»Sie heiratet Harald – aus freien Stücken!«
»Klar«, spöttelte das Einhorn. »Und Dämonen sind Vegetarier. Du urteilst zu hart, Rupert. Wenn sie Harald heiratet, dann nur, weil der Hof sie unter Druck setzte. Sie hatte von Anfang an keine Wahl in der Angelegenheit, oder?«
»Ich weiß nicht«, sagte Rupert müde. »Ich weiß überhaupt nichts mehr.«
»Reiß dich am Riemen!«, forderte ihn das Einhorn auf.
»Wir reiten bald in die Finsternis hinaus. Da kannst du deinen ganzen Zorn an den Dämonen auslassen. Die werden nicht wissen, wie ihnen geschieht!«
»Ja. Sicher.« Draußen auf dem Burghof schaute Julia plötzlich zu den Ställen herüber, und Rupert trat rasch zurück, ehe sie ihn erspäht hatte. Er konnte seinen Zorn selbst nicht verstehen. Schließlich war es ihr Leben, und sie hatte das Recht, frei darüber zu entscheiden. Er kannte sie nicht einmal richtig. Sie hatten ein paar Monate zusammen verbracht, und dann hatte er sich auf die Reise zum Schwarzen Turm begeben und sie auf der Burg zurücklassen müssen.
Nach so vielen Monaten der Trennung und in der berechtigten Annahme, dass er unterwegs den Tod gefunden hatte, war zu erwarten gewesen, dass sich Julia einem anderen zuwandte.
Und Harald hatte es schon immer verstanden, seinen Charme bei Frauen einzusetzen. Es war fast unvermeidbar gewesen, dass die beiden zusammenfanden.
Alles schön und gut, dachte Rupert grimmig. Aber dieser Hundsf ott kann nicht noch verlangen, dass ich ihm den Brautf ührer mache!
Er kehrte dem Stalltor den Rücken zu und zerrte wütend an seinem neuen Kettenpanzer herum. Das Oberteil war offensichtlich für jemanden gefertigt worden, der größer und in den Schultern sehr viel breiter war als er, und an den wenigen Stellen, wo das Ding tatsächlich eng genug saß, scheuerte es unbarmherzig die Haut wund. Die Ärmel waren zu lang, die Beinkleider pluderten, und die Taille verrutschte ständig. Zu allem Übel fiel ihm dauernd die Kapuze über die Augen.
Rupert stampfte zwischen den Boxen auf und ab und versuchte sich an die Rüstung zu gewöhnen, gab aber bald auf. Es konnte Wochen dauern, bis ein neuer Kettenpanzer richtig passte, aber diese Zeit hatte er nicht. Er musste das verdammte Blech so nehmen, wie es war.
»Das ist doch wieder typisch«, knurrte er nach einer Weile.
»Was?«
»Da stehe ich in einer blitzblanken neuen Rüstung, soll in Kürze in den Dunkelwald ausrücken und das Böse bekämpfen
– und mir fällt nichts Besseres ein, als dass ich dringend aufs Klo muss.«
Das Einhorn feixte gefühllos. »Das sind die Nerven, mein Lieber. Versuch an etwas anderes zu denken.«
»Du hast leicht reden. Du pinkelst einfach los, wenn die Blase spannt. Ich dagegen muss erst mal meinen Panzer demontieren.«
»Keine Sorge«, sagte das Einhorn. »Sobald wir das Burgtor hinter uns gelassen haben, vergeht dir beim Anblick der Dämonenhorden jeder menschliche Drang.«
»Du bist eine echte Hilfe!«
»Ich weiß.«
»Ach, zum Henker damit!«, fluchte Rupert und begann vor den entsetzten Blicken des Einhorns den Kettenpanzer zu lösen.
»Rupert, um Himmels willen, was hast du vor?«
»Zuerst werde ich mich dieser elenden Rüstung entledigen, und dann werde ich meine Blase entleeren. Sonst noch Fragen?«
»Nur die eine: Wie lange kannst du schätzungsweise ohne Rüstung überleben? Die werden dich in Stücke reißen!«
»Ein Problem nach dem anderen!«
»Wenn ich mich recht erinnere«, meinte das Einhorn, während es versonnen zusah, wie die Teile der Rüstung nach und nach zu Boden klirrten, »hast du schon einmal auf deinen Panzer verzichtet – und kurz darauf die Kobolde in die Flucht geschlagen. Vielleicht hast du ja wieder Glück.«
»Ich kämpfe ohne Rüstung immer besser«, erklärte Rupert mit leerem Blick, während er gegen den nächstbesten Stallpfosten pinkelte. »Kettenpanzer sind zwar nicht so schlimm wie Eisenplatten, aber das Ding passt wie ein Sack und ist mir nur im Weg. Aber keine Angst, ich bin nicht völlig verblödet: Den Brustpanzer behalte ich. Wolltest du etwas sagen, Einhorn?«
»Nie und nimmer!«
Rupert schnallte das Schwert um und schlenderte zum Einhorn zurück.
