»Die Weißmäntel?« fragte Perrin ungläubig. Meine Zunge hüten? Seng mich, wenn ich das tue! »Wie konnten sie Euch das...? Rands Wahnsinn. Ist das ansteckend?«
»Nicht sein Wahnsinn«, sagte Moiraine, »falls er schon so weit ist, daß man ihn überhaupt verrückt nennen kann. Perrin, er ist ein stärkerer TaVeren als jeder seit dem Zeitalter der Legenden! Gestern hat sich in diesem Dorf das Muster... bewegt, sich ihm angepaßt wie Ton, den man auf eine Form preßt. Die Hochzeiten, die Weißmäntel, das war genug, um mir zu sagen: Rand war hier. Jeder hätte das gewußt, der zuhören kann.«
Perrin atmete tief ein. »Und so etwas werden wir überall vorfinden, wo er sich aufgehalten hat? Licht, wenn er Geschöpfe des Schattens auf den Fersen hat, können sie ihn dadurch genauso leicht aufspüren wie wir.«
»Vielleicht«, sagte Moiraine. »Vielleicht aber auch nicht. Niemand weiß etwas über TaVeren von Rands Ausmaßen.« Einen kurzen Moment lang schien sie sich darüber zu ärgern, daß sie etwas nicht einschätzen konnte. »Artur Falkenflügel war der stärkste Ta'veren, über den es Aufzeichnungen gibt. Und Falkenflügel war keineswegs so stark wie Rand.«
»Man sagt«, warf Lan ein, »daß es Zeiten gab, wenn Menschen, die sich im gleichen Raum wie Falkenflügel befanden, die Wahrheit sagten, obwohl sie lügen wollten, und daß sie Entschlüsse faßten, von denen sie noch nicht einmal selbst wußten, daß sie so etwas vorhatten. Zeiten, wenn jeder Würfel, jede Spielkarte zu seinen Gunsten entschied. Aber nur manchmal natürlich.«
»Das heißt, Ihr wißt es nicht«, sagte Perrin. »Er könnte eine ganze Spur von Hochzeiten und verrückt gewordenen Weißmänteln von hier bis Tear hinterlassen.«
»Ich meine, ich weiß soviel, wie man überhaupt wissen kann«, sagte Moiraine in scharfem Ton. Der Blick aus ihren dunklen Augen traf Perrin wie eine Peitsche. »Das Muster formt sich um einen Ta'veren, und andere können der Gestalt dieser Fäden folgen, wenn sie wissen, wonach sie suchen müssen. Nehmt Euch in acht, daß Eure Zunge nicht mehr zerstört, als Ihr wissen könnt.«
Unwillkürlich zog Perrin den Kopf ein, als beziehe er von ihr wirkliche Prügel. »Na ja, diesmal solltet Ihr froh sein, daß ich den Mund rechtzeitig aufgemacht habe. Simion weiß, daß Ihr eine Aes Sedai seid. Er möchte, daß Ihr seinen Bruder Noam von irgendeiner Krankheit heilt. Wenn ich nicht mit ihm gesprochen hätte, hätte er nie den Mut aufgebracht, mich darum zu bitten, sondern hätte vielleicht statt dessen herumgeklatscht.«
Lan lenkte Moiraines Aufmerksamkeit auf sich, und sie sahen sich einen Moment lang in die Augen. Der Behüter hatte etwas an sich, wie ein Wolf vor dem Sprung. Schließlich schüttelte Moiraine den Kopf. »Nein«, sagte sie.
»Wie Ihr wünscht. Es ist Eure Entscheidung.« Lans Stimme klang, als habe sie eine falsche Entscheidung getroffen, aber die Anspannung verschwand aus seiner Gestalt.
Perrin sah beide mit großen Augen an. »Ihr wolltet doch nicht etwa... Simion könnte niemandem etwas sagen, wenn er tot wäre, nicht wahr?«
»Er wird nicht durch mich sterben«, sagte Moiraine. »Aber ich kann und will nicht versprechen, daß es immer so ausgeht. Wir müssen Rand finden, und ich werde dabei nicht versagen. Ist Euch das klar genug?« In ihrem Blick gefangen, konnte Perrin nicht antworten. Sie nickte, als sei sein Schweigen Antwort genug. »Bringt mich jetzt zu Simion.«
Die Tür zu Loials Zimmer stand offen, und Kerzenschein fiel in den Flur. Man hatte die beiden Betten drin zusammengeschoben, und Loial und Simion saßen auf der Kante des einen. Der kinnlose Mann sah mit offenem Mund und erstauntem Gesicht zu Loial auf.
