte Trautman. »Vielleicht wollen sie ja nicht seinen Tod. Vielleicht wollen sie ihn einfach nur
haben.«
»Haben?«, fragte Mike. »Wie meinen Sie das?« Trautman zuckte mit den Schultern. »Er hat uns niemals erzählt, wo er hergekommen ist. Ist euch das eigentlich noch nicht aufgefallen? Vielleicht ist er ja an einem Ort, wo er nicht sein sollte.« »Oder umgekehrt«, fügte Juan nachdenklich hinzu. »Er ist nicht an einem Ort, an dem er sein sollte.« Mike blickte nachdenklich vor sich hin. Dann fügte er noch hinzu: »Wer immer sie geschickt hat, scheint großen Wert darauf zu legen, keine Unbeteiligten zu verletzen.« »Ja«, murmelte Trautman. »Wisst ihr, woran ich die ganze Zeit denken muss?« Sie schüttelten beide den Kopf. Trautman fuhr mit einem fast unsicheren Lächeln und einem in einem Tonfall, als wären ihm seine eigenen Worte beinahe peinlich, fort: »Nachdem wir von der Insel der Indios geflohen sind ... wir hätten es fast nicht geschafft, hochzukommen. Irgendetwas hat uns geholfen.« Er sah Mike an. »So wie dir, in das Wrack hineinzukommen.« »Wie bitte?«, murmelte Juan. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass uns diese Haie hochgehoben haben?« Trautman machte eine Kopfbewegung auf das Wasser hinaus. »Die da bestimmt nicht. Aber fünf oder sechs von den großen Tieren, die wir vorhin gesehen haben, könnten es durchaus schaffen.« »Das klingt nicht sehr überzeugend«, murmelte Juan. »Ich weiß«, räumte Trautman ein. »Und ich fürchte, wir werden die Antwort auf diese Frage auch niemals bekommen. Aber ich bin auch gar nicht sicher, ob ich das will.« In diesem Moment tauchte Singh unter ihnen auf: Ein verzerrter Schatten, der mit mühsam aussehenden Schritten auf dem Meeresgrund entlangstapfte und von einem ganzen Rudel unterschiedlich großer Haie flankiert wurde, die ihn neugierig umkreisten. Es wurde immer dichter, so dass er sich am Schluss buchstäblich mit den Händen einen Weg durch die lebende Mauer bahnen musste, aber es war so, wie Trautman prophezeit hatte: Die Haie machten keinen Versuch, ihn anzugreifen. Sie versuchten nicht einmal ernsthaft, ihn vom Betreten des Schiffswracks abzuhalten, obwohl sie dies zweifellos gekonnt hätten, allein durch ihre Anzahl. Nach einer Weile verschwand Singh in dem zerborstenen Schiffsrumpf und es verging eine beunruhigend lange Zeit, bis er wieder auftauchte. Er trug eine menschliche Gestalt auf den Armen. Langsam, unter seiner Last wankend, näherte er sich dem Boot und Trautman warf die mitgebrachten Seile ins Wasser, so dass Singh sie an dem versteinerten Seemann befestigen konnte. Obwohl sie sich zu dritt anstrengten, kostete es ihre gesamte Kraft, den zu Stein erstarrten Körper aus dem Wasser zu ziehen und ins Boot zu heben. Das kleine Schiffchen ächzte und schwankte bedrohlich unter dem zusätzlichen Gewicht. Mike erschauerte, als er den Seemann von nahem sah. Obwohl er es besser wusste, fiel es ihm sehr schwer zu glauben, dass dieser Körper jemals gelebt haben sollte, geschweige denn, dass noch so etwas wie Leben in ihm war. Der Mann war durch und durch zu Stein erstarrt, wie eine aus Marmor gehauene, perfekte Nachbildung eines menschlichen Körpers. Sie mussten ihre Plane ändern und die geborgenen Matrosen einzeln an Land rudern, denn das Boot hätte das Gewicht dreier solcher Körper niemals getragen, so dass die geplante Rettungsaktion viel länger dauerte, als sie geglaubt hatten. Als Singh endlich wieder in die NAUTILUS zurückkehrte und sie mit dem letzten Geretteten zum Strand hinaufruderten, waren Mike, Juan und auch Trautman mit ihren Kräften am Ende und es dunkelte auch bereits. Mike und Juan nahmen den Mann, der in der sitzenden Position, in der er sich am Tisch befunden hatte, als ihn das Unglück überfiel, zu Stein erstarrt