»Das lässt sich schon eher hören!«, ergriff Jacob das Wort. »Wusste immer, dass du für Großes bestimmt bist, Eddie; auch wenn ich mich nicht daran erinnern konnte, warum.«
Ich betrachtete ihn nachdenklich. »Du hast dich doch vorhin daran erinnert, dass du dich nur hier herumgetrieben hast, um mir dabei zu helfen, das Herz zu zerstören … Nun - und bitte versteh das nicht falsch, aber - warum bist du noch hier?«
Er sah mich mit seinem üblichen gerissenen Grinsen an und zuckte unbestimmt die Schultern. Kleine Bläschen blaugrauen Ektoplasmas sprangen von seinen Schultern hoch, bevor sie wieder in ihn sanken. »Schätze, ich hab mich einfach dran gewöhnt, hier rumzuhängen. Und außerdem bin ich echt neugierig zu sehen, was als Nächstes passiert. So viel Spaß hab ich seit dem Großen Geschlechtertausch von 1741 nicht mehr gehabt! Wir haben nie herausgefunden, wer dahintersteckte …«
»Ich sehe Alexandra oder Matthew gar nicht«, bemerkte ich vorsichtig. »Was hast du mit ihnen gemacht, Jacob?«
Er erwiderte meinen Blick unbefangen, und einen winzigen Moment lang kam etwas von seinem alten, furchteinflößenden Selbst in seiner Miene zum Vorschein. »Sie werden nicht zurückkommen. Nie mehr.«
»Frag nicht!«, sagte der Waffenschmied mit unbewegtem Gesicht. »Vertrau mir, du willst es nicht wirklich wissen.«
»Arme Alex!«, sagte ich, und ich meinte es.
»Was genau hat dir diese Alex-Person eigentlich bedeutet?«, wollte Molly wissen.
»Es war eher … was sie hätte bedeuten können«, erklärte ich. »Wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten.«
»Oh …«, machte Molly. »Jau. Solche Beziehungen hatte ich viele.«
Ich blickte sie einen Moment lang an. »Ich werde nicht fragen«, sagte ich schließlich.
»Ist auch besser so«, stimmte sie mir zu.
Und dann, endlich, blickte ich den Waffenschmied an, meinen Onkel Jack, und sagte das Eine, wovor ich mich gedrückt hatte, das Eine, wovon ich wusste, dass ich es würde sagen müssen, seit ich ihn durch die Tür hatte kommen sehen. »Es tut mir leid, Onkel Jack. Es tut mir wirklich leid, aber … Onkel James ist tot.«
»Ich weiß«, sagte der Waffenschmied. »Du hättest nichts anderes tun können, Eddie. James hätte dir keine andere Wahl gelassen. Für ihn kam die Familie immer an erster Stelle. Und er konnte nie nein zu Mutter sagen.«
»Er hätte mich eigentlich auf der Autobahn töten sollen«, sagte ich. »Aber er ließ mich gehen. Gab mir eine Chance … ermöglichte all dies.«
»Schön für ihn«, meinte der Waffenschmied. »Vielleicht wurde er endlich erwachsen. So, der Graue Fuchs ist tot … Gute Barkeeper und schlechte Frauen in Bars auf der ganzen Welt werden bittere Tränen vergießen, wenn sich die Nachricht verbreitet.«
Es war sinnlos, ihm zu erzählen, dass es eigentlich Molly gewesen war, die meinen Onkel James getötet hatte. Die Familie würde schon genug Probleme haben, sie zu akzeptieren, nach allem, was passiert war.
Jacob fixierte mich mit festem Blick. »Du musst dich an die Familie wenden, Eddie. Hier und jetzt! Erklär ihnen, was los war; sie müssen die Wahrheit erfahren. Ich werde sie hierherzitieren, und du kannst ihnen erzählen, was getan werden muss, um die Familie wieder zu einen.«
»Was? Ich weiß gar nicht, was ich ihnen sagen soll!«
»Du wirst dir etwas einfallen lassen«, tat der Waffenschmied meinen Einwand ab. »Du musst das Kommando übernehmen, Eddie! Die Veränderung durchboxen, bevor die alte Garde wieder die Kontrolle übernimmt!«
»Augenblick mal!«, sagte ich schnell. »Ich wollte nie auch nur ein regulärer Teil der Familie sein, geschweige denn ihnen erzählen, wie sie ihren Betrieb führen müssen! Ich habe die erste Gelegenheit ergriffen, von zu Hause auszureißen, schon vergessen?«
»Tja, diesmal kannst du nicht ausreißen«, meinte der Waffenschmied. »Nicht nach dem ganzen Ärger, den du gemacht hast. Du hast unsere Verteidigungsanlagen zerschlagen, das Herrenhaus in Trümmer gelegt, die Kämpfer der Familie demoralisiert, das Herz zerstört und allen die Torques weggenommen! Du hast die Pflicht, den Schaden, den du angerichtet hast, wiedergutzumachen.«
»Aber -«, setzte ich an.
