Bis der Schutzschirm Risse bekam, zersprang und verschwand, und Molly wich zurück, weinend vor Erschütterung und Schmerz. Denn am Ende war Molly ein Mensch und die Rüstung nicht.
Molly war inzwischen unverkennbar erschöpft, ihre sämtlichen inneren Ressourcen aufgezehrt. Sie taumelte zurück, fort von mir, und hielt sich an der Wand fest, um nicht zu fallen, und die Rüstung ging ihr nach. Ihre tödlichen goldenen Hände streckten sich nach ihr aus, und es gab nicht das Geringste, was ich tun konnte, um sie aufzuhalten.
»Eddie«, sagte Molly und bemühte sich angestrengt, ruhig und fest zu klingen, »ich hoffe, du kannst mich da drin hören. Ich weiß, dass das … nicht du bist. Ich habe getan, was ich konnte; jetzt liegt es an dir, die Rüstung aufzuhalten. Aber falls du es nicht kannst … ich will, dass du weißt, dass ich es verstehe. Ich verstehe, dass nicht du es sein wirst, der es macht. Gib dir also nicht die Schuld daran! Nur … finde einen Weg, das Herz bezahlen zu lassen! Auf Wiedersehen, Eddie, meine einzig wahre Liebe!«
Ich konnte ihr nicht einmal antworten.
Ich hatte mich bei meinem hilflosen Kampf in der Rüstung verausgabt, als ich mich mit meiner menschlichen Stärke gegen ihre unmenschliche Stärke gestemmt hatte. Ich konnte keinen Körperteil bewegen, wenn nicht die Rüstung ihn bewegte. Es war, als ob meine Hand mir nicht gehorchte, eine Waffe ergriff und einen Mord beging, während ich nur zusehen und sie hilflos anschreien konnte, aufzuhören. Es war auch nicht gerade hilfreich, dass dermaßen viel Stress meine Abwehrkräfte geschwächt hatte und die fremde Materie inzwischen in meinen ganzen Körper geströmt war. Ich konnte spüren, wie sie in meinem Inneren pulsierte. Die Schmerzen waren grässlich, und ich war so schwach, dass ich wahrscheinlich hingefallen wäre, wenn die Rüstung mich nicht aufrecht gehalten hätte. Ich war so müde! Ich hatte so lange gekämpft und mich geweigert aufzugeben, und das alles umsonst!
Und dann sagte eine schwache Stimme in meinem Hinterkopf: Dann hör auf zu kämpfen, du Idiot! Die Stimme hörte sich überhaupt nicht wie meine an. Sie hörte sich auch nicht wie die des Herzens an. Also spielte ich va banque und hörte auf zu kämpfen.
Ich ließ die Schwäche mich durchströmen und mir sämtliche Kraft aus Armen und Beinen nehmen. Ich hörte auf, Widerstand zu leisten und ließ die fremde Materie tun, was sie wollte. Ich gab auf … und die Rüstung blieb taumelnd stehen. Ihre goldenen Hände hielten Zentimeter vor Mollys Hals an, und dann sank die Rüstung langsam und schwerfällig vor ihr auf die Knie. Denn der Torques war mit mir verbunden, mit Leib und Seele, und nicht einmal das Herz konnte diese Verbindung trennen. Die Rüstung ist immer nur so stark wie der Mann in ihrem Inneren, und dieser Mann … hatte nichts mehr drauf. Das goldene, lebende Metall kräuselte sich über meiner Haut und bemühte sich nach Kräften, den Befehlen des Herzens zu gehorchen, aber meine hartnäckige Schwäche, die durch die Anwesenheit der fremden Materie in meinem Körper noch unterstützt wurde, war stärker. Ein geringes Maß an Kontrolle kehrte zu mir zurück, und langsam zwang ich das goldene Metall von meinem Gesicht herunter, sodass Molly mich sehen und hören konnte. Sie kauerte sich vor mir nieder, und ich glaube, sie konnte den Tod in meinem Gesicht sehen. Sie fing an zu weinen.
