Masema riß böse an den Zügeln und brachte sein Pferd zum Stehen. Auch die anderen blieben in eine Staubwolke gehüllt stehen, die Lanzen immer noch auf die Brust des Mannes gerichtet. Er hob eine Hand, um den Staub wegzuwedeln, der auf ihn zutrieb. Es war seine erste Bewegung, seit er auf den Pfad getreten war.
Er war hochgewachsen, hatte eine dunkle, sonnenverbrannte Hautfarbe und kurzgeschnittenes rotes Haar, das ihm nur hinten in einem Pferdeschwanz bis auf die Schultern hing. Die weichen, geschnürten, kniehohen Stiefel, genauso wie all seine Kleidung bis hinauf zum Halstuch, waren in verschiedenen Schattierungen von Braun und Grau gehalten, die sich von den Felsen und der Erde kaum abhoben. Die Spitze eines kurzen Hornbogens ragte über seine Schulter hervor, und an seinem Gürtel hing ein mit Pfeilen gespickter Köcher. An der anderen Seite hing ein langes Messer. In der linken Hand hielt er einen runden Lederschild und drei kurze Wurfspeere, nur etwa halb so lang, wie er groß war, aber mit genauso langen Spitzen wie die der schienarischen Lanzen.
»Ich habe keine Musikanten, um das Lied zu spielen«, verkündete der Mann lächelnd, »aber wenn Ihr zu tanzen wünscht... « Er änderte seine Körperhaltung nicht, aber Perrin bemerkte, daß er jetzt auf irgendeine Art kampfbereit wirkte. »Ich heiße Urien von den zwei Türmen, Siebter der Reyn Aiel. Ich bin ein roter Schild. Erinnert Euch an mich.«
Ingtar stieg ab und schritt vorwärts, wobei er seinen Helm abnahm. Perrin zögerte nur einen Augenblick. Dann stieg er ebenfalls ab und tat es Ingtar gleich. Er wollte die Gelegenheit nicht versäumen, einen Aiel aus der Nähe zu sehen. ›Wie ein Aiel mit schwarzem Schleier handeln.‹ In jeder Geschichte wurden die Aiel als genauso gefährlich und tödlich wie die Trollocs beschrieben. Manche behaupteten sogar, sie seien allesamt Schattenfreunde. Aber Uriens Lächeln wirkte einfach nicht gefährlich, trotz der Tatsache, daß der Mann sprungbereit dastand. Seine Augen waren blau.
»Er sieht aus wie Rand.« Perrin sah sich um. Mat hatte sich zu ihnen gesellt. »Vielleicht hat Ingtar recht«, fügte Mat leise hinzu. »Vielleicht ist Rand ein Aiel.«
Perrin nickte. »Aber das hat nichts zu sagen.«
»Bestimmt nicht.« Mat klang, als rede er von etwas anderem als dem, was Perrin damit meinte.
»Wir sind beide weit weg von zu Hause«, sagte Ingtar zu dem Aiel. »Wir zumindest sind zu einem anderen Zweck hier, als zu kämpfen.« Perrin änderte seine Meinung in bezug auf Uriens Lächeln. Der Mann sah nun tatsächlich enttäuscht aus.
»Wie Ihr wünscht, Schienarer.« Urien wandte sich Verin zu, die gerade vom Pferd stieg, und verbeugte sich auf eigenartige Weise. Die Speerspitzen bohrte er in den Boden, und die rechte Hand hob er mit der Innenfläche ihr zugewandt. Seine Stimme klang respektvoll: »Weise Frau, mein Wasser gehört Euch.«
Verin gab ihre Zügel einem der Soldaten. Sie musterte den Aiel, als sie näher trat. »Warum nennt Ihr mich so? Haltet Ihr mich für eine Aiel?«
»Nein, Weise Frau. Aber Ihr seht aus wie eine Frau, die nach Rhuidean gereist ist und überlebt hat. Die Jahre berühren die Weisen nicht in dem Maße wie andere Frauen oder wie Männer.«
Die Aes Sedai blickte sichtlich gespannt drein, aber Ingtar sagte ungeduldig: »Wir verfolgen Schattenfreunde und Trollocs, Urien. Habt Ihr etwas von ihnen gesehen?«
»Trollocs? Hier?« Uriens Augen strahlten. »Das ist eines der Zeichen, die prophezeit wurden. Wenn die Trollocs wieder aus der Fäule hervorkommen, werden wir das Dreifache Land verlassen und unser altes Land wieder in Besitz nehmen.« Die berittenen Schienarer murmelten irgend etwas. Urien blickte sie so stolz an, als sehe er auf sie herunter.
»Das Dreifache Land?« fragte Mat.
Perrin hatte das Gefühl, daß Mat noch blasser aussah —nicht unbedingt kränklich, aber so, als sei sein Gesicht lange Zeit nicht mehr der Sonne ausgesetzt gewesen.