»Nur du kannst ihnen die Wahrheit sagen«, erklärte Jacob.
»Es ist das, was dein Onkel James gewollt hätte«, fügte der Waffenschmied ernst hinzu.
Ich starrte ihn wütend an. »Ich wusste gar nicht, dass du so bewandert in emotionaler Erpressung bist!«
Er grinste. »Liegt in der Familie.«
* * *
Und dann fuhren wir alle zusammen und erschauderten, denn Jacob nahm seine totenähnliche Erscheinung wieder an. Seine gespenstische Präsenz erfüllte den Raum, kalt und abweisend und nur entfernt menschlich, machtvoll jenseits aller Vorstellungskraft, jetzt, da er nicht mehr länger an die Beschränkungen des Lebens gebunden war. Seine Stimme breitete sich im gesamten Herrenhaus aus und befahl allen Familienmitgliedern, sich im Sanktum einzufinden. Unverzüglich, keine Ausnahmen, keine Ausflüchte. Ich bekam nur die äußersten Ausläufer der gespensterhaften Vorladung ab, und das war immer noch genug, um mich auf meinen Füßen schwanken zu lassen. Die schiere Macht in Jacobs Stimme war wie nichts auf dieser Welt. Niemand in der Familie würde es wagen, sich zu widersetzen.
Und schon bald kamen sie durch die große Doppeltür in den gewaltigen leeren Raum des Sanktums geströmt, einzeln und zu zweien, dann in Gruppen und schließlich in Massen, bis sich eine stete Flut von verwirrten Droods durch die beiden Türöffnungen drängte. Viele unter ihnen blickten immer noch ganz entgeistert wegen des plötzlichen Verlusts ihrer Torques. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlten sie sich völlig wehrlos und verwundbar, und sie hatten Trost und Antworten bitter nötig. Schnatternd und laut rufend kamen sie herein, nur um augenblicklich in Murmeln und Raunen zu verfallen, als sie sahen, wer sie erwartete: der Vogelfreie der Familie, das Gespenst der Familie, der blutverschmierte Waffenschmied und die berüchtigte Molly Metcalf. Welche Antworten sie hier auch erhalten mochten, sie würden bestimmt nicht besonders beruhigend sein. Immer noch strömten sie unaufhörlich ins Sanktum, Haus-Droods und Sicherheits-Droods, Forscher und Planer und Hauspersonal und alle anderen Mitglieder der Familie. Bis hin zu einigen Kindern mit extrem weit aufgerissenen Augen, die kleinsten darunter getragen auf den Armen ihrer Eltern. Das Sanktum füllte sich von Wand zu Wand mit Droods, die sich Schulter an Schulter drängten, während weitere durch die Eingänge hereinguckten.
»Fang an«, forderte der Waffenschmied mich auf, »bevor noch jemand in der Menge erdrückt wird!«
Ich schaute Molly an, und sie beschwor eine unsichtbare Plattform für uns vier herauf, auf die wir uns stellten, und hob sie dann mehrere Fuß in die Höhe, sodass alle mich sehen und hören konnten.
»Es ist hilfreich, dass alle zu uns aufsehen müssen«, raunte sie mir ins Ohr. »Verschafft uns einen psychologischen Vorteil. Und jetzt leg los; versprich ihnen Brot und Spiele oder so was!«
»Apropos sehen«, meinte der Waffenschmied ein klein wenig gereizt. »Könntest du den Rändern dieser verdammten Plattform vielleicht ein bisschen Farbe geben, damit einige unter uns sehen können, wo die Saudinger sind? Man könnte ziemlich tief fallen, und einige unter uns fühlen sich im Moment ein bisschen zerbrechlich!«
Unvermittelt leuchteten die Ränder der Plattform grellsilbern auf. Sie waren viel näher, als mir klar gewesen war.
Der Raum war jetzt zum Bersten voll und auch vor den geöffneten Türen drängten sich noch Droods. Das Gemurmel drohte ständig zu mehr auszuarten, tat es jedoch nicht, denn jedes Mal, wenn jemand anfing, die Stimme zu heben, musste er feststellen, dass Jacob ihn anfunkelte, und plötzlich überlegte er es sich anders und brachte kein Wort mehr heraus. Gänzlich verstummte die Menge, als schließlich die Matriarchin eintraf und sich ihren Weg ins Sanktum bahnte. Alle machten so viel Platz, wie sie konnten, um sie vorbeizulassen. Sie erreichte die vorderste Reihe der Menschenmenge und starrte wütend zu mir auf meiner Plattform hoch. Statt Alistair stand der Seneschall an ihrer Seite. Sein Gesicht war geschwollen und voller blauer Flecken, doch sein Blick war kalt und direkt wie immer. Ich nickte der Matriarchin zu.
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