Er blickte sich schnell um und kehrte sogleich zu seiner Betrachtung der Küste zurück. Zarine saß mit übergeschlagenen Beinen nicht weit von den Pferden auf dem Deck, hatte ihr Bündel und den dunklen Umhang neben sich gelegt, ihren Hosenrock ordentlich zurechtgezupft, und tat so, als betrachte sie die Dächer und Türme der sich nähernden Stadt. Auch Moiraine beobachtete Illian. Sie stand geradewegs vor den Ruderern, aber von Zeit zu Zeit traf ein scharfer Blick, unter der Kapuze ihres grauen, wollenen Umhangs abgeschossen, das Mädchen. Wie hält sie es nur aus, die ganze Zeit diesen Umhang zu tragen? Er hatte seine Jacke aufgeknöpft und die Kragenschnur seines Hemdes aufgebunden.
Zarine lächelte, wenn die Aes Sedai sie anblickte, aber jedesmal, wenn sich Moiraine wieder abwandte, schluckte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Perrin bewunderte sie beinahe, wie sie es fertigbrachte zu lächeln, wenn Moiraine herschaute. Das war erheblich mehr, als er zuwege brachte. Er hatte es noch nie erlebt, daß die Aes Sedai wirklich die Nerven verlor, aber er wünschte sich allmählich, daß sie einmal schreien oder wüten oder sonst was anstellen würde, anstatt ihn nur so anzustarren. Licht, na ja, alles auch wieder nicht, aber... Vielleicht ließ sich dieser Blick ja auch aushalten.
Lan saß weiter vorn am Bug. Sein farbverändernder Umhang lag immer noch eingerollt in einer der Satteltaschen zu seinen Füßen. Äußerlich war er auf die Betrachtung seiner Schwertklinge konzentriert, aber er gab sich wenig Mühe, zu verbergen, daß er sich köstlich amüsierte. Manchmal schienen sich seine Lippen beinahe zu einem Lächeln zu verziehen. Perrin war allerdings nicht sicher; gelegentlich glaubte er, es könne auch an einem Schatten liegen. Schatten konnten auch einen Hammer so seltsam erscheinen lassen, als lächle er. Jede der beiden Frauen hielt sich offenbar für das Objekt dieser Erheiterung, aber dem Behüter schienen die finsteren Mienen nichts auszumachen, die sich ihm gelegentlich zuwandten.
Vor ein paar Tagen hatte Perrin gehört, wie Moiraine Lan mit eisiger Stimme gefragt hatte, ob er irgend etwas sehe, was zum Lachen sei. »Ich würde Euch niemals auslachen, Moiraine Sedai«, hatte er gelassen geantwortet, »aber wenn Ihr wirklich vorhabt, mich zu Myrelle zu schicken, muß ich das Lächeln wohl üben. Ich hörte, daß Myrelle ihren Behütern manchmal Witze erzählt. Die Gaidin müssen über die Scherze ihrer Zugeschworenen lächeln. Ihr habt mich doch auch öfters zum Lachen gebracht, oder? Vielleicht ist es Euch doch lieber, wenn ich bei Euch bleibe?« Ihr Blick hätte jeden anderen Mann an den Mast genagelt, aber der Behüter blinzelte nicht einmal. Gegen Lan wirkte kalter Stahl wie Blech.
Die Mannschaft hatte sich angewöhnt, ganz leise über das Deck zu schleichen, wenn Moiraine und Zarine gleichzeitig an Deck waren. Kapitän Adarra hielt den Kopf schräg und wirkte, als lausche er nach etwas, was er lieber nicht hören wollte. Er gab seine Befehle im Flüsterton, anstatt zu schreien, wie er es anfangs getan hatte. Mittlerweile wußte jeder, daß Moiraine eine Aes Sedai war, und jedem war klar, daß sie schlechte Laune hatte. Perrin hatte sich zu einem lauten Wortwechsel mit Zarine hinreißen lassen, und er war nicht sicher, aber einer von ihnen hatte die Worte Aes Sedai gebraucht. Nun wußte es die ganze Mannschaft. Verdammte Frau! Meinte er damit Moiraine oder Zarine? Er wußte es selbst nicht. Wenn sie der Falke ist, was soll dann der Habicht bedeuten? Muß ich mich etwa mit gleich zwei Frauen von der Sorte abfinden? Licht! Nein! Sie ist kein Falke, und damit basta! Das einzige Gute, was er dieser zornigen Aes Sedai abgewinnen konnte, war die Tatsache, daß nun keines der Besatzungsmitglieder seinen Augen besondere Aufmerksamkeit widmete.
