Rupert beugte sich aus dem Sattel und hieb auf einen Dämonen ein, der ihn anspringen wollte. Im nächsten Moment schnellte aus dem Astwerk über ihm ein Tentakel mit Widerhaken dicht an seinem Kopf vorbei. Er riss den Dolch heraus, aber das Einhorn hatte ihn bereits außer Reichweite des neuen Angreifers getragen. Die Schlacht verkam zu einem heillosen Durcheinander. Die Attacken der Dämonen erfolgten von allen Seiten gleichzeitig, und für jeden Feind, der fiel, schienen hundert neue Gegner aus dem Dunkel zu strömen. Heer und Dämonen drängten vor und zurück, ein blutiges Chaos aus Schwertern und Äxten, Fängen und Klauen, und auf dem Boden stapelten sich die Toten. Rupert ließ verzweifelt die Blicke umherschweifen. Nirgends gab es Deckung. Seine treuen Gardisten waren von ihm getrennt worden, als sich die Heeresordnung auflöste. Er stieß einen zornigen Fluch aus und wehrte die Dämonen ab, die sich um das Einhorn scharten. Mit dem Erlöschen des Zaubers hatte das Heer seinen kleinen Vorteil rasch wieder verloren. Schon fielen einige Splittergruppen zurück, als die Dämonen mit neu erwachter Wildheit auf sie losstürmten.
Rupert versuchte einen Angreifer abzuschütteln, der sich selbst dann noch an seinen Stiefel klammerte, als er ihm den Schädel spaltete. Das stark dezimierte Heer des Waldkönigreichs wurde langsam, aber stetig zurückgedrängt. Es gab auf keiner Seite Verwundete; die Dämonen waren ausgehungert.
Rupert kämpfte gegen eine Welle von Übelkeit an, als er sah, wie viele seiner Mitstreiter bereits tot waren, obwohl der Kampf gerade erst begonnen hatte.
Sie standen immer auf verlorenem Posten, dachte er müde.
Ich versprach ihnen, dass sie das Reich retten könnten, und habe sie stattdessen in den Tod gef ührt. Himmel und Hölle noch mal! Irgendetwas muss den Dämonen doch Einhalt gebieten! Es muss einf ach etwas geben!
Er versuchte dem Einhorn mit dem Schwert eine Gasse frei zu machen, aber von allen Seiten kesselten ihn Dämonen ein.
Langsam, Schritt für Schritt, fiel das Heer zurück. Die Schlacht hatte sich in ein verbissenes Rückzugsgefecht verwandelt. Blut sickerte in den aufgewühlten Boden, dunkel und klebrig, und manche Dämonen wühlten ihre Schnauzen tief in den Schlamm, um es zu trinken. Das Heer fiel zurück, und die Dämonen setzten nach; sie huschten von Schatten zu Schatten, ließen sich aus dem Astwerk fallen, zwängten sich durch Erdspalten aus der Tiefe. Die Nacht wurde noch dunkler, und in den Schatten lauerten Zerrbilder der Schöpfung.
Harald schlitzte einem Dämon mit einem gut gezielten Hieb den Bauch auf und umklammerte gleich darauf mit aller Kraft die Zügel seines Streitrosses, das die zappelnde Kreatur unter seinen Hufen zertrampelte. Sein glänzendes Kettenhemd war zerkratzt, zerrissen und mit Blut getränkt, das teilweise von seinen eigenen Wunden tropfte. Sein Schwert hob und senkte sich ohne Pause, doch die Dämonen wichen nicht zurück. Er kämpfte mit eiskalter Ruhe, hart und unnachgiebig wie die Klinge in seiner Hand, aber die Dämonen ließen nicht von ihm ab. Wann immer sich die Gelegenheit bot, warf er einen raschen Blick über die Schulter, um abzuschätzen, wie weit es noch bis zum Burggraben war. Noch hatte der König nicht den Befehl zum Rückzug erteilt, aber die Schlacht war verloren, und jeder wusste es. Harald hatte keine Schuldgefühle und spürte kein Bedauern; niemand hätte gegen diese Übermacht gewinnen können. Das Heer des Waldkönigreichs war besiegt gewesen, ehe sie die Zugbrücke überquerte. Der Graben war jetzt nicht mehr weit entfernt, und Harald versuchte sein Pferd zu wenden, doch die Dämonen, die ihn in Trauben umlagerten, behinderten jede seiner Bewegungen. Ihm blieb keine andere Wahl, als Schritt für Schritt vor den Angreifern zurückzuweichen und dem Rest des Heeres zum Burggraben zu folgen. Mit einem Mal fühlte er sich hilflos in die Enge getrieben. Panik stieg in ihm auf.