»Ihr nennt es eine Wüste«, sagte Urien. »Für uns ist es das Dreifache Land: ein Wetzstein, um uns zu formen, eine Prüfung, um festzustellen, was wir wert sind, und eine Strafe für unsere Sünden.«
»Welche Sünden?« wollte Mat wissen. Perrin stockte der Atem. Er wartete darauf, die Speere in Uriens Hand vorzucken zu sehen.
Der Aiel zuckte die Achseln. »Es ist schon so lange her, daß sich niemand daran erinnert. Außer eben den Weisen Frauen und den Clanführern, und die sprechen nicht darüber. Es muß schon eine sehr schlimme Sünde gewesen sein, daß sie sich nicht überwinden können, uns davon zu erzählen, aber der Schöpfer bestraft uns eben hart.«
»Trollocs«, beharrte Ingtar. »Habt Ihr Trollocs gesehen?«
Urien schüttelte den Kopf. »Wenn ich welche gesehen hätte, hätte ich sie getötet, aber ich habe außer Felsen und dem Himmel nichts bemerkt.«
Ingtar schüttelte in nachlassendem Interesse ebenfalls den Kopf, aber Verin sagte mit äußerst konzentriert klingender Stimme: »Dieses Rhuidean. Was ist das? Wo ist es? Wie wählt man die Mädchen aus, die dorthin gehen sollen?«
Uriens Gesicht wurde ausdruckslos. Seine Augenlider sanken herab. »Ich kann darüber nicht sprechen, Weise Frau.«
Unwillkürlich griff Perrin nach seiner Axt. Uriens Stimme forderte das irgendwie heraus. Ingtar hielt sich auch bereit, nach dem Schwert zu greifen, und unter den Berittenen machte sich Bewegung breit. Doch Verin trat vor den Aielmann hin, bis sie beinahe seine Brust berührte, und blickte hoch in seine Augen.
»Ich bin keine Weise Frau von der Art, die Ihr kennt, Urien«, sagte sie eindringlich. »Ich bin Aes Sedai. Sagt mir, was Ihr über Rhuidean sagen könnt.«
Der Mann, der bereit gewesen war, zwanzig Männern gegenüberzutreten, wirkte nun, als suche er verzweifelt nach einem Weg, dieser einen molligen Frau mit grauem Haar zu entkommen. »Ich... kann nur sagen, was jeder weiß. Rhuidean liegt im Gebiet der Jenn Aiel, des dreizehnten Clans. Ich kann nichts weiter über sie sagen als den Namen. Niemand darf dorthin gehen, außer Frauen, die Weise Frauen werden möchten, oder Männer auf dem Weg zum Clanführer. Vielleicht werden sie von den Jenn Aiel ausgesucht — ich weiß es nicht. Viele gehen, wenige kehren zurück. Diese wenigen weisen die Merkmale ihres neuen Standes auf — Weise Frauen oder Clanführer. Mehr kann ich nicht sagen, Aes Sedai. Weiter nichts.«
Verin sah weiter zu ihm auf und schürzte die Lippen.
Urien blickte zum Himmel auf, als bemühe er sich, ihn sich einzuprägen. »Werdet Ihr mich jetzt töten, Aes Sedai?«
Sie blinzelte überrascht. »Was?«
»Werdet Ihr mich jetzt töten? Eine der alten Prophezeiungen sagt, wenn wir die Aes Sedai wieder enttäuschen, werden sie uns töten. Ich weiß, daß Eure Macht größer ist als die der Weisen Frauen.« Der Aiel lachte plötzlich auf. Es war ein freudloses Lachen, und seine Augen blitzten wild. »Ruft Eure Blitze herbei, Aes Sedai. Ich werde mit ihnen tanzen!«
Der Aiel glaubte, er werde sterben, und er hatte keine Angst davor. Perrin wurde bewußt, daß sein Mund offen stand, und so klappte er ihn zu.
»Was würde ich nicht darum geben«, murmelte Verin, die Urien immer noch in die Augen sah, »Euch in der Weißen Burg zu haben. Oder wenigstens zum Sprechen gewillt. Oh, seid ruhig, Mann! Ich werde Euch nichts zuleide tun. Außer Ihr wollt mir an den Kragen, mit Eurem Geschwätz vom Tanzen.«
Urien schien überrascht. Er sah die Schienarer an, die um ihn herum verteilt auf den Pferden saßen, als glaube er, Verins Worte seien nur eine Finte. »Ihr seid keine Tochter des Speers«, sagte er bedächtig. »Wie könnte ich eine Frau angreifen, die nicht mit dem Speer verheiratet ist? Es ist verboten, außer um Leben zu retten, und dann würde ich lieber selbst Wunden empfangen, um den Angriff auf eine Frau zu vermeiden.«
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