Rupert wankte erschöpft im Sattel. Um ein Haar wäre er gestürzt. Er fing sich im letzten Moment ab und umklammerte die Zügel fester. Seine Muskeln brannten, und alles drehte sich vor seinen Augen, aber er gab nicht auf. Anfangs dachte er noch an seine Pflicht, dann ans Überleben, doch am Ende kämpfte er einfach weiter, weil er sich der Finsternis nicht geschlagen geben wollte. Er war in der Vergangenheit so oft besiegt worden, aber er hatte nie aufgegeben, und er gäbe auch diesmal nicht auf. Zu seiner Linken erkannte er den Champion. Der stand an der Spitze des geschrumpften Heers und schwang seine mächtige Streitaxt wie ein Spielzeug. Sein Pferd war verschwunden, und Blut besudelte die verbeulte Rüstung, aber die Dämonenflut brach sich an ihm wie die Brandung an einer Felsenklippe. Rupert wusste, dass er bei diesem Anblick eigentlich neuen Mut schöpfen sollte, aber er fühlte sich so verdammt müde, dass er überhaupt nichts mehr empfand.
Plötzlich zerschellte mit einem lauten Krachen die Eisdecke hinter ihm, und das Burggraben-Ungeheuer schoss mit Gebrüll aus den kalten Tiefen. Der Koloss, der von der Schnauze bis zur Schwanzspitze gut zwölf Meter lang war, stürzte sich auf den nächstbesten Dämon, der Rupert bedrohte, und zerriss ihn in der Luft. Dann riss er das Maul mit den gekrümmten Fängen weit auf, warf den hässlichen Kopf zurück und heulte der Finsternis seine Kampfansage entgegen. Unter seinem Schuppenpanzer verliefen dicke Muskelstränge, und die Böschung des Burggrabens schien ein wenig unter seinem enormen Gewicht einzusinken. Nachdem er sich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass Rupert nichts zugestoßen war, stürmte er auf die Dämonen los. Seine gewaltigen Krallen und Zähne richteten ein Blutbad unter den Geschöpfen der Nacht an.
So also sieht das Burggraben-Ungeheuer aus, dachte Rupert. Ich habe mir darüber schon of t den Kopf zerbrochen.
Ziemlich… eindrucksvoll, würde ich sagen.
Ein Dämon sprang aus dem Dunkel auf ihn zu, und Rupert schlitzte ihm noch im Flug die Eingeweide auf. Der Angreifer umklammerte im Sturz seinen Schild. Mit einer Reflexbewegung schnitt Rupert die Halteschlaufen durch und ließ den Schild fallen, ehe ihn das Gewicht des Angreifers aus dem Sattel ziehen konnte. Ein Ding mit triefenden blutroten Augen kam aus den Schatten geflogen und prallte so heftig gegen seine Brust, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Die Kreatur verankerte sich mit einem Dutzend Beinen an den Ringen seines Kettenhemds und schnappte nach seiner ungeschützten Kehle. Rupert riss den linken Arm hoch, um den Angriff abzuwehren, und der Dämon grub ihm die Fänge bis an den Knochen ins Fleisch. Stöhnend versuchte der Prinz die Bestie mit seinem Schwert zu erreichen, aber sie klammerte sich zu eng an seine Brust. Ein paar andere Dämonen erkannten seine Verwundbarkeit und kamen auf ihn zugerannt. Rupert versuchte erneut das Schwert zu heben, aber er konnte an nichts anderes als den grässlichen Schmerz denken, der ihm wie Feuer durch den linken Arm pulsierte.
Und dann kam die Axt des Champions aus dem Nichts und spaltete den Dämon mittendurch. Die Kiefer erschlafften, und Rupert konnte den Angreifer endlich abschütteln. Er drehte sich nach dem Champion um, doch der war bereits wieder im Kampfgewühl verschwunden.
Einen Moment lang brandete die Schlacht an Rupert vorbei, und er fand die Zeit, seinen verletzten Arm zu untersuchen. Weiße Knochensplitter ragten aus der Wunde, aber er konnte die Finger noch bewegen. Rupert biss die Zähne zusammen, schob die linke Hand unter den Schwertgurt und zog den Riemen fester, um den Arm ruhig zu stellen. Keine ideale Schlinge, aber mehr konnte er im Moment nicht tun. Mit diesem Arm habe ich nur Pech, dachte er, während er sein Zittern zu unterdrücken suchte. Ich hof f e, dass der Große Zauberer ihn noch einmal hinkriegt. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein, dass die Unterstützung durch die Magier sehr abrupt geendet hatte, und er drehte mühsam den Kopf nach hinten, um einen Blick auf die Burg zu werfen. Dutzende von Fackeln erhellten die Zinnen, aber von den Zauberern sah er nirgends eine Spur. Mit einem zornigen Fluch wandte Rupert seine Aufmerksamkeit wieder dem Kampfgeschehen zu.
