»Ich weiß, dass ich zu spät zu Ihrer kleinen Versammlung komme, Landgraf. Aber mein Vater wollte mich unbedingt sprechen.«
»Natürlich, Prinz Harald«, sagte Sir Blays ruhig. »Dafür habe ich Verständnis. Leider hat das Treffen unserer Freunde, das auf Ihren ausdrücklichen Wunsch stattfindet, bereits vor mehr als einer Stunde begonnen, und wenn der versprochene Ehrengast nicht bald erscheint, könnte die Zusammenkunft beendet sein, noch ehe sie richtig in Gang gekommen ist. Die Verschwörer legen den gleichen Wert darauf, Sie kennen zu lernen, wie Sie Wert darauf legen, mit ihnen bekannt zu werden, Sire.«
»Ich werde in Kürze zu ihnen stoßen«, sagte Harald.
»Es wäre besser, wenn Sie sofort mitkämen!« Harald entging nicht, dass die Stimme des Landgrafen plötzlich schneidend klang.
»Besser?«, fragte der Prinz. »Besser für wen?«
»Besser für uns alle natürlich. Wir sitzen im gleichen Boot, Prinz Harald.«
»Ich werde kommen.«
»Das rate ich Ihnen dringend.«
Argwohn stand in den Augen der beiden Männer. Etwas hatte sich zwischen ihnen verändert, und keiner wusste so recht, was es war.
»Das klang fast wie eine Drohung«, sagte Harald leise.
»Betrachten Sie es eher als freundliche Warnung«, entgegnete Blays.
»Wie die freundliche Warnung, die Sir Bedivere meinem Vater vor einer knappen Stunde verpassen wollte? Wäre ihm die Abordnung der Bauern nicht zu Hilfe gekommen, dann hätte ihn Ihr mordgieriger Berserker umgebracht!«
Blays blickte einen Moment lang zu Boden. »Ein bedauerlicher Zwischenfall.«
Harald legte die Hand auf den Schwertgriff. »Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«
»Ich werde mich später mit Bedivere befassen.«
»Das reicht mir nicht.«
Sir Blays lächelte höflich. »Ich fände es bedauerlich, wenn unser Bündnis zerbräche, Sire, nachdem wir alle in sein Zustandekommen so viel Zeit und Mühe investiert haben. Im Moment warten unsere Anhänger ungeduldig darauf, Sie persönlich zu sehen. Sie haben sich alle an einem Ort versammelt, wie Sie es vorschlugen, obwohl das mit beträchtlichen Schwierigkeiten und Gefahren für diese Leute verbunden war. Ich finde, wir dürfen sie nicht länger warten lassen.
Hier entlang, Sire!«
Harald rührte sich nicht vom Fleck. »Sie scheinen zu vergessen, wer hier die Befehle erteilt.«
»Nein«, sagte Sir Blays. »Die Rangfolge ist mir durchaus klar.«
»Wenn ich nicht mitmache, können Sie Ihre Pläne vergessen.«
»Ganz recht. Aber auch Sie brauchen uns, Harald, und Sie sind schon zu weit gegangen, um jetzt noch umzukehren. Ich und die anderen Landgrafen können diese Burg jederzeit verlassen und zu unseren Herren zurückkehren. Früher oder später werden die Truppen des Königs so spärlich über das Land verteilt sein, dass sie ihn nicht mehr verteidigen können. Und wenn das der Fall ist, werden die Barone einmarschieren und die Macht übernehmen. Dann brauchen sie Ihre Hilfe nicht mehr, und dann brauchen sie auch keinen König mehr. Natürlich werden bis dahin die Dämonen einen Großteil des Waldkönigreichs zerstört haben. Aber wenn wir letzten Endes die Residenz stürmen, werden wir es Ihnen und Ihrem Vater ganz bestimmt nicht freistellen, ins Exil zu gehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Harald?«
»Allerdings.«
»Gut. Arbeiten Sie mit uns zusammen, und wir machen Sie zum König! Den Baronen wäre es so am liebsten. Sie sehen in einer konstitutionellen Monarchie viele Vorteile.«
»Sie meinen – in einem Marionettenkönig?«
»Ja, Harald. Genau das meine ich. Und nun haben wir genug Zeit mit unnützen Diskussionen verschwendet, finden Sie nicht auch? Ihre Gäste warten darauf, Sie begrüßen zu dürfen.«
Harald ließ die Schultern hängen, und er wandte den Blick ab, als er die offene Verachtung in den Augen von Blays las.
»Also schön, Landgraf. Es sieht so aus, als hätte ich in diesem Spiel kein Mitspracherecht.«
Und dann zuckten beide zusammen, als das Portal aufflog und Julia in den Vorraum stürmte. Sie knallte mit einem lauten Fluch die Flügeltüren hinter sich zu und schoss dem Prinzen und dem verblüfften Landgrafen einen zornigen Blick zu.
