»Das kann er gar nicht«, wandte Calm ein. »Das hier ist ja nicht einmal eine richtige Stadt.«
»Das wird sie aber einmal werden«, meinte Geschichtentauscher. »So etwas habe ich schon öfter gesehen. Wenn die Mühle erst einmal arbeitet, wird es nicht mehr lange dauern, und zwischen Eurer Mühle und Vigor Church leben dreihundert Leute.«
»Meint Ihr?«
»Im Augenblick kommen die Leute vielleicht drei- oder viermal im Jahr zu Brustwehrs Geschäft«, sagte Geschichtentauscher. »Aber wenn sie dort Mehl erhalten, werden sie sehr viel öfter kommen. Dann werden sie Eure Mühle eine Weile lang jeder anderen im Umkreis vorziehen, denn Ihr habt eine ausgebaute Straße und gute Brücken.«
»Wenn die Mühle Geld abwirft«, sagte Measure, »wird Pa bestimmt einen Buhrstein aus Frankreich bestellen. In West Hampshire hatten wir einmal einen, bevor die Flut die Mühle vernichtete. Und ein Buhrstein bedeutet feines weißes Mehl.«
»Und weißes Mehl bedeutet gute Geschäfte«, sagte David. »Wir Älteren, wir erinnern uns noch daran.«
Er lächelte wehmütig. »Damals waren wir beinahe reich.«
»Also«, meinte Geschichtentauscher. »Bei all dem Verkehr hier wird es nicht nur einen Laden und eine Kirche und eine Mühle geben. Unten im Wobbish gibt es guten weißen Ton. Da wird es nicht ausbleiben, daß auch ein Töpfer sein Geschäft aufmacht und Töpfer- und Steingut für das ganze Gebiet herstellt.«
»Ich wünschte mir, daß das möglichst bald käme«, bemerkte Calm. »Meine Frau sagt, daß sie es wirklich leid ist, das Essen immer auf Blechtellern servieren zu müssen.«
»So wachsen Städte«, erklärte Geschichtentauscher. »Ein guter Laden, eine Kirche, dann eine Mühle, dann eine Töpferei. Und übrigens auch Ziegeleien. Und wenn es eine Stadt gibt…«
»… dann kann David Bürgermeister werden«, sagte Measure.
»Ich nicht«, widersprach David. »Dieses ganze Politikgeschäft ist mir zuviel. Brustwehr will so etwas haben, nicht ich.«
»Brustwehr will König werden«, meinte Calm.
»Das ist aber eine unschöne Bemerkung«, sagte David.
»Aber sie stimmt«, erwiderte Calm. »Der würde doch sogar versuchen, Gott zu werden, wenn er glaubte, daß der Posten zu haben wäre.«
Measure erklärte Geschichtentauscher: »Calm und Brustwehr kommen nicht gut miteinander aus.«
»Ein sauberer Ehemann, der seine Frau eine Hexe nennt«, meinte Calm verbittert.
»Warum sollte er sie so nennen?» fragte Geschichtentauscher.
»Mit Sicherheit nennt er sie jetzt nicht mehr so«, sagte Measure. »Sie hat ihm versprochen, damit aufzuhören. All ihre Fähigkeiten für die Küche. Es ist eine Schande, eine Frau dazu zu zwingen, ihren Haushalt nur mit beider Hände Arbeit zu führen.«
»Das genügt«, sagte David. Geschichtentauscher bemerkte seinen warnenden Blick aus dem Augenwinkel.
Offensichtlich trauten sie Geschichtentauscher noch nicht genug, um ihn in die Wahrheit einzuweihen. Also ließ der alte Mann sie sein Geheimnis über ihre Schwester Eleanor wissen. »Es scheint mir, daß sie allerdings mehr davon benutzt, als Brustwehr errät«, warf Geschichtentauscher ein. »Auf ihrer Veranda steht ein raffiniertes Hexzeichen aus Körben. Und sie hat vor meinen Augen einen Beruhigungszauber auf ihn angewandt, an jenem Tag, da ich in der Stadt eintraf.«
Für einen Moment hielten die Brüder mit der Arbeit inne. Jeder schwieg, niemand sah Geschichtentauscher an. Jeder dachte nur, daß der alte Mann Eleanors Geheimnis gekannt und niemandem davon erzählt hatte. Auch nicht Brustwehr-Gottes Weaver. Dennoch war es eine Sache, daß er es wußte, eine andere aber, es ihm zu bestätigen. Also sagten sie nichts und machten sich einfach nur wieder daran, den Schlitten zu kerben und zu vertäuen.
