macht. Tollkühn oder nicht - sie hatten gar keine andere Wahl. Er war so sehr in seine Gedanken versunken gewesen, dass der Strahl seines Scheinwerfers die Stelle, an der Singh arbeitete, losließ und in kleinen Zickzackbewegungen über den Rumpf der NAUTILUS zu wandern begann. Singh machte eine entsprechende Bemerkung und Mike fuhr so erschrocken zusammen, dass die Lampe seinen Fingern entglitt und langsam und sich dabei immer wieder überschlagend zu Boden zu fallen begann. Mike bückte sich hastig danach, verlor selbst das Gleichgewicht und fiel in dem schweren Taucheranzug auf die Seite. Das war nur ein kleines Missgeschick und in keiner Weise gefährlich; die Unterwasseranzüge waren so konstruiert, dass sie ihren Träger vor fast allen denkbaren Gefährdungen schützten, aber es war ärgerlich. Der Meeresboden war knietief mit einer staubfeinen Sandschicht bedeckt, die hoch aufwirbelte, als Mike fiel, und ihm für einen Moment vollkommen die Sicht nahm. Wütend auf sich selbst rappelte er sich hoch, schwenkte den Scheinwerfer im Kreis und sah ein, dass er gar keine andere Wahl hatte, als abzuwarten, bis sich der Sand von selbst wieder senkte. Ein silberner Schemen tauchte für den Bruchteil einer Sekunde im Licht des Scheinwerfers auf und versank wieder. Mike versuchte ihm mit dem Lichtstrahl zu folgen, sah jedoch nichts als wirbelnden Sand. Aber nur einen Moment später sah er den Schemen erneut und obwohl er auch diesmal nur für eine Sekunde im Licht der Scheinwerfer aufblitzte, erkannte er doch jetzt genau, worum es sich handelte. Es war ein Hai! Und es war keineswegs der einzige. Mike ließ den Scheinwerferstrahl langsam kreisen und er sah einen zweiten und dritten und vierten Hai, die mit gemächlichen, fast majestätisch anmutenden Bewegungen durch das Wasser schnitten.
»Singh!«, sagte Mike. »Ich sehe sie«, antwortete Singh. »Beweg dich nicht! Ich komme zu dir.« Mikes Herz begann zu klopfen. Der Taucheranzug bot ihm wahrscheinlich auch Sicherheit gegen einen Haiangriff, aber er hatte trotzdem Angst. Sie schienen ihn zu umkreisen und Mike wusste, dass Haie das oft taten, kurz bevor sie angriffen. Eine riesenhaft anmutende Gestalt stampfte durch den aufwirbelnden Sand auf ihn zu. Es war Singh, der in seinem klobigen Taucheranzug aussah wie ein mittelalterlicher Ritter, der sich um Jahrhunderte geirrt hatte. Auch er hatte einen Scheinwerfer eingeschaltet, den er hin und her schwenkte, und trug das Schweißgerät wie eine Waffe in der rechten Hand. Mike wusste natürlich, dass ihm das rein gar nichts nutzen würde, sollten die Haifische sie wirklich angreifen. Aber es war seltsam: Irgendwie spürte er, dass die Tiere das nicht tun würden. »Zur Schleuse!«, sagte Singh und leuchtete mit seinem Scheinwerfer in die entsprechende Richtung. Zwei, drei Haifische huschten mit eleganten Bewegungen aus dem Licht heraus. »Aber vorsichtig«, fuhr der Inder fort. »Mach keine hastigen Bewegungen, sonst greifen sie vielleicht an.« Mike hätte sich vermutlich nicht einmal dann schnell bewegen können, wenn er es gewollt hätte. Der Taucheranzug war zu schwer dazu und er sank bei jedem Schritt bis an die Knie in den weichen Sand ein. Langsam bewegte er sich neben Singh an der Flanke der NAUTILUS entlang, bis sie die Tauchkammer erreichten. Während sie darauf warteten, dass die Schleuse voll Wasser lief, so dass sie die äußere Tür öffnen konnten, ließen sie beide ihre Scheinwerferstrahlen in langsamen, gegeneinander gerichteten Kreisen durch das Wasser gleiten. Der Anblick war erschreckend und faszinierend zu
gleich: Es mussten Dutzende von Haien sein, die sie umgaben. Haie der unterschiedlichsten Gattung und Größe. Sie schwammen scheinbar ziellos hierhin und dorthin, bewegten sich manchmal auf sie zu, manchmal von ihnen fort, kreisten und schienen fast so etwas wie einen bizarren Tanz aufzuführen. Keines der Tiere kam ihnen jemals näher als vier oder fünf Meter und doch schienen