Loial war im Augenblick nirgendwo zu sehen. Der Ogier blieb grundsätzlich in seiner stickigen Kabine, wenn Moiraine und Zarine gemeinsam oben an Deck waren. Er behauptete, an seinen Notizen zu arbeiten. Er kam lediglich nachts an Deck, um seine Pfeife zu rauchen. Perrin verstand nicht, wie er die Hitze ertragen konnte. Selbst Moiraine und Zarine waren eher zu ertragen, als der Aufenthalt unter Deck.
Er seufzte und hielt den Blick auf Illian gerichtet. Es war eine große Stadt, auf die sie da zuhielten, genauso groß wie Cairhien oder Caemlyn, die beiden einzigen Großstädte, die er je gesehen hatte, und es erhob sich aus einem riesigen Sumpfgebiet, das sich wie eine grasbewachsene Ebene viele Meilen weit erstreckte. Illian besaß keine Stadtmauer und schien nur aus Türmen und Palästen zu bestehen. Die Gebäude waren aus hellem Gestein erbaut, außer einigen, die wohl weiß verputzt waren. Aber dieser Naturstein war an manchen Stellen weiß, dann wieder grau und rötlich und gelegentlich sogar hellgrün schattiert. Dächer aus glasierten Ziegeln schimmerten in hundert verschiedenen Farbtönen unter den Strahlen der Sonne. An den langen Kaimauern lagen viele Schiffe, die meisten davon viel größer als die Schneegans. Überall wurde Ladung gelöscht oder neue Ladung genommen, und es wimmelte von Arbeitern. Am hinteren Ende des Hafens befanden sich Werften, wo große Schiffe in allen Stadien der Fertigstellung zu sehen waren — von Skeletten aus breiten Holzrippen bis zu solchen, die, nahezu fertig, bereit lagen, um vom Stapel gelassen zu werden.
Vielleicht war Illian groß genug, daß sich die Wölfe von dort fernhielten. Sie würden in diesen Sümpfen bestimmt nicht jagen. Die Schneegans war den Wölfen davongefahren, die ihm von den Bergen her gefolgt waren. Jetzt fühlte er mit seinem Geist vorsichtig nach ihnen, fand aber nichts. Ein seltsam leeres Gefühl war das, obwohl er es ja so gewollt hatte. Seine Träume hatte er seit jener ersten Nacht mit niemandem mehr teilen müssen. Moiraine hatte ihn mit kalter Stimme danach gefragt, und er hatte ihr die Wahrheit gesagt. Zweimal noch hatte er sich in einem dieser eigenartigen Wolfsträume befunden, und beide Male war Springer erschienen und hatte ihn wieder verjagt, ihm gesagt, er sei noch zu jung, zu neu. Er hatte keine Ahnung, was Moiraine davon hielt. Sie sagte nichts, nur, daß er aufpassen müsse und vorsichtig sein.
»Das kommt mir durchaus entgegen«, grollte er. Er gewöhnte sich schon daran, daß Springer tot und doch nicht tot war, zumindest in den Wolfsträumen. Hinter sich hörte er die Stiefel Kapitän Adarras über das Deck schlurfen. Der Kapitän murmelte irgend etwas. Wahrscheinlich hatten ihn die laut ausgesprochenen Worte Perrins aufgescheucht.
Haltetaue wurden vom Schiff aus auf den Kai geworfen. Während sie noch an den Steinpfosten festgezurrt wurden, entwickelte der Kapitän nun mit einem Mal fieberhafte Aktivität. Er flüsterte energisch mit seinen Besatzungsmitgliedern. Er ließ Ladebäume ausschwenken, um so schnell wie möglich die Pferde an Land zu hieven. Die Planke lag auch schon für die Landgänger bereit. Lans schwarzes Streitroß schlug aus und hätte beinahe den Ladebaum gebrochen, an dem es hing. Für Loials riesiges, zottiges Reittier brauchte man zwei Ladebäume.
»Eine Ehre«, flüsterte Adarra Moiraine mit einer Verbeugung zu, als sie auf die breite Laufplanke trat, die zum Kai führte. »Eine Ehre, Euch gedient zu haben, Aes Sedai.« Sie schritt hinunter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Ihr Gesicht war unter der Kapuze verborgen.
Loial erschien erst, als alle anderen und die Pferde bereits an Land waren. Der Ogier stampfte über die Laufplanke und versuchte, sich die lange Jacke anzuziehen, während er gleichzeitig seine großen Satteltaschen und die gestreifte Deckenrolle schleppte. Den Umhang hatte er sich über einen Arm gelegt. »Ich wußte nicht, daß wir angekommen waren«, grollte er atemlos. »Ich habe meine...« Nach einem Blick auf Moiraine sprach er nicht weiter. Sie schien konzentriert Lan zu beobachten, wie er Aldieb sattelte, doch die Ohren des Ogiers zuckten wie bei einer nervösen Katze.
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