Die drei Frauen und ihre Halle befanden sich in dem schwarzen Spiegel.
Die drei alten Frauen waren die Lilim – die Hexenköniginnen –, die ganz allein im Wald lebten.
Auch die drei Frauen im Spiegel waren die Lilim, aber ob sie die Nachfolgerinnen der alten Frauen oder ihr Schattenselbst waren, oder ob die Bauernhütte im Wald echt war oder ob die Lilim in der schwarzen Halle lebten, mit einem Brunnen in Form einer Meerjungfrau, die in einem Hof von Sternen spielte – das wußte niemand genau, und nur die Lilim hätten es sagen können.
An diesem Tag kam ein altes Weib aus dem Wald; es trug einen Hermelin bei sich, mit blutroter durchschnittener Kehle.
Sie legte das Tier auf das staubige Schneidebrett und nahm ein scharfes Messer zur Hand. Damit machte sie einen Schnitt um Arme, Beine und Hals, zog dem Hermelin das Fell aus wie einem Kind den Schlafanzug und ließ das nackte Ding auf den hölzernen Hackklotz fallen.
»Eingeweide?« fragte sie mit zittriger Stimme.
Die kleinste, älteste, zerzausteste der drei Frauen antwortete, in ihrem Schaukelstuhl schaukelnd: »Warum nicht?«
Die erste alte Frau nahm das Hermelin am Kopf und schlitzte es vom Hals bis zur Leiste auf, so daß die Innereien auf den Hackklotz quollen, rot und purpurn und lila – wie nasse Juwelen auf dem staubigen Holz.
»Kommt schnell, kommt schnell!« kreischte die Frau, schob die Hermelineingeweide vorsichtig mit dem Messer herum und kreischte abermals.
Die Alte im Schaukelstuhl erhob sich mühsam. (Im Spiegel streckte sich eine dunkle Frau und erhob sich von einem Diwan.) Die letzte alte Frau, die gerade vom Außenklo zurückkehrte, beeilte sich und trippelte herbei, so schnell ihre Füße sie trugen.
»Was?« rief sie. »Was ist los?«
(Im Spiegel gesellte sich eine zweite junge Frau zu der ersten. Sie hatte kleine, hohe Brüste und dunkle Augen.)
»Seht nur«, sagte die erste alte Frau und deutete mit dem Messer auf die Eingeweide.
Ihre Augen waren vom farblosen Grau hohen Alters, und die drei betrachteten angestrengt die Organe auf dem Hackklotz.
»Na endlich«, sagte eine. »Wurde aber auch Zeit«, die andere.
»Wer von uns macht sich auf den Weg?« fragte die dritte.
Die drei Frauen schlossen die Augen, und drei alte Hände grapschten nach den Hermelineingeweiden auf dem Hackklotz.
Die erste alte Hand öffnete sich. »Ich habe eine Niere.«
»Ich eine Leber.«
Auch die dritte Hand ging auf. Es war die der ältesten Lilim. »Ich habe das Herz«, rief sie triumphierend.
»Wie willst du reisen?«
»In unserem alten Wagen. Am Kreuzweg wird mir schon ein passendes Zugtier begegnen.«
»Da wirst du ein paar Jahre brauchen.«
Die Älteste nickte.
Die Jüngste – diejenige, die gerade vom Außenklo gekommen war – schlurfte mühsam hinüber zu einer hohen, wackligen Kommode und bückte sich. Aus der untersten Schublade holte sie eine rostige Blechkiste und trug sie zu ihren Schwestern. Die Kiste war mit drei verschiedenen alten Schnüren zugebunden, und jede war mit einem anderen Knoten versehen. Alle drei Frauen lösten ihre jeweilige Schnur, dann klappte diejenige, die die Kiste geholt hatte, den Deckel auf.
Am Boden der Kiste schimmerte etwas Goldenes.
»Nicht mehr viel übrig«, seufzte die jüngste der Lilim, die schon alt gewesen war, als der Wald, in dem sie jetzt lebten, noch unter dem Meer gelegen hatte.
»Dann ist es ja gut, daß wir Nachschub gefunden haben, was?« sagte die Älteste scharf und langte mit ihrer klauenartigen Hand in die Kiste. Etwas Goldenes versuchte ihrem Griff auszuweichen, aber sie fing das sich windende, schimmernde Ding ein, machte den Mund auf und stopfte es hinein.
(Inzwischen starrten drei Frauen aus dem Spiegel.)
Ein Zittern und Beben erschütterte die Hütte.
(Nun blickten nur noch zwei Frauen aus dem Spiegel.)
