Und wenn der Große Zauberer selbst die Hand im Spiel hat –
ich werde meinen Bruder rächen.«
Julia warf Harald einen aufmerksamen Blick zu. Seine Stimme klang mit einem Mal kalt und schneidend, ganz anders als der lässige Tonfall, den sie von ihm gewohnt war, und einen flüchtigen Moment lang gruben sich harte Linien in seine sonst so glatten, verbindlichen Züge. Der Moment verging, aber Julia sah ihn weiter forschend an.
»Du glaubst, dass er tot ist, nicht wahr?«, fragte sie ruhig.
Harald nickte langsam. »Wir haben seit fünf Monaten nichts mehr von ihm gehört. Du musst dich damit abfinden, Julia. Er kommt nicht mehr zurück.«
Und dann verstummten sie beide, als ein Wachposten das Vorzimmer betrat, an ihnen vorbei in den Thronsaal eilte und sorgfältig die Doppeltür hinter sich schloss. Harald und Julia sahen sich schweigend an. Nach einer längeren Wartezeit schwang das Portal wieder auf, und der Wachposten verneigte sich vor ihnen.
»Prinz Harald, Prinzessin Julia – der König wünscht Sie zu sprechen!«
»Denk an die Jauchegruben!«, zischte Harald, als er neben Julia den Audienzsaal betrat.
»Wie könnte ich sie vergessen?«
»Dann lächle, verdammt noch mal! Davon wirst du nicht tot umfallen.«
»Bist du ganz sicher?«
Mit hoch erhobenen Häuptern und einem gefrorenen Lächeln kamen sie auf den Thron zu, wo sich Harald verneigte und Julia einen Hofknicks andeutete. Der König betrachtete beide und lachte spöttisch.
»Spart euch das Lächeln, Kinder – damit täuscht ihr weder mich noch sonst jemanden!« Er entließ den Leibwächter mit einer Handbewegung und wartete geduldig, bis sich die Flügeltür hinter ihm geschlossen hatte. König Johann musterte Harald und Julia eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen.
Während Harald seinen Blick ruhig erwiderte, trat Julia unruhig von einem Fuß auf den anderen und fasste mehrmals nach dem Schwertgriff. Der König hatte eine Entscheidung über ihre Zukunft getroffen; das konnte sie in seinen Zügen lesen.
»Ihr beide kommt überhaupt nicht klar, stimmt's?«, fragte König Johann schließlich.
»Das wird schon noch, Vater«, erwiderte Harald betont zuversichtlich. Julia schniefte.
Der König sah sie an und seufzte gut hörbar. »Prinzessin Julia, wie kann ein Mensch in so kurzer Zeit so viele Scherereien machen?«
»Übung«, sagte Julia knapp. »Was habe ich nun schon wieder angestellt?«
»Nach den jüngsten Hofberichten bauen Sie eine weibliche Kampftruppe auf, in der von Küchenmägden bis zu Hofdamen alle Frauen dieser Burg in Verteidigungstechniken gedrillt werden. Dazu zählt angeblich nicht nur der Umgang mit Schwert und Langbogen, sondern auch die Beherrschung gemeiner Tricks – beispielsweise Tritte gegen besonders empfindliche Stellen, wenn ein Mann bereits am Boden liegt, oder das Einreiben der Schwertklingen mit frischem Dung, damit die Wunden auch ganz bestimmt eitern.«
»Das stimmt«, gab Julia zu. »Einige meiner Damen wissen sich inzwischen gut zu wehren.«
»So ein Unfug!«, fauchte der König. »Frauen führen keine Kriege!«
»Warum nicht?«
König Johann geriet einen Moment lang ins Stammeln.
»Weil sie nun mal nicht zum Kämpfen geschaffen sind –
darum!«
»Finden Sie?«, fragte Julia gedehnt. »Dann schlage ich vor, dass Sie Ihr Schwert nehmen und ein paar Runden gegen mich antreten! Ich gebe Ihnen zwei Treffer Vorsprung und wette, dass ich trotzdem drei zu fünf gewinne!«
»Was grinst du so dämlich?«, fuhr der König Harald an.
»Ich nehme an, dass du sie in diesem Quatsch auch noch bestärkt hast.«
»Nein«, sagte Harald. »Ich erfahre eben erst von dieser neuen Freizeitbeschäftigung. Aber eigentlich finde ich den Gedanken gar nicht so schlecht. Wenn die Dämonen beschließen, die Burg zu stürmen, brauchen wir mehr Verteidiger, als wir haben. Mir ist es gleich, ob mir ein Mann oder eine Frau Rückendeckung gibt, solange sie wissen, wie man eine Waffe schwingt!«
»Hin und wieder hast du einen lichten Moment«, stellte Julia lobend fest. »Leider ziemlich selten, aber es ist besser als nichts.«
König Johann holte tief Luft, hielt sie an und atmete dann langsam aus. Es brachte ihm nicht die erhoffte Gelassenheit.