»Fühlst du dich jetzt besser?«, erkundigte sich das Einhorn.
»Ganz entschieden!«
»Dann könntest du mir vielleicht verraten, wie hoch du unsere Chancen einschätzt, lebend aus dieser Geschichte herauszukommen.«
Rupert wandte den Blick ab und zuckte müde mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Sturmwind. Wir haben den Großen Zauberer auf unserer Seite, falls er rechtzeitig nüchtern wird. Und die Schwerter der Hölle müssten auch einen Unterschied machen, wenn wir sie unter Kontrolle halten können. Unsere persönlichen Chancen… sind nicht besonders gut, aber wir beide sind es seit langem gewohnt, aussichtslose Kämpfe zu gewinnen, oder?«
»Mit anderen Worten«, sagte das Einhorn, »wir werden da draußen sterben.«
Rupert schwieg für einen Moment. »Es sieht ganz danach aus«, bestätigte er schließlich. »Wir haben unser Glück ziemlich ausgereizt, mein Freund. Nur ein Wunder kann uns retten. Aber wenn wir kämpfen, haben wir zumindest die Möglichkeit, ein paar Dämonen mit in den Tod zu nehmen.«
»Kein echter Trost, wenn man es genau nimmt«, meinte das Einhorn.
»Rupert…« Julias Stimme klang unsicher. »Ich muss mit dir reden.«
Rupert fuhr herum. Julias Silhouette zeichnete sich gegen die offene Stalltür ab. Langsam kam sie näher, bis der Schein der Laterne sie erfasste, und Rupert wusste nicht, ob er lächeln, sich verbeugen oder sich abwenden und die Flucht ergreifen sollte. In ihren alten Sachen sah sie aus wie früher, und er wollte nicht an diese Zeit erinnert werden.
»Ich habe zu tun, Julia. Kann das nicht warten?«
»Nein«, sagte sie fest.
Sie musterte Rupert schweigend, sah die dunklen Ringe der Erschöpfung unter seinen Augen und seine abwehrende Haltung. In seinen Zügen lag ein bitterer, niedergeschlagener Ausdruck, den sie noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, vor einem Fremden zu stehen. Der Moment verging, und Julia setzte ein Lächeln auf. Ihre Zweifel ließen sich am besten ausräumen, wenn sie ohne Umwege zur Sache kam.
»Ich liebe dich, Rupert.«
Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. »Natürlich. Und deshalb heiratest du Harald.«
»Nein, Rupert. Sie können drohen und bitten, und sie können mich gegen meinen Willen vor den Altar schleifen, aber ich lasse mich nicht zwingen, ihn zu heiraten.«
»Tatsächlich?« Rupert schien nicht genug Kraft aufzubringen, um richtig wütend zu werden. Er war einfach zu müde für solche Gefühlsausbrüche. Julia legte ihm eine Hand auf den Arm, und er empfand die sanfte Berührung wie eine Zentnerlast.
»Rupert, ich will nicht, dass du in diese Schlacht ziehst und an eine Lüge glaubst. Mir liegt absolut nichts an Harald oder dem Thron des Waldkönigreichs. Ich habe nur den Wunsch, mit dir zusammen zu sein.«
»Ich habe dich im Audienzsaal gesehen«, sagte Rupert mit belegter Stimme. »An Haralds Seite…«
»Ich war sauer«, erklärte Julia. »Ich wollte dich verletzen, eifersüchtig machen, weil… ach, Rupert…«
Sie kam einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an sie, vergrub das Gesicht an ihrem Hals, und sie presste ihn an sich, ohne darauf zu achten, dass er ihr die Luft abschnürte.
»Lass mich nicht allein«, raunte Rupert heiser. »Ich habe nur dich!«
»Ich lasse dich nie mehr allein«, versprach Julia feierlich.
»Nie mehr, mein Liebster!«
»Ich auch nicht«, sagte das Einhorn und stieß die beiden erstaunlich sanft mit dem Kopf an. Ohne sich umzudrehen, streckte Rupert einen Arm aus und schlang ihn um den Nacken des Einhorns.
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