In der Hütte glotzten zwei alte Frauen eine große, attraktive Frau mit schwarzen Haaren, dunklen Augen und roten Lippen an. Der Gesichtsausdruck der alten Frauen zeigte ein Gemisch aus Neid und Hoffnung.
»Herrje«, sagte die große Frau mit den schwarzen Haaren, »hier ist es aber dreckig.« Sie ging zum Bett, neben welchem eine große Holztruhe stand. Die Frau schob den ausgebleichten Gobelin, der die Truhe bedeckte, beiseite, öffnete die Truhe und begann darin herumzukramen.
»Da ist es ja«, sagte sie und hielt ein rotes Gewand empor. Das warf sie aufs Bett und zog die Lumpen aus, die sie als alte Frau getragen hatte.
Voller Neid ließen ihre beiden Schwestern die Blicke über ihren nackten Körper schweifen.
»Wenn ich mit ihrem Herz zurückkehre, wird es jahrelang genug für uns alle geben«, sagte sie, während sie die haarigen Kinnladen und hohlen Augen ihrer Schwestern mißbilligend betrachtete. Sie streifte einen roten Armreif übers Handgelenk, eine kleine Schlange, die den Schwanz im Maul hielt.
»Ein Stern«, sagte eine der Schwestern.
»Ein Stern«, echote die zweite.
»Genau«, bestätigte die Hexenkönigin und steckte sich ein silbernes Diadem ins Haar. »Der erste seit zweihundert Jahren. Und ich werde ihn uns zurückholen.« Mit ihrer tiefroten Zunge fuhr sie sich über die roten Lippen.
»Ein Stern, der vom Himmel gefallen ist«, sagte sie.
* * *
Es war Nacht auf der Lichtung neben dem Teich, und am Himmel glitzerten unzählige Sterne.
Glühwürmchen schimmerten zwischen den Blättern der Ulmen, im Farn und in den Haselnußbüschen, flackerten wie die Lichter ferner, fremder Städte. Im Bach, der den Teich speiste, planschte ein Otter. Eine Hermelinfamilie näherte sich auf gewundenen Pfaden dem Wasser, um zu trinken. Eine Feldmaus fand eine heruntergefallene Haselnuß und begann mit ihren scharfen, stets nachwachsenden Nagezähnen in die harte Schale zu beißen, nicht etwa weil sie Hunger hatte, sondern weil sie ein verzauberter Prinz war, der seine ehemalige Gestalt erst dann wieder annehmen konnte, wenn er die Nuß der Weisheit aß. Doch die Aufregung machte die Maus unvorsichtig, und nur der Schatten, der das Mondlicht verdunkelte, warnte sie vor einer herabstoßenden riesigen Graueule, die sie mit ihren scharfen Fängen packte, um anschließend wieder in die Nacht hinauszuschweben.
Die Maus ließ die Nuß fallen; die Nuß fiel in den Bach und wurde fortgetragen, bis ein Lachs sie verschluckte. Die Eule verspeiste die Maus in ein paar gierigen Bissen, bis ihr nur noch der Schwanz aus dem Schnabel hing, ungefähr so lang wie ein Schuhband. Etwas schnaufte und grunzte im Dickicht – ein Dachs, dachte die Eule (die selbst unter einem Zauberbann stand und ihre rechtmäßige Gestalt nur dann wiedererlangen konnte, wenn sie eine Maus verschlang, welche zuvor die Nuß der Weisheit gefressen hatte), oder vielleicht auch ein kleiner Bär.
Die Blätter raschelten, das Wasser rieselte, und dann war die Lichtung plötzlich erfüllt von einem Licht, das von oben herabströmte, ein reines, weißes Licht, das heller und immer heller wurde. Die Eule sah, wie es auf dem Wasser reflektierte, ein funkelndes, gleißendes Ding aus purem Licht, so hell, daß sie die Flügel schwang und lieber in einen anderen Teil des Waldes flog. Die wilden Tiere blickten entsetzt um sich.
Zuerst war das Licht am Himmel etwa so groß wie der Mond, doch dann schien es größer zu werden, unendlich viel größer. Die Lichtung erzitterte und bebte, alle Kreaturen hielten den Atem an, die Glühwürmchen leuchteten heller, als sie das jemals getan hatten, denn alle waren fest davon überzeugt, daß dies endlich die Liebe war, aber vergeblich…
Und dann…
Dann ertönte ein Knall, scharf wie ein Schuß, und das Licht, das die Lichtung erfüllt hatte, war erloschen.
Oder zumindest beinahe. Mitten im Haselstrauch pulsierte ein schwaches Glühen, als glitzerte dort eine winzige Sternenwolke.
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