Hazel streckte das Schwert nach vorn aus und wirbelte einmal im Kreis herum. Sie lauschte angestrengt nach dem leisesten Geräusch, aber die Umgebung erschien ihr völlig lautlos.
Der Romanow konnte überall in dieser verdammten Halle stecken… Sie warf dem Kartakis rasch einen finsteren Blick zu, um ihn zu mahnen, daß er ruhig sitzen blieb, und freute sich zu sehen, wie er sofort wieder auf seinen Platz zurücksank. Und dann packte sie von hinten ein Arm um den Hals, verstärkte den Griff, drückte ihr die Luft ab. Sie kämpfte wütend gegen den Würgegriff an, schaffte es aber nicht, den Romanow abzuschütteln. Kraft allein reichte nicht, um so einen Griff aufzubrechen, einen der wenigen Griffe, der tatsächlich eine Chance gegen jemanden bot, der so stark war wie Hazel D’Ark. Sie hatte also nach wie vor menschliche Schwachpunkte. Sie stolperte vorwärts und rückwärts, zerrte den Romanow dabei mit, rang verzweifelt nach Luft, war wütend auf sich selbst, weil sie zugelassen hatte, daß sie in der Konzentration nachließ. Sie mußte den Romanow besiegen, ehe Owen zurückkehrte, oder sie würde nie wieder ein Ende seiner Vorhaltungen erleben.
Sie beugte sich blitzschnell in der Taille vor, und der Romanow flog über ihren Kopf, so daß sein eigenes Gewicht und sein eigener Impuls den Würgegriff lösten. Sie hörte, wie er heftig auf dem Boden aufschlug, und warf sich sofort herum und pustete das Exoskelett mit ihrem Disruptor weg. Die Panzerung explodierte mit einem zufriedenstellend lauten Knall und ging in Flammen auf. Dadurch wurde die Holoillusion des Romanows abgeschaltet, und da sah sie ihn vor sich, wie er gerade aufstand, ein kurzes, aber häßliches Messer in der Hand.
Sie hätte ihn wirklich durchsuchen sollen.
Hazel saugte tief Luft in die überlasteten Lungen und hielt das Schwert ruhig vor sich ausgestreckt. Der Romanow war ein großer Kerl, aber sie hatte schon größeren gegenübergestanden, und jetzt war sie wieder im Vorteil. Der Romanow schien das zu spüren und öffnete die Hand, damit das Messer zu Boden fiel. Hazel entspannte sich ein wenig. Sie hätte wissen müssen, daß der Aristo nicht den Mumm für irgend etwas hatte, das von fern an einen fairen Kampf erinnerte.
Sie gab ihm mit einem Wink des Schwerts zu verstehen, daß er sich wieder setzen sollte, und wußte sofort, daß sie einen Fehler gemacht hatte – denn ein Mann, der eine versteckte Waffe bei sich getragen hatte, konnte gut noch eine weitere haben. In dem Augenblick, als sich Hazels Schwert von ihm fortbewegte, beugte der Romanow den Arm, und ein Messer fiel ihm aus einer getarnten Scheide in die Hand. Sofort zuckte es auf Hazels ungeschützten Unterleib zu, während ihr Schwert gerade meilenweit aus dem Gefecht war. Es war ein plötzlicher, simpler, überraschend schneller Angriff, und jedem anderen Gegner hätte er sicherlich das Leben gekostet. Hazel war aber kein beliebiger Gegner, schon lange nicht mehr. Mit übermenschlicher Kraft und Schnelligkeit riß sie das Schwert zurück in die Bahn des Messers, parierte es und schlug es zur Seite. Der Romanow, vom Schwung des eigenen Angriffs mitgerissen, spießte sich selbst auf dem bereitgehaltenen Schwert auf.
Mit verzerrtem Gesicht sank der Romanow zu Boden, ließ das Messer fallen und packte die Schwertklinge, die ihn durchbohrte, mit beiden Händen, als könnte er den tödlichen Stahl irgendwie aus sich herausziehen. Und in diesem Augenblick, als er sich mit der verzweifelten Kraft des Sterbenden an Hazels Schwert klammerte, bemerkte Hazel, daß sie den Kartakis aus den Augen verloren hatte. Sie sah sich wütend um, versuchte das Schwert loszureißen, schaffte es aber nicht. Und da erblickte sie den Kartakis auf den Beinen, ebenfalls ein bislang verstecktes Messer in der Hand. Sie traf Anstalten, mit der Schußwaffe auf ihn zu zielen, aber die Hand des Kartakis zuckte vor und schleuderte das Messer mit tödlicher Genauigkeit.