»O ja, die Stedding sind wunderbar«, sagte Loial gerade. »Es herrscht dort ein solcher Friede, unter den Großen Bäumen. Ihr Menschen habt Eure Kriege und Eure Rivalität, aber in einem Stedding herrscht immer Friede. Wir pflegen die Bäume und leben in Harmonie... « Er brach ab, als er Moiraine mit Lan und Perrin im Schlepptau sah.
Simion stand schnell auf, verbeugte sich und zog sich dabei zurück, bis er an die Wand stieß. »Äh... gute Frau... Äh... äh...« Selbst dabei hüpfte er noch auf und ab wie eine Marionette.
»Führt mich zu Eurem Bruder«, befahl Moiraine, »und ich werde tun, was in meiner Macht steht. Perrin, Ihr kommt auch mit, da dieser Mann zuerst mit Euch gesprochen hat.« Lan hob eine Augenbraue, und sie schüttelte den Kopf. »Wenn wir alle hingehen, erregen wir Aufmerksamkeit. Perrin kann mich beschützen, soweit das notwendig ist.«
Lan nickte zögernd und warf Perrin einen harten Blick zu. »Sieh zu, daß du sie beschützt, Schmied. Wenn ihr irgend etwas zustößt... « Seine kalten blauen Augen vollendeten die Drohung.
Simion nahm eine der Kerzen und huschte in den Flur hinaus. Dabei verbeugte er sich immer noch, so daß der Kerzenschein die Schatten an den Wänden tanzen ließ. »Hier entlang... äh... gute Frau. Hier entlang.«
Hinter der Tür am Ende des Flurs führte eine Außentreppe hinunter in eine enge Gasse zwischen Schenke und Stall. Die Nacht ließ die Kerze zu einem flackernden Lichtpunkt schrumpfen. Der Halbmond stand am sternübersäten Himmel und gab für Perrins Augen mehr als genug Licht. Er fragte sich, wann Moiraine Simion endlich sagen werde, er könne mit dem Verbeugen aufhören, doch sie sagte nichts. Die Aes Sedai glitt hinter Simion entlang, hob dabei den Rock an, damit er nicht im Schlamm schleifte, und sie wirkte, als sei sie eine Königin und schreite statt durch die Gasse durch einen Palast. Die Nachtluft kühlte sich bereits ab. In den Nächten schwang immer noch ein wenig Winter nach.
»Hier herüber.« Simion führte sie nach hinten zu einem kleinen Schuppen hinter dem Stall und schob hastig den Riegel weg. »Hier herein.« Simion deutete in den Schuppen. »Hier, gute Frau. Hier. Mein Bruder. Noam.«
Der hintere Teil des Schuppens war — offensichtlich überstürzt — mit Brettern abgeteilt worden. Es wirkte roh und improvisiert. Ein festes Eisenschloß hing von einem Riegel an der Brettertür. Durch die Spalten sah man einen Mann, der auf dem Bauch auf dem strohbedeckten Boden lag. Er war barfuß. Hemd und Hose waren zerfetzt, als habe er daran gerissen, weil er nicht wußte, wie man sie auszieht. Es roch nach ungewaschenem Fleisch, so daß Perrin glaubte, selbst Simion und Moiraine müßten den Geruch wahrnehmen.
Noam hob den Kopf und sah sie schweigend und ausdruckslos an. Es war nichts an ihm, was auf die Verwandtschaft mit Simion schließen ließ — er hatte zum einen ein richtiges Kinn und er war ein großer Mann mit breiten Schultern —, aber etwas anderes warf Perrin fast um: Noam blickte sie mit glänzendgoldenen Augen an.
»Er hat schon fast ein Jahr lang so verrückte Sachen gequatscht, gute Frau, und gesagt, daß er... mit Wölfen sprechen kann. Und seine Augen... « Simion warf Perrin einen schnellen Blick zu. »Also, er hat gequatscht, wenn er zuviel getrunken hatte. Jeder hat ihn ausgelacht. Dann, vielleicht vor einem Monat etwa, kam er nicht ins Dorf zurück. Ich bin hinausgegangen, um zu sehen, was mit ihm los war, und habe ihn so vorgefunden.«
Vorsichtig und unwillig sandte Perrin seine Gedanken zu Noam aus, wie er es bei einem Wolf gemacht hätte. Durch den Wald rennen, den kalten Wind in der Nase... Schnell aus der Deckung heraus... Die Kiefer schnappen nach den Kniesehnen. Den Geschmack von Blut auf der Zunge. Töten. Perrin zuckte wie vor einem Feuer zurück und schloß seinen Geist ab. Das waren überhaupt keine richtigen Gedanken gewesen, nur ein chaotisches Durcheinander von Wünschen und Bildern, zum Teil aus der Erinnerung, zum Teil reine Sehnsucht. Aber es war mehr Wolf als Mensch an diesem Mann. Er stützte sich mit der Hand an der Wand ab; seine Knie gaben beinahe nach. Licht, hilf mir!
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