Dämonen scharten sich um den Lichtkreis der Burg, wagten jedoch nicht, sich dem Zauberer zu nähern. Er kehrte ihnen den Rücken zu und ging steif über die Brücke. Erst als er das Torhaus des Bergfrieds durchquert und den Burghof betreten hatten, stürmten die Dämonen vorwärts.
Bewaffnete schrien Befehle, und die beiden Türflügel des äußeren Tores schlossen sich langsam. Rupert sah gerade noch, wie die Zugbrücke nach oben klappte, bereits halb erstürmt von Dämonen, die sich in Trauben an die Holzbohlen klammerten. Dann fielen die Eichentüren dröhnend zu, und Männer rannten herbei, um die schweren Eisenriegel vorzuschieben. Rupert schob endlich das Schwert in die Scheide und sank erschöpft im Sattel zusammen. Tausende von Dämonen hämmerten in ohnmächtiger Wut gegen die Außenmauern der Burg, ein ohrenbetäubendes Geräusch, das auf- und abschwoll wie endloses Donnergrollen. Und weit weg, tief im fauligen Herzen der Finsternis, heulte ein furchtbares, unmenschliches Wesen vor Zorn, weil man es um seine Beute betrogen hatte.
Rupert rutschte aus dem Sattel, tat ein paar wankende Schritte und ließ sich zu Boden gleiten, den Rücken gegen die innere Mauer des Burghofs gestützt. Selbst durch die fünf Meter dicke Barriere aus Stein war die schwache Vibration von unzähligen Dämonenfäusten zu spüren. Er bettete den linken Arm in den Schoß und entspannte sich, zum ersten Mal seit zu vielen Monaten. Alles drehte sich um, und er zitterte am ganzen Körper. Nur der Schmerz, der ihm in Wellen durch die linke Schulter jagte, bewahrte ihn davor, an Ort und Stelle ohnmächtig zu werden. Aber das alles war ihm verdammt gleichgültig. Er befand sich wieder auf der Burg, und nur das zählte. Was immer jetzt geschehen mochte, er hatte es geschafft. Er war heimgekehrt.
Nach einiger Zeit gaben es die Dämonen auf, gegen die Burgmauern anzurennen, und das dumpfe Dröhnen wich einer vollkommenen Stille, die noch bedrohlicher wirkte. Rupert schloss die Augen und ließ sich willenlos treiben. Seine Pflicht war getan. Er hatte das Recht, sich auszuruhen. Wenigstens eine kleine Weile. Ganz in seiner Nähe erklang ein leises, müdes Schnauben. Er öffnete die Augen, schaute auf und sah das Einhorn an seiner Seite stehen, den großen, knochigen Kopf müde gesenkt, mit verhüllten roten Augen ins Leere starrend. Rupert bedachte sein Reittier mit einem warmen Lächeln.
»Super gerannt, Einhorn«, sagte er heiser.
»Ich weiß«, entgegnete das Einhorn trocken. »Einen besseren Spurt wirst du nicht mehr erleben, so viel steht fest. Ich bin noch nie so schnell gerannt. Erstaunlich, was man alles schafft, wenn es sein muss. Wie fühlst du dich?«
»Bescheiden, um nicht zu sagen, beschissen. Ich glaube, ich könnte für einen Schluck Wasser zum Mörder werden.
Immer vorausgesetzt, ich hätte die Kraft dazu.«
»Nun hör schon auf, den Todkranken zu mimen! Wo bleibt der Hafer, den du mir versprochen hast?«
Rupert stieß ein krächzendes Lachen hervor und fand zum ersten Mal die Kraft, den Kopf zu heben und sich umzusehen.
Auf dem Burghof wimmelte es von Menschen, Bauersleuten, Handwerkern und Städtern, die vor den vorrückenden Dämonen geflohen waren und in der Residenz Schutz gesucht hatten. Der Finsternis entkommen, drängten sie sich in kleinen Familienverbänden zusammen, umgeben von ihrer armseligen Habe. Hier und da flackerten unruhige Feuer und versuchten die Winternacht mit etwas Licht und Wärme zu erfüllen.
Dennoch herrschte hier im Freien eine bittere Kälte, und dunkle Schatten sammelten sich zwischen den Feuern. Es gab ein paar schäbige Zelte und Unterstände, die aber keinen echten Schutz boten. Hunde und Katzen streiften umher und wühlten in der Asche nach Essensresten. Der Gestank, der von all den Menschen und Tieren ausging, war überwältigend, aber niemand schien es zu bemerken. Die Flüchtlinge auf dem Burghof waren daran gewöhnt.