Schritt für Schritt wurde er mit dem Rest des Heeres zurückgedrängt. Doch obwohl die Zahl der Dämonen kaum abnahm, schien der Druck ein wenig nachzulassen, da sich die Leiber der Toten und Sterbenden wie eine Barriere zwischen dem Heer und den Angreifern türmten. Rupert suchte nach vertrauten Gesichtern unter den Überlebenden und runzelte besorgt die Stirn, als er Julia nirgends entdecken konnte.
Er reckte den Hals und erstarrte mitten in der Bewegung. Den Rücken gegen einen Baumstamm gepresst, kämpfte Julia etwa zehn Meter jenseits der Barrikade gegen eine Horde von Dämonen an, die sie einzukesseln drohten.
Rupert umklammerte das Schwert mit festem Griff und lenkte das Einhorn vorwärts, aber das Tier hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als es stolperte und beinahe zu Fall kam. Der Prinz schaute nach unten und schluckte entsetzt: Das Einhorn war blutüberströmt, und seine Flanken hoben und senkten sich zitternd. Er stieg rasch ab und untersuchte die Wunden seines treuen Begleiters. Ein Dämon kam über die Barrikade gestolpert. Rupert tötete ihn, ehe er angreifen konnte, und wandte sich wieder dem Einhorn zu.
»Was zum Teufel tust du da?«, stieß das Einhorn atemlos hervor. »Sieh zu, dass du wieder in den Sattel kommst, bevor dich die Dämonen überwältigen!«
»Weshalb hast du mit keinem Wort gesagt, dass du verletzt bist?«
»Wir sind alle verletzt, Rupert.«
»In diesem Zustand kannst du keinen Reiter tragen! Sieh zu, dass du den Graben erreichst und auf den Burghof fliehst, sobald die Zugbrücke heruntergelassen wird. Das dürfte nicht mehr allzu lange dauern.«
»Vergiss es! Ohne mich überstündest keine fünf Minuten.«
»Sturmwind…«
»Nein! Ich lasse dich nicht allein.«
»Das ist ein Befehl, Sturmwind!«
»Was du nicht sagst! Du scheinst zu vergessen, dass ich frei bin.«
»Sturmwind, tu bitte ein einziges Mal in deinem Leben das, worum ich dich bitte! Ich muss los und Julia helfen; sie braucht mich. Wir kommen beide zu dir zurück, sobald mein Vater das Signal zum Rückzug gibt. Ehrenwort! Und jetzt verschwinde, solange du noch die Kraft dazu hast!«
»Ich hasse es, dir Recht zu geben«, murmelte das Einhorn.
Mit kraftlos gesenktem Kopf trat es den Rückzug an. Rupert sah ihm lange genug nach, bis er sicher war, dass Sturmwind sich hinter den Reihen der Kämpfenden befand. Dann rannte er auf die Barrikade zu. Er musste zu Julia…
Harald und König Johann kämpften Rücken an Rücken und hielten mit ihren Höllenschwertern die Dämonen in Schach.
Blut tropfte von ihren zerfetzten Kettenhemden – und es war nicht nur Dämonenblut. Rupert wartete einen Moment, bis er sicher war, dass ihre ganze Aufmerksamkeit den Gegnern zugewandt war, und zog sich dann an der Barrikade hoch. Er glaubte zwar nicht, dass sein Vater ihn zurückhalten würde, aber er wollte kein Risiko eingehen. Die Leichenstapel gerieten unter seinem Gewicht ins Rutschen, und er duckte sich erschrocken in die Schatten. Die meisten Dämonen waren damit befasst, die Barriere zu durchbrechen. Ihnen schien gar nicht in den Sinn zu kommen, dass jemand versuchen könnte, das Hindernis in der Gegenrichtung zu überwinden. Bald verlagerte sich das Gefecht weg von Rupert, und er konnte unbemerkt auf der anderen Seite der Barriere in die Tiefe springen. Ein feuriger Schmerz jagte ihm durch den Arm, als er landete. Er zuckte zusammen und stieß einen leisen Fluch aus. Aber dann hatte er sich wieder gefasst und rannte mit dem Schwert in der Rechten auf Julia zu.
Julia rückte keine Handbreit von dem schützenden Baumstamm weg, während sie die Zauberklinge im Halbkreis von einer Seite zur anderen schwang. Ringsum verrotteten die Leichname der Dämonen, aber das schreckte die Angreifer nicht ab. Wütend hieb sie auf die grinsenden Kreaturen ein, die sie mit Fängen und Klauen bedrohten. Sie wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie zu schwach oder zu langsam wurde, um sich zur Wehr zu setzen. Und dann würde die Horde über sie herfallen. Sie hoffte, dass der Tod schnell käme, auch wenn sie das Gegenteil befürchtete. Sie zögerte kurz, als ihre Konzentration nachließ, und schon tauchte ein Dämon unter dem Schwert durch und versuchte ihr an die Kehle zu fahren. Sie zerschmetterte ihn mit einem Rückhand-Hieb, der ihre Deckung weit öffnete. Die Monster drängten näher.
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