Er nahm seine ganze Selbstbeherrschung zusammen und kämpfte die Angst nieder. Wenn er jetzt nur eine Sekunde lang den Mut verlor, bliebe ihm nicht einmal genug Zeit, um seine Schwäche zu bedauern. Zu seiner Rechten entdeckte er Rupert, der ebenfalls langsam von den Angreifern zurückgedrängt wurde. Ruperts Klinge blitzte silbern durch das Dunkel und mähte die Dämonen nieder wie eine Sichel das reife Korn. Harald wandte den Blick ab. Er hatte am eigenen Leib verspürt, dass sein Bruder mit dem Schwert umzugehen wusste. Die Narben erinnerten ihn immer noch daran.
Du könntest der bessere Schwertkämpf er sein, flüsterte eine leise Stimme in seinem Innern. Um das zu erreichen, musst du lediglich Blitzstrahl ziehen.
Ein Schauer durchlief Harald, und er hieb wütend auf den nächsten Dämonen ein. Er würde Blitzstrahl ziehen, wenn er keine andere Wahl mehr hatte – und nicht früher.
König Johann hatte Mühe, sich im Sattel zu halten, da sein Streitross hierhin und dorthin zerrte, halb von Sinnen vor Angst und Schmerzen. Er schlug mit dem Schwert um sich, und längst nicht alle Hiebe waren Treffer, aber irgendwie schaffte er es doch, die Dämonen auf Abstand zu halten. Die Waffe in der Faust wurde mit jedem Hieb schwerer und unhandlicher. Er litt unter Atemnot, und das Herz hämmerte ihm schmerzhaft gegen das Brustbein. Schweiß lief ihm in die Augen, aber er hatte weder die Zeit noch die Energie, ihn abzuwischen. Zu alt, dachte Johann bitter. Viel zu alt, verdammt noch mal!
Felsenbrecher schlug ihm bei jeder Bewegung gegen den Rücken, wie zur Erinnerung, dass es auch noch da war. König Johann achtete nicht darauf. Er war noch nicht bereit, das Schwert der Hölle einzusetzen. Noch nicht ganz.
Prinzessin Julia wickelte die Zügel um den linken Arm und schwang das Schwert beidhändig mit einem wilden Zorn, der die Dämonen zurücktrieb. Ihre Truppe war längst weit verstreut. Julia wusste, dass die meisten Frauen den Dämonen zum Opfer gefallen waren. Sie hatten gut gekämpft und waren tapfer gestorben, aber sie waren von Anfang an so vielen Angreifern gegenüber machtlos gewesen. Wenn mir nur mehr Zeit geblieben wäre, dachte Julia. Welch ein Heer hätte ich mit euch auf bauen können! Ihr Pferd taumelte plötzlich und stieß ein schrilles Wiehern aus. Julia löste die Füße aus den Steigbügeln und warf sich nach vorn, als das Tier unter ihr zusammenbrach. Es bäumte sich kurz auf, während ihm Dämonen die Kehle zerfetzten, und blieb regungslos liegen.
Einige der Bestien stürzten sich auf den großen Brocken Fleisch, den sie aus einer Flanke gerissen hatten. Julia war rasch wieder auf den Beinen und kämpfte weiter, aber der Sturz hatte sie durcheinander gebracht. Alles geschah viel zu schnell. Sie wich so rasch wie möglich zurück, während die Dämonen sie umzingelten und ihr den Weg zum Heer abschnitten. Julia presste den Rücken an einen morschen Baumstamm und blickte verzweifelt umher. Das Heer wurde mit jeder Angriffswelle weiter zurückgedrängt. Sie sah keine Möglichkeit, die Lücke wieder zu schließen. Die Dämonen kamen langsam näher. Sie genossen die Furcht ihres Opfers und ließen sich deshalb Zeit. Julia schwang die Klinge in einem weiten Bogen hin und her. Ihr Atem ging kurz und stoßweise. Sie war allein und zu Fuß. In dieser Lage hätte ihre ganze Kraft und Fechtkunst nicht ausgereicht, um sich zu retten, und das wusste sie. Mit einem heftigen Fluch schob sie ihre Waffe in die Scheide und zog Hundsgift.
Das Schwert löste sich wie von selbst aus der silbernen Umhüllung und schien ihr förmlich in die Hand zu springen.
Die breite, matt glänzende Klinge pulsierte plötzlich in einem fahlgelben Licht. Die Dämonen blieben unvermittelt stehen und starrten das glühende Schwert wie hypnotisiert an. Der Griff erwärmte sich unter Julias Fingern, und ein sonderbares Gefühl beschlich sie – als bewege sich etwas durch die Nacht, das seit Jahrhunderten geschlafen hatte und nun erwacht war…
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