»Außerdem hörte ich, Prinzessin Julia, dass Sie und Ihre Damen meine Garde mit gezückten Schwertern vertrieben, als sie – völlig zu Recht übrigens – versuchten, Ihren letzten Waffendrill zu unterbinden. Stimmt das?«
»Mehr oder weniger«, erwiderte Julia. »Was kümmern sie sich auch um Dinge, die sie nichts angehen? Und da wir schon beim Thema sind – die Hälfte Ihrer Garde besteht aus echt lausigen Schwertkämpfern! Die Kerle hätten meiner Truppe eine Weile zusehen sollen. Vielleicht hätten sie einiges gelernt.«
Der König schüttelte angesäuert den Kopf. »Ich weiß nicht, warum ich meine Zeit damit vergeude, mit Ihnen zu streiten. Sie haben einfach kein Gefühl dafür, was sich schickt.«
»Überhaupt keines«, bestätigte Julia. »War das alles? Kann ich jetzt gehen?«
»Nein! Ich hatte Sie eigentlich hierher bestellt, um über Ihre bevorstehende Hochzeit mit Harald zu sprechen.«
»Ich heirate ihn nicht.«
»Fangen Sie nicht wieder damit an, Julia! Sie haben in dieser Angelegenheit keine Wahl. Vor zweiundzwanzig Jahren besiegelten Ihr Vater und ich einen Friedensvertrag, der den Grenzkrieg zwischen unseren beiden Ländern für immer beenden sollte. Inhalt dieses Vertrags war unter anderem die Heirat zwischen meinem ältesten Sohn und der jüngsten Tochter des Herzogs, sobald besagte Tochter ihre Volljährigkeit erreicht habe. Sie sind volljährig, Julia, und die Hochzeit wird wie geplant stattfinden. Ich denke nicht daran, wegen Ihrer Sturheit einen neuen Krieg zu riskieren. Das ständige Aufschieben hat jetzt ein Ende, Julia. Ich habe mit dem Burgkaplan gesprochen. Die Trauung wird heute in zwei Wochen vollzogen.«
»In zwei Wochen?« Julia schoss Harald einen wütenden Blick zu, aber der Prinz wirkte ebenso überrumpelt wie sie.
»In zwei Wochen«, bestätigte König Johann nachdrücklich.
»Zuletzt war noch von einem Monat die Rede«, meinte Harald. »Weshalb die plötzliche Eile?«
»Genau!« Julia sah den König misstrauisch an. »Was ist geschehen?«
Der König bedachte sie mit einem widerstrebenden Lächeln. »Ich habe Nachricht von Ihrem Vater erhalten, meine Liebe. Demnach schien er nicht weiter überrascht, dass Sie Ihre Begegnung mit dem Drachen überlebt haben. Nun, da er weiß, dass Sie heil hier angekommen sind, wünscht er Ihre baldige Heirat mit Harald. Genau genommen verlangt er sie sogar mit Nachdruck. Ich meinte, zwischen den Zeilen eine gewisse Invasions- und Kriegsdrohung zu lesen.«
»Mist«, sagte Julia. »Das klingt genau nach Dad. Wenn der sich eine Sache in den Kopf gesetzt hat, rückt er keinen Strich davon ab, ganz egal, was passiert. Ich hasse ihn!«
»Er ließe es nicht wirklich auf einen Krieg ankommen, oder?« fragte Harald.
»O doch«, entgegnete Julia verbittert. »Wenn er sich in seiner Ehre angegriffen fühlt, kämpft er bis zum letzten Blutstropfen seiner Untertanen!« Sie starrte den König grimmig an und ballte die zitternden Hände zu Fäusten, um ihren ohnmächtigen Zorn zu verbergen. »Allem Anschein nach hatten Sie Recht, Majestät. Ich werde in dieser Angelegenheit nicht gefragt.«
Der König schaute weg, weil er dem anklagenden Blick nicht standhalten konnte. Harald wollte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter legen, unterließ die Geste aber, als sie wütend herumfuhr.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass mein Vater nicht persönlich an der Zeremonie teilnehmen wird?«, fragte Julia mit harter Stimme.
»Nein«, erwiderte der König. »Allem Anschein nach ist er momentan sehr beschäftigt. Und gerade jetzt, da das Reisen so gefährlich ist… Er läßt Sie grüßen und hat Ihnen alles Gute gewünscht.«
Читать дальше