Des weiteren verbarg die Dunkelheit eine kleine und einsame Gestalt, die hinter einem umgestürzten Felsen hockte. Der größte Held der Scheibenwelt beobachtete das Geschehen im Steinkreis mit erheblichem Interesse.
Er sah die Prozession der Druiden, hörte ihren Gesang, kniff die Augen zusammen, als das Oberhaupt seine Sichel hob…
Und vernahm plötzlich eine andere Stimme, die sich an den Hoheprie-ster wandte.
»Entschuldige bitte, wenn ich dich unterbreche. Ich möchte dich auf etwas aufmerksam machen, wenn du gestattest.«
Rincewind sah sich verzweifelt um und hielt vergeblich nach einem Fluchtweg Ausschau. Zweiblum stand neben dem Altarstein und hob in einer Geste höflicher Entschlossenheit die Hand.
Der Zauberer erinnerte sich an einen ähnlichen Zwischenfal : Einmal waren sie einem Viehtreiber begegnet, und Zweiblum wies den Mann darauf hin, er behandle die Tiere zu grob. Als Folge dieses freundlichen Hinweises machte Rincewind die Bekanntschaft von harten Hufen und einer zornig geschwungenen Peitsche.
Die Druiden starrten Zweiblum groß an und trugen dabei Mienen zur Schau, die sie sonst für tollwütige Schafe oder einen plötzlichen Kröten-regen reserviert hatten. Rincewind konnte nicht hören, was der Tourist sagte, aber der Wind trug einige Bemerkungen wie ›ethnische Kulturge-bote‹ und ›Nüsse und Blumen‹ über das verblüfft schweigende Publikum.
Dann preßte sich dem Magier eine klauenartige Hand auf den Mund, und die Spitze eines außerordentlich scharfen Messers berührte seinen Adamsapfel. Eine dumpfe Stimme dicht neben ihm sagt: »Fei ganz ftill, wenn dir waf an deinem Leben liegt.«
Rincewinds Augen rol ten hin und her, als wol ten sie sich aus ihren Höhlen lösen.
»Wenn ich ganz still sein soll, woher willst du dann wissen, ob ich dich verstanden habe?« hauchte er.
»Halt die Klappe und fag mir, waf der Idiot da drüben macht!«
»Nun, äh, ich kann doch nicht einerseits die Klappe halten, wie du dich auszudrücken beliebst, und dir andererseits erklären, was…« Die Messerspitze an der Kehle ritzte seine Haut, und daraufhin beschloß Rincewind vorsichtshalber, logische Gedanken auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
»Er heißt Zweiblum und kennt sich mit den hiesigen Gepflogenheiten nicht sehr gut aus.«
»Dachte ich mir fon. Ein Freund von dir?«
»Tja, ich glaube, wir können uns gegenseitig nicht ausstehen, wenn du das meinst…«
Rincewind unternahm den erfolglosen Versuch, einen Blick auf den Mann hinter ihm zu werfen. Sein Körper schien aus Kleiderbügeln zu bestehen, und außerdem roch er stark nach Pfefferminz.
»Er hat Mumm, daf muf ich ihm laffen. Fo, wenn du genau daf tuft, waf ich dir fage, machen ihn die Druiden vielleicht nicht zu Hackfleif.«
»Hrargh.«
»Weifft du, die Leute hier find nicht befonderf ökumenif.«
Genau in diesem Augenblick erinnerte sich der Mond an das Gesetz der Überzeugungskraft, doch er schien nicht bereit zu sein, sich an die Gebote der Computerwissenschaft zu halten: Er ging keineswegs dort auf, wo er erwartet wurde.
Über dem heiligsten Felsen des Steinkreises glühte statt dessen ein unheilvoll leuchtender roter Stern, flackerte wie ein Funke im Auge des Todes. Er bot einen schrecklichen Anblick, und Rincewind konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, daß er ein wenig größer war als am vergangenen Abend.
Die versammelten Priester stöhnten entsetzt, und das Publikum wagte sich näher, hielt die jüngsten Ereignisse offenbar für vielversprechend.
Rincewind spürte, wie ihm der unbekannte Bedroher den Griff eines Messers in die Hand drückte, und erneut erklang die glucksende Stimme:
»Haft du in folchen Dingen Erfahrung?«
»In was für Dingen?«
»Ich meine: in einen Tempel ftürmen, die Priefter erledigen, Gold fteh-len, ein Mädchen retten und abhauen.«
»Ich schlage vor, wir beschränken uns auf den letzten Punkt.«
»Kommt nicht in Frage. Lof geht’f.«
Zwei Zentimeter neben Rincewinds linkem Ohr ertönte plötzlich ein Kreischen, das nur von einem wilden Pavian stammen konnte, dem man gerade die Banane weggenommen hatte. Nur einen Sekundenbruchteil später raste eine kleine, drahtige Gestalt an ihm vorbei.