war, an Armen und Beinen und trugen ihn ächzend den Strand hinauf, während Trautman zur NAUTILUS zurückruderte, um die anderen zu holen. Sie legten den versteinerten Matrosen neben seine Kameraden in den Sand und ließen sich erschöpft daneben zu Boden sinken. Im schwächer werdenden Licht des Sonnenuntergangs boten die drei versteinerten Körper einen noch unheimlicheren Anblick als bisher. Zugleich aber war es Mike - und auch Juan - nicht möglich, den Blick von ihnen zu wenden. »Unheimlich«, murmelte Juan nach einer Weile. »Das kannst du laut sagen«, pflichtete ihm Mike bei. »Ich habe fast Angst vor ihnen.« Juan schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht«, sagte er. »Was dann?« »Die Wesen, die das getan haben«, murmelte Juan. Erst jetzt begriff Mike, dass Juan von den fremden Wesen sprach, die mit dem Sternenschiff gekommen waren. Sie hatten sie niemals gesehen. Jedenfalls nicht lebend, aber sie hatten ja erlebt, was ihre so unendlich viel weiter entwickelte Technik in falschen Händen anzurichten imstande war. »Ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen«, sagte er. »Das Schiff ist fort und ich glaube auch nicht, dass es zurückkommt.« »Ich mache mir keine Sorgen«, sagte Juan. »Ich frage mich, wer sie sind. Wo sie hergekommen sind und was sie hier wollten.« Seine Stimme wurde leiser und in seine Augen trat ein Ausdruck, der Mike schaudern ließ. »Wir waren ihnen so nah, damals in der Pyramide. Erinnerst du dich? Ein einziger Schritt und wir wären dort gewesen. Ich frage mich, ob wir sie jemals wiedersehen.« »Ich frage mich, ob wir das sollten«, sagte Mike. Juan schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. »Ich würde alles darum geben, einmal mit einem von ihnen zu reden«, murmelte er. Er hob den Blick und sah in den Himmel hinauf. In dem verblassenden Blau des Sonnenunterganges waren bereits die ersten Sterne zu erkennen. »Sie sind irgendwo dort oben. Vielleicht kommen sie eines Tages zurück.« »Hast du schon vergessen, was Serena über sie erzählt hat?«, sagte Mike. »Die Atlanter hatten Kontakt zu ihnen. Es hat jedes Mal in einer Katastrophe geendet.« »Wenn sie alle so waren wie Argos, wundert mich das
nicht«, erwiderte Juan achselzuckend. »Außerdem ist das lange her. Vielleicht haben sie seit dem ja gelernt. Vergiss nicht, was sie mit den Menschen auf der TITANIC getan haben. Sie haben ihre eigenen Leben riskiert, um sie zu retten.« Mike war nicht ganz sicher, ob das wirklich so gewesen war, aber er war auch nicht sicher, ob es so war, wie Serena behauptete. Er schrak beinahe selbst vor dem Gedanken zurück und doch fragte er sich, vielleicht zum ersten Mal, seit er die atlantische Prinzessin kennen gelernt hatte, ob ihr Volk den Menschen, die er kannte, wirklich so ähnlich gewesen war. Vielleicht hatte Serenas Einsamkeit ja einen Grund. Er verscheuchte den Gedanken. »Ich denke, Argos wird uns alles erzählen, sobald er wach ist«, sagte er. »Und wenn nicht er, dann die drei anderen. Immerhin haben wir ihnen das Leben gerettet.« »Noch nicht«, sagte Juan mit einem Blick auf die drei versteinerten Körper. »Ich schätze, da gibt es doch noch eine Kleinigkeit zu tun.« Mike schwieg. Sie alle hatten ja selbst mit angesehen, wie Argos den Eingeborenen auf der Insel geholfen hatte, die von derselben unheimlichen Veränderung befallen gewesen waren. Andererseits hatten sie niemals erlebt, dass er eine so totale Verwandlung rückgängig gemacht hatte. Mike konnte sich aber auch nicht vorstellen, dass Argos dieses ungeheuerliche Risiko, zu dem er sie gezwungen hatte, eingegangen wäre, wäre er nicht absolut sicher gewesen, den Kameraden helfen zu können. Letzten Endes hatte er auch sein eigenes Le
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