Das Schlimmste war die Stille. Die Menschen saßen dicht beisammen, der Wärme und des Trostes wegen, aber sie sprachen nicht. Sie starrten in die Flammen, mit Augen, die zu viel Grauen und zu wenig Hoffnung gesehen hatten, und warteten darauf, dass die Finsternis kam und sie holte. Rupert lächelte bitter. Selbst die Mauern der Burg und die Magie, die darin steckte, reichten nicht aus, um den Einfluss des Dunkelwalds völlig fern zu halten. Angst, Unsicherheit und Verzweiflung hingen in der Luft wie ein zäher, alles erstickender Nebel und spiegelten sich in der Hilflosigkeit wider, die jedes einzelne Flüchtlingsgesicht zeichnete. Die Finsternis war in ihre Seelen eingedrungen und hatte ihnen ihren Stempel aufgedrückt. Rupert wandte den Blick ab. Trotz allem, was er erlitten und geleistet hatte, musste er am Ziel seiner Reise erkennen, dass seine Mission gescheitert war. Er kam zu spät.
Der Blaue Mond stand am Himmel, und das Waldreich befand sich im Bann der endlosen Nacht. Und von den fünfzig Männern, die ihm durch den Dunkelwald zum Schwarzen Turm gefolgt waren, hatten nur zehn überlebt.
Ich habe es versucht, dachte Rupert niedergeschlagen. Ich habe es zumindest versucht.
Er kämpfte gegen eine Woge von Selbstmitleid an, die ihn hinwegzuschwemmen drohte. Leid tun konnte er sich später, wenn er mehr Zeit dazu fand. Noch hatte er sich nicht beim König zurückgemeldet. Und er musste sich vergewissern, ob es seinen Männern gut ging. Schließlich hatten sie bis zuletzt für ihn gekämpft. Rupert sah sich nach dem Champion um, aber der war nirgends zu entdecken. Allem Anschein nach hatte er sich geradewegs zum König begeben, um ihm die Rückkehr des Großen Zauberers zu melden. Rupert zog die Stirn kraus. Da er das Unternehmen befehligt hatte, war es eigentlich seine Aufgabe und nicht die des Champions, über die Mission zu berichten. Zumindest hätte der Champion sich vorher mit ihm absprechen können. Rupert lächelte mit schmalen Lippen, als ihm die Antwort dämmerte. Der Champion hatte geschworen, ihm bis zum Ende des Unternehmens zu gehorchen. Nun, da sie sich wieder auf der Burg befanden, war Rupert für ihn nichts weiter als der nachgeborene Sohn, ohne jede Befehlsgewalt. Genau genommen musste Rupert sich von jetzt an gut vorsehen, damit der Champion ihm nicht in den Rücken fiel. Schwere Stiefel scharrten über das Kopfsteinpflaster, und als Rupert den Kopf hob, sah er den Wachoffizier vor sich stehen, groß, breitschultrig und eindrucksvoll. Ein Mann zum Fürchten, auch ohne den Zorn, der sein narbiges Gesicht verdüsterte. Er hielt eine rostige Pike in den mächtigen Pranken, und hinter ihm tauchten weitere Wachposten auf, die Rupert mit kalten, drohenden Blicken musterten. Rupert starrte ihnen gelassen entgegen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Mein Name ist Chane«, sagte der Mann vom Torhaus.
»Sie wissen, wer ich bin? Dachte ich mir fast. Sie hätten uns alle umbringen können, Sie verdammter Blödmann, und das wegen ein paar Gardesoldaten! Ich weiß nicht, was zum Teufel Sie da draußen gesucht haben oder wie es Ihnen gelang, das Tor zu öffnen, aber ich verspreche Ihnen eines: Sobald wir mit Ihnen fertig sind, wünschen Sie sich vermutlich, dass Sie den Dämonen in die Hände gefallen wären!«
Klasse, dachte Rupert. Da pf lüge ich mich durch sämtliche Dämonen des Dunkelwalds, nur um gleich nach der Ankunf t von den eigenen Leute eine Packung zu kriegen! Das ist wieder mal typisch.
Er richtete sich auf. Sein linker Arm war unbrauchbar und schlenkerte schlaff am Körper. Das Einhorn trat schützend neben ihn. Chane hob die Pike und kam mit einem hässlichen Grinsen näher. Doch im gleichen Moment lösten sich zehn verdreckte, blutverkrustete Soldaten aus den Flüchtlingsknäueln und schoben sich zwischen Rupert und die Angreifer.
Chane und seine Freunde warfen einen Blick auf die wild entschlossenen Gestalten und wichen einen Schritt zurück.
Читать дальше