Im Licht der Fackeln erkannte er einen ziemlich alten Mann, ein greises Exemplar jener dürren Subspezies, die man üblicherweise ›rüstig‹ nannte.
Der Kopf war völ ig kahl, und der Bart reichte ihm fast bis zu den Knien. Die Beine schienen zwei abgeschnittene Stelzen darzustel en, auf denen hervortretende Adern die Straßenkarte einer recht großen Stadt bildeten. Trotz des Schnees trug er nur eine mit eisernen Beschlägen versehene Lederkombination und Stiefel, die einem zweiten Paar Füße ausreichend Platz geboten hätten.
Die beiden ersten Druiden, denen sich der Greis näherte, wechselten einen verwunderten Blick und hoben ihre Sicheln. Ein kurzes Durcheinander folgte, und dann sanken die Priester zu Boden, wobei sie seltsame, gurgelnde Geräusche von sich gaben.
Rincewind nutzte die sich daran anschließende Aufregung, um sich dem Altarstein zu nähern. Er verbarg das Messer hinter dem Rücken, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Tatsächlich schenkte ihm kaum jemand Beachtung: Die Druiden, die den Kreis noch nicht verlassen hatten – überwiegend die jüngeren und muskulöseren –, hielten auf den alten Mann zu. Wahrscheinlich beabsichtigten sie, ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen, bei dem es vor al en Dingen um Steinkreise betreffende Sakrilege ging. Doch das Poltern, Rasseln, Ächzen, Knurren und Knacken (von Knochen) deutete darauf hin, daß sich der Greis zum Wortführer der Debatte machte.
Zweiblum beobachtete den Kampf interessiert. Rincewind packte ihn am Arm.
»Verschwinden wir von hier«, sagte er.
»Sollten wir ihm nicht helfen?«
»Bestimmt wären wir ihm nur im Weg«, stieß der Zauberer hastig hervor. »Du weißt ja, wie es ist, wenn man zu tun hat und einem irgendwelche Leute über die Schulter sehen.«
»Wir müssen wenigstens die junge Frau retten«, erwiderte Zweiblum fest.
»Na gut. Aber beeil dich!«
Zweiblum nahm das Messer und hastete zum Altarstein. Nach einigen ungeschickten Schnitten gelang es ihm endlich, die Fesseln des Mädchens zu lösen. Es richtete sich auf und begann zu weinen.
»Es ist alles in Ord…« begann der Tourist.
»Pustekuchen!« entgegnete die Frau scharf und starrte ihn aus tränen-feuchten Augen an. »Warum mußtet ihr al es verderben?« Schluchzend hob sie den Saum ihrer Robe und putzte sich die Nase.
Zweiblum bedachte Rincewind mit einem verlegenen Blick.
»Äh, ich glaube, du verstehst nicht ganz«, sagte er. »Ich meine, wir haben dich gerade vor dem absolut sicheren Tod gerettet.«
»Ach, das Leben in dieser Gegend ist nicht leicht«, antwortete die junge Frau. »Weißt du, es ist schwierig, nicht die…« Sie errötete und zupfte verlegen an ihrem Gewand. »Ich wollte sagen: Es ist nicht leicht, Jung…
äh, ein Mädchen zu bleiben und die… die Qualifikation zu wahren.«
»Qualifikation?« echote Zweiblum verwirrt und gewann damit den Rincewind-Preis für die größte Begriffsstutzigkeit im ganzen Multiversum. Die Gerettete kniff die Augen zusammen.
»Ich könnte jetzt bereits bei der Mondgöttin sein und süßen Met aus einem silbernen Becher trinken«, sagte sie vorwurfsvol . »Acht Jahre lang bin ich jeden Samstagabend zu Hause geblieben – und jetzt ist al die Enthaltsamkeit für die Katz!«
Sie musterte Rincewind mit finsterer Miene.
Der Zauberer spürte irgend etwas. Vielleicht war es ein leiser, kaum hörbarer Schritt, möglicherweise eine Bewegung, die er aus den Augen-winkeln bemerkte. Wie dem auch sei: Er reagierte sofort und duckte sich.
Ein scharfkantiger Gegenstand sauste dicht über ihn hinweg, verfehlt das Ziel – seinen Nacken – und streifte den kahlen Kopf Zweiblums.
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