Geschichtentauscher brach das Schweigen, indem er wieder zum eigentlichen Thema zurückkam. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor diese westlichen Gebiete genügend Einwohner haben, um sich selbst Staaten zu nennen, und um sich um Aufnahme in den Amerikanischen Pakt zu bewerben. Wenn das geschieht, wird man ehrliche Männer brauchen, die solche Ämter innehaben.«
»Hier im wilden Land werdet Ihr keinen Hamilton oder Adams oder Jefferson finden«, meinte David.
»Vielleicht nicht«, erwiderte Geschichtentauscher. »Aber wenn ihr ortsansässigen Jungen nicht eure eigene Regierung aufstellt, dann könnt ihr darauf wetten, daß es jede Menge Leute in den Städten geben wird, die bereit sind, es für euch zu tun. So wurde Aaron Burr Gouverneur von Suskwahenny, bevor Daniel Boone ihn neunundneunzig erschoß.«
»So, wie Ihr es erzählt, klingt es ja wie Mord«, meinte Measure. »Es war aber ein faires Duell.«
»So, wie ich die Sache sehe«, widersprach Geschichtentauscher, »ist ein Duell nichts als eine Abmachung zwischen zwei Mördern, die übereingekommen sind, abwechselnd zu versuchen, einander umzubringen.«
»Nicht, wenn einer davon ein alter Landjunge in Lederkleidung ist und der andere ein verlogener, betrügerischer Stadtmensch«, meinte Measure.
»Ich will keinen Aaron Burr haben, der versucht, Gouverneur des Lands Wobbish zu werden«, warf David ein. »Und diese Sorte Mann ist auch Bill Harrison unten in Carthage City. Eher würde ich für Brustwehr stimmen als für den.«
»Und ich würde eher für dich als für Brustwehr stimmen«, meinte Geschichtentauscher.
David grunzte. Er fuhr damit fort, Seil um die Kerben der Schlittenhölzer zu wickeln und sie miteinander zu verschnüren. Geschichtentauscher tat das gleiche auf der anderen Seite. Als er die beiden Seilenden miteinander verbinden wollte, unterbrach ihn Measure: »Wartet mal, ich hole Al Junior.«
Im Laufschritt eilte Measure die Anhöhe zum Steinbruch empor.
Geschichtentauscher ließ die Seilenden fallen. »Alvin Junior macht die Knoten? Ich hätte eigentlich gedacht, daß erwachsene Männer wie ihr sie fester hinbekommt.«
David grinste. »Er hat ein Talent dafür.«
»Hat sonst niemand von euch Talente?» fragte Geschichtentauscher.
»Ein paar.«
»David hat ein Talent für Damen«, meinte Calm.
»Calm hat tanzende Füße beim Heufest. Gibt auch keinen, der so fiedelt wie er«, sagte David. »Ist zwar manchmal ein bißchen schräg, aber er hält den Geigenbogen ganz schön beschäftigt.«
»Measure ist ein präziser Schütze«, sagte Calm. »Er hat ein Auge für Dinge, die so weit weg sind, daß die meisten Leute sie gar nicht sehen können.«
»Wir haben unsere Talente«, meinte David. »Die Zwillinge haben eine Art, zu wissen, wann sich Ärger zusammenbraut, und dafür, dort immer gerade rechtzeitig aufzutauchen.«
»Und Pa, der baut Sachen zusammen. Wenn wir Möbel bauen, lassen wir ihn alle Fugen machen.«
»Die Frauen haben Frauentalente.«
»Aber«, fügte Calm hinzu, »so einen wie Al Junior gibt es kein zweites Mal.«
David nickte ernst. »Es ist nur, Geschichtentauscher, daß er nichts davon zu wissen scheint. Ich meine, er ist irgendwie immer überrascht, wenn alles gutgeht. Er ist richtig stolz, wenn wir ihm eine Aufgabe geben.«
»Er ist ein guter Junge«, meinte Calm.
»Ein bißchen tolpatschig«, sagte David.
»Nicht tolpatschig«, widersprach Calm. »Meistens ist es ja nicht seine Schuld.«
»Sagen wir einfach, daß in seiner Gegenwart Unfälle eben öfter vorkommen.«
»Ich würde nicht sagen, daß er ein Unglücksrabe wäre oder so«, meinte Calm.
»Nein, Unglücksrabe würde ich nicht sagen.«
Geschichtentauscher bemerkte, daß sie tatsächlich beide das Wort ›Unglücksrabe‹ gesagt hatten. Natürlich sagte er nichts, denn schließlich war es ja die dritte Stimme, die ein Unglück wahr werden ließ. Sein Schweigen war die beste Abwehr gegen ein mögliches Unglück. Die beiden Brüder begriffen und schwiegen ebenfalls.
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