»Ach, Julia!«, sagte Harald hastig. »Kann ich dich einen Augenblick sprechen?«
Julia zuckte mürrisch die Achseln. »Wenn es unbedingt sein muss!« Sie verschränkte die Arme, lehnte sich gegen das Wandpaneel und starrte finster zu Boden.
Harald wandte sich wieder an Sir Blays. »Ich bin in wenigen Minuten bei Ihrem kleinen Fest. Ehrenwort!«
Blays musterte Julia und bedachte Harald mit einem mitleidigen Lächeln. »Natürlich, Sire, ich verstehe. Darf ich Sie zu Ihrer bevorstehenden Hochzeit beglückwünschen? Unsere Freunde warten, Sire. Bis gleich.«
Er verneigte sich vor dem Prinzen und der Prinzessin und verließ den Vorraum. Harald sah Julia an und runzelte besorgt die Stirn. Ihr Kopf war gesenkt, und ihr Blick verriet stille Verzweiflung. Ihre Niedergeschlagenheit ging Harald irgendwie zu Herzen. Seit er sie kannte, hatte sie vor nichts und niemandem kapituliert. Aber nun schien die letzte Kraft, mit der sie sich gegen die Welt gestemmt hatte, von ihr gewichen zu sein. Er trat auf sie zu.
»Julia – was ist los?«
»Nichts.«
»Aber ich sehe doch, dass irgendetwas nicht stimmt.«
»Was soll denn nicht stimmen? Was? In zwei Wochen feiere ich Hochzeit mit einem Mann, der eines Tages König sein wird.«
Harald zögerte. Er wusste instinktiv, dass er sie für sich gewinnen konnte, wenn er jetzt das Richtige sagte. Aber ein falsches Wort, und er hatte sie für immer verloren. Es erstaunte ihn selbst, wie viel ihm daran gelegen war, sie nicht zu verlieren.
»Julia, wenn wir erst einmal verheiratet sind, wird alles anders zwischen uns. Ich weiß, wie viel Rupert dir bedeutet hat, aber du wirst darüber hinwegkommen. Was immer geschah, ich bin überzeugt, dass er tapfer und ehrenvoll starb.
Und sobald der Kampf gegen den Dunkelwald vorbei ist, werde ich mit einer Schar tüchtiger Männer den Wald durchkämmen, bis wir wissen, was ihm zugestoßen ist. Und dann werden wir gemeinsam so furchtbare Rache nehmen, dass man im Waldkönigreich noch in hundert Jahren davon spricht!«
»Danke«, sagte Julia leise. »Das würde mir Spaß machen.«
»Er ist tot, Julia.«
»Ja.« Julia starrte Harald niedergeschlagen an. »Das weiß ich seit einer halben Ewigkeit, aber ich wollte es einfach nicht glauben. Lange Zeit hatte ich gehofft, gegen alle Vernunft, aber das ist nun auch vorbei. Nach all der Zeit… Ich hätte ihn begleiten sollen, Harald. Ich hätte ihn begleiten sollen!«
Harald nahm sie in die Arme. Sie versteifte sich und lehnte dann erschöpft den Kopf an seine Schulter.
»Wenn du ihn begleitet hättest, wärst du jetzt vermutlich ebenfalls tot«, sagte Harald. »Das wusste er, und deshalb nahm er dich nicht mit.«
»Ich weiß das – aber es ist kein Trost. Ich war nicht da, um an seiner Seite zu kämpfen, und nun ist er tot. Rupert ist tot.
Jedesmal, wenn ich das denke, spüre ich einen Schmerz, als hätte mir jemand in den Magen geboxt.«
»Das verstehe ich, Julia. Aber du wirst ihn vergessen, sobald wir verheiratet sind.«
Es waren die die falschen Worte, und Harald wusste es im gleichen Moment, da er sie ausgesprochen hatte. Julia versteifte sich in seinen Armen, und als sie den Kopf hob, um ihn anzusehen, waren ihre Züge hart und unnachgiebig. Harald ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Er suchte krampfhaft nach einem neuen Ansatz, um die Nähe zurückzuholen, die er gespürt hatte, aber die Zeit verstrich, und ihm fiel nichts ein. Harald zuckte innerlich mit den Schultern. Ein anderes Mal vielleicht..
»Was wollte Sir Blays von dir?«, fragte Julia kühl.
»Er erinnerte mich daran, dass ich zugesagt hatte, auf einem kleinen Fest zu erscheinen, das er veranstaltet. Ich muss mich beeilen, die Gäste sind längst eingetroffen.«
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