»Tut mir leid, Molly«, sagte ich. »Aber weiter als bis hierher gehe ich nicht. Wir haben immer gewusst, dass ich das Ende der Geschichte vermutlich nicht erleben würde … Die fremde Materie hat mich mittlerweile ganz durchdrungen. Es gibt nur noch eine Sache, die du für mich tun kannst. Schnell, bevor das Herz einen Weg findet, mir die Gewalt über die Rüstung wieder zu entreißen, nimm den Torquesschneider und zertrenne den Torques um meinen Hals! Damit zerstörst du die Rüstung. Sie wird dich nicht verletzen können. Dann nimm den Eidbrecher und zerschlage diesen aufgeblasenen sprechenden Diamanten in eine Million Stücke!«
»Das kann ich nicht, Eddie! Es wird dich umbringen!«
»Mit mir geht es sowieso zu Ende! Tu es, Molly. Bitte! Beschütze dich selbst! Auf diese Weise … bekommt mein Tod wenigstens einen Sinn. Einen Zweck.«
»Eddie …«
»Wenn du mich liebst, dann töte mich! Denn ich würde lieber sterben als mitansehen zu müssen, wie dir wehgetan wird.«
»Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickeln können.«
»Ich auch. Auf Wiedersehen, Molly. Meine einzig wahre Liebe.«
Ich senkte meinen goldenen Kopf und bot ihr meinen Hals dar. Meine Bewegungen wurden bereits steif, denn das Herz kämpfte darum, die Kontrolle wiederzuerlangen. Molly nahm die hässliche schwarze Schere heraus und setzte sie an der Seite meines goldenen Halses an. Irgendwo im Hintergrund schrie das Herz Befehle, aber keiner von uns hörte hin. Molly presste die Scherenblätter zusammen, und die schwarzen Schneiden durchtrennten meinen Torques. Im selben Moment verschwand meine goldene Rüstung, und die beiden Hälften meines goldenen Halsreifs fielen auf den Boden.
Und ich lachte auf, denn neue Kraft durchströmte meinen Körper.
Ich erhob mich, immer noch lachend, und hob Molly mit mir hoch, während sie mir verdutzt ins Gesicht sah. Dann fing sie vor lauter Erleichterung selbst an zu lachen. Ich drückte sie fest an mich, und sie drückte mich, und ich fühlte mich stark und gut und endlich im Frieden. Scheinbar eine Ewigkeit lang hielten Molly und ich einander fest, und es fühlte sich gut, so gut an, am Leben zu sein. Endlich ließen wir los, traten einen Schritt zurück und schauten einander ins Gesicht.
»Eddie, du lebst …«
»Ich weiß! Ist das nicht großartig?«
»Wie … Eddie, da liegt ein Reif um deinen Hals! Und er ist aus Silber!«
»Ich weiß«, sagte ich. »Es ist die fremde Materie. Offenbar hat es so etwas wie ein Missverständnis gegeben …«
»Um es gelinde auszudrücken!«, sagte eine neue Stimme. »Ich fing schon an zu glauben, ich würde nie rechtzeitig zu dir durchdringen!«
Die neue Stimme war groß und machtvoll und klang sehr vernünftig, und sie donnerte durchs Sanktum. Sie ging von mir aus, aber nicht ich war es, der sprach. Das Herz schrie vor Wut und Verzweiflung, aber es hörte sich wie ein sehr kleines Geschöpf an, verglichen mit der neuen Stimme - der fremden Materie, die durch mich sprach.
»Endlich Zeit für die Wahrheit«, sagte sie. »Erfahre jetzt die wahre Geschichte jener abscheulichen und bösen Kreatur, die du als das Herz kennst. Krimineller. Sünder. Dieb. Feigling. Mörder. Es kam hierher, weil es die Hosen voll hatte. Weil es wusste, dass ich ihm dicht auf den Fersen war, dass ich im Begriff war, es gefangen zu nehmen und dahin zurückzubringen, wo es herkam, zur Aburteilung und Bestrafung. Für all die schrecklichen Dinge, die es in zahlreichen Dimensionen verbrochen hat. Das Herz war jahrtausendelang auf der Flucht, durchstreifte Dimension um Dimension und beutete alles aus, was es dort fand.
Ich bin der Schamane meines Stammes, ganz ähnlich wie deine druidischen Vorfahren. Wir beschützen die Unschuldigen und bestrafen die Schuldigen - und wir geben niemals auf.
Ich hatte die Spur des Herzens schon fast verloren. Die Fährte war kalt geworden, und ich hatte schon an so vielen Orten gesucht. Und dann tat sich eine kleine Öffnung zwischen den Dimensionen auf. Sie war mit nichts vergleichbar, was ich schon einmal gesehen hatte: vage und unscharf, wirklich ganz primitiv. Es war der Blaue Elf, der seine Gabe willkürlich einsetzte, um zu fischen und zu sehen, was er finden würde. Neugierig gemacht, erlaubte ich ihm, ein kleines Stück von mir zu fangen und durch die Öffnung in seine primitive Provinzdimension zu bringen. Und da war das Herz! Versteckt, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wo niemand auf die Idee kommen würde, nach ihm zu suchen. Ich konnte seine Gegenwart spüren, aber sein exakter Aufenthaltsort blieb mir verborgen. Also manipulierte ich den Blauen Elfen dergestalt, dass er das kleine Stück von mir der mächtigsten Gruppe in dieser Dimension in die Hände spielte - der Drood-Familie. Und tatsächlich, sobald ich hierhergebracht worden war, konnte ich das Herz lokalisieren. Unglücklicherweise war ich nicht genug von mir, um die Verteidigungsanlagen durchbrechen zu können, die deine Familie um das Herz herum errichtet hatte.
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