Hazel wußte, daß sie nicht mehr ausweichen konnte. Sie versuchte es trotzdem, und die Zeit kam fast zum Stillstand. Das Messer kroch zentimeterweise durch die Luft und nahm direkt Kurs auf ihr linkes Auge. Und Hazel wußte, daß sie sterben würde, allein und weit von ihren Freunden und jeder Hilfe entfernt.
O Owen, ich wünschte…
Und da war er, tauchte aus der Luft heraus auf und schlug das Messer mit der Hand weg. Es flog zum Werfer zurück und versenkte sich bis zum Griff im Hals des Kartakis, als gehörte es dorthin. Der Aristokrat beugte sich langsam vor, als verneigte er sich vor Owen und Hazel, und fiel tot zu Boden. Der Romanow tat ebenfalls seinen letzten Atemzug, löste die Hände von Hazels Schwert und kippte nach hinten. Hazel riß das Schwert heraus und drehte sich um, nur ein klein wenig außer Atem, um Owen für die Rettung im letzten Augenblick zu danken. Und erst in diesem Augenblick fiel ihr auf, wie anders er aussah.
Er trug andere Kleidung, zerrissen und blutig, darüber einen großen pelzbesetzten Umhang. Das Gesicht wirkte müde und ausgezehrt, und er atmete schwer und tief, als hätte er einen langen Lauf hinter sich. Er sah aus, als wäre er durch die Hölle marschiert und hätte sich jeden Schritt freigekämpft, aber in seinem stetigen Blick entdeckte Hazel sowohl Entschlossenheit als auch eine verzweifelte, tief im Mark sitzende Traurigkeit.
Er zeigte ihr ein seltsames, sanftes Lächeln, und streckte eine Hand aus, als wollte er ihre ergreifen. Hazel steckte die Pistole ins Halfter und wollte die Geste erwidern, und in diesem Augenblick bemerkte sie, daß Owen ihr eine Linke aus Fleisch und Blut entgegenhielt, nicht die goldene Hadenmännerhand, die sie schon vor langer Zeit ersetzt hatte. Hazel zögerte, stoppte ihre Hand unmittelbar vor seiner, und Owen lächelte traurig, als hätte er gewußt, daß sie seine Hand ausschlagen würde, sich aber trotzdem mehr erhofft. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Hazel beugte sich verzweifelt vor, wußte irgendwie, daß es lebenswichtig war, ihn zu verstehen – aber da war er schon wieder dorthin verschwunden, wo immer er hergekommen war, zu irgendeiner verzweifelten Flucht, die er unterbrochen hatte, um sie zu retten, als niemand sonst es konnte.
Hazel sah sich um, aber die Halle war leer, abgesehen von den beiden toten Aristokraten und dem leise vor sich hinbrennenden Exoskelett. War das wirklich Owen gewesen, aus dem Nichts erschienen, um sie zu retten, als sie es am nötigsten hatte? Aber er hatte zwei Menschenhände gehabt. War es ein Owen von einer anderen Zeitschiene gewesen, wie die anderen Hazels, die sie zuzeiten heraufbeschwor? Und falls das so war, warum hatte er so traurig ausgesehen? Sie griff auf ihr Komm-Implantat zu.
»Owen, melde dich! Alles in Ordnung mit dir? Owen?
Owen!«
Die Geistkriegerin, die aus Katies Überresten bestand, wankte auf ihn zu, das Schwert einsatzbereit, und er glaubte nicht, schon jemals so wütend gewesen zu sein. Besorgt war er nicht.
Für jemanden, der einmal von Mann zu Mann gegen einen Grendel angetreten war, bedeutete eine einsame Geistkriegerin mit nur einem Schwert keine große Gefahr. Sie schlug mit dem Schwert nach ihm, und er parierte mühelos. Aber das Grab der ersten Frau zu entweihen, für die er je etwas empfunden hatte, nur eines kranken Witzes halber… einer anderen Möglichkeit halber, ihm weh zu tun… Owen packte den Schwertgriff so fest, daß ihn die Hand schmerzte. Er wollte Katie nicht noch einmal umbringen. Es war schon beim ersten Mal hart genug gewesen. Andererseits konnte er auch nicht zulassen, daß diese Verspottung einer alten Liebe weiterging. Er mußte die Sache beenden, und sei es nur, um endlich Valentin nachzusetzen und ihn mit bloßen Händen zu zerreißen. Und da öffnete sich der tote Mund, und eine Annäherung an Katies Stimme ertönte. Es war nicht die Leiche, die sprach. Die Stimmbänder mußten inzwischen verwest sein. Es war nur eine Aufzeichnung.
Читать дальше