sie sich auch nie sehr weit von ihnen zu entfernen. »Was bedeutet das?«, murmelte Mike. »Ich weiß es nicht, Herr«, antwortete Singh, der im Moment der Gefahr wieder in seine alten Gewohnheiten zurückfiel. »Aber es gefällt mir nicht.« Hinter ihnen öffnete sich nahezu lautlos die äußere Schleusentür. Normalerweise betraten sie die Tauchkammer einzeln, denn sie war so klein, dass sie kaum genug Platz für einen bot. Jetzt aber quetschten sie sich gemeinsam hinein. Keiner von ihnen wollte länger als unbedingt nötig in der Gesellschaft der Haifische zubringen. Trautman und Ben erwarteten sie, als sich die äußere Tür geschlossen hatte und der Wasserspiegel so weit gesunken war, dass sie das innere Schleusenschott öffnen konnten. Die beiden halfen erst Singh, dann Mike aus dem Taucheranzug zu steigen; eine Aufgabe, die allein kaum zu bewältigen war. Trautman hatte bereits frische Sauerstoffflaschen bereitgestellt und wollte unverzüglich in Singhs Anzug steigen. Ben und er hatten wohl vor, die nächste Schicht zu übernehmen. Obwohl sie ebenso müde und erschöpft aussahen, wie Mike sich fühlte, wusste er doch, dass Trautman sich keine Ruhepause gönnen würde, bevor die Reparaturarbeiten nicht abgeschlossen und die größte Gefahr somit gebannt war. Singh schüttelte jedoch den Kopf und machte eine abwehrende Bewegung mit beiden Händen. »Ihr solltet da jetzt nicht rausgehen«, sagte er. »Wir haben Gesellschaft. Haifische! Hunderte!«
Das war zwar übertrieben, aber Mike bestätigte die Behauptung trotzdem mit einem Nicken. Der Inder und er erzählten abwechselnd und mit knappen Worten, was sie beobachtet hatten. Trautmans Gesicht nahm dabei einen immer besorgteren Ausdruck an, aber er sagte nichts, sondern legte schließlich den Taucherhelm aus der Hand und seufzte: »Also gut. Machen wir eine Pause. Vielleicht tut sie uns allen ja ganz gut.« »Das ist wirklich unheimlich«, sagte Ben, während sie sich umwandten und wieder in Richtung Salon gingen. Ein helles, rhythmisches Hämmern und Klingen drang an ihr Ohr. Juan, Chris und möglicherweise auch Argos waren nicht untätig. Trautman hatte zur Sicherheit darauf bestanden, auch das innere Schott, das die gefluteten Bereiche abriegelte, verstärken zu lassen. »Was glaubst du, wie ich mich erst gefühlt habe?«, sagte Mike. Ben nickte und sagte: »Ich war vorhin im Salon, weißt du? Und ich habe ein paar Funksprüche aufgefangen.« »Und?« »Ich habe mir nichts dabei gedacht«, antwortete Ben. »Aber jetzt...« Er zuckte mit den Schultern. »So tief, wie wir sind, konnte ich nur ein paar sehr starke Signale empfangen. Es waren einige Warnungen vor Haien dabei.« Mike blieb überrascht stehen und sah den jungen Engländer an. »Warnungen vor Haien?« »Ja, aus der Gegend hier«, antwortete Ben. »Vielleicht
im Umkreis von zwei-, dreihundert Meilen. Es sind sehr viele Haifische gesehen worden. Anscheinend haben sie bisher noch niemanden angegriffen, aber natürlich sind die Leute beunruhigt, dass sie plötzlich in solchen Massen auftauchen.« Das konnte Mike durchaus verstehen. Auch er hatte sich dort draußen alles andere als wohl gefühlt. Und trotzdem erging es ihm noch immer genau so wie gerade: Der Anblick dieser gewaltigen Haiarmee hatte ihn erschreckt, verwirrt und beunruhigt - aber irgendetwas sagte ihm trotzdem, dass diese Tiere keine Gefahr darstellten, jedenfalls nicht im Moment und nicht für ihn. Erbehielt seine Überlegungen für sich, nahm sich aber fest vor, sie zur Sprache zu bringen, sobald sie alle zusammen waren. Er war sicher, dass das plötzliche Auftauchen so vieler Haifische in ihrer Nähe kein Zufall war. Als sie im Salon ankamen, trafen sie Argos und Serena. Der Atlanter war dabei, mit einem Lötkolben an einem halb auseinandergenommenen Gerät zu hantieren, wobei er sich allerdings so ungeschickt anstellte, dass Ben hörbar seufzte und den Kopf schüttelte. Serena stand hinter ihm und sah ihm zu. Sie hatte die linke Hand auf die Stuhllehne gestützt und die rechte in einer vertrauten Geste auf Argos' Schulter gelegt; ein Anblick, der Mikes Eifersucht jäh wieder neue Nahrung gab. Und als wäre das alles noch nicht genug, saß Astaroth zwischen Argos' Füßen, leckte sich gemächlich die Pfoten und schnurrte dabei wie ein kleiner Elektromotor. Verräter! dachte Mike impulsiv. Eifersüchtiger Dummkopf! erwiderte Astaroth, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen oder Mike auch nur eines Blickes zu würdigen. Argos aber sah auf, ließ den Lötkolben sinken und fragte: »Wie seid ihr vorangekommen?« Dann runzelte er die Stirn, sah erst Ben, dann Trautman an und fügte hinzu: »Ich dachte, Sie wollten die beiden gleich ablösen, um schneller fertig zu sein?« Statt zu antworten, ging Trautman mit schnellen Schritten zum Kommandopult und schaltete die Außenscheinwerfer ein. Er hatte die Lichter ausgeschaltet, kurz nachdem sie auf dem Meeresgrund aufgesetzt hatten, um die Batterien zu schonen, denn niemand wusste, wie lange sie hier unten ausharren mussten und wann sie wieder ans Sonnenlicht kamen, das nötig war,
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