Mat betrachtete den Würfelbecher nachdenklich. Er zog eine andoranische Goldkrone aus seiner Tasche und legte sie auf die Kommode. Die nächste Münze war eine Silbermark aus Tar Valon, dann folgten eine Goldmark und eine Goldkrone aus Tear. Der Wirt sah die Münzen an und leckte sich die dicken Lippen. Mat legte noch zwei Silbermark aus Illian dazu und eine weitere andoranische Goldkrone. Dann sah er den Mann mit dem runden Gesicht an. Der Wirt zögerte. Mat faßte nach den Münzen. Die Hand des Wirts erreichte sie jedoch zuerst.
»Vielleicht würdet Ihr zwei die Pferde doch nicht allzusehr stören.«
Mat lächelte ihn an. »Was Pferde betrifft: Was würden denn Eure beiden kosten? Mit Sätteln und Zaumzeug natürlich.«
»Ich verkaufe meine Pferde nicht«, sagte der Mann und drückte die Münzen an seine Brust. Mat nahm den Würfelbecher und schüttelte ihn. »Noch einmal doppelt soviel für die Pferde, Sättel und Zaumzeug.« Er schüttelte seine Manteltasche, daß die Münzen darin klimperten, um zu beweisen, daß er noch einen höheren Einsatz wagen könne. »Ein Wurf für mich gegen den besten von zwei Würfen für Euch.« Er hätte beinahe laut gelacht, als er die Gier im Gesicht des Wirtes aufflammen sah.
Als Mat in den Stall ging, suchte er als erstes das halbe Dutzend Boxen nach einem Paar brauner Hengste ab. Es waren unauffällige Tiere, aber sie gehörten ihm. Sie mußten unbedingt gestriegelt werden, aber ansonsten schienen sie in Ordnung zu sein, besonders wenn man bedachte, daß alle Stallburschen bis auf einen auf und davon waren. Der Wirt hatte auf ihre Klagen, sie könnten von dem, was er ihnen zahlte, nicht mehr leben, nicht die geringste Rücksicht genommen, und er schien es beinahe für ein Verbrechen zu halten, daß der eine übriggebliebene Mann die Frechheit besessen hatte, nach Hause ins Bett zu gehen, nachdem er die Arbeit von drei Männern getan hatte.
»Fünf Sechser«, murmelte Thom hinter ihm. Die Blicke, mit denen er sich im Stall umsah, waren keineswegs so begeistert wie anzunehmen war, da doch er selbst diesen Schlafplatz vorgeschlagen hatte. Staubteilchen wirbelten in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die durch das große Stalltor fielen. Die Seile, mit denen die Heuballen hochgezogen wurden, hingen wie Ranken von den an den Dachbalken angebrachten Rollen. Der Heuboden über ihnen wirkte düster in dieser Beleuchtung. »Als er beim zweiten Wurf vier Sechser und einen Fünfer schaffte, glaubte er, du hättest bereits verloren. Ich übrigens auch. In letzter Zeit hast du nicht jedesmal gewonnen.«
»Ich gewinne oft genug.« Mat war erleichtert darüber, nicht mehr mit jedem Wurf zu gewinnen. Glück war ja etwas Schönes, aber wenn er sich an jene Nacht erinnerte, lief ihm immer noch ein Schauer über den Rücken. Trotzdem — einen Augenblick lang hatte er beim Schütteln des Bechers bereits gewußt, welches Ergebnis herauskommen würde. Als er den Bauernspieß hoch auf den Heuboden warf, grollte der Donner vom Himmel. Er kletterte die Leiter hinauf und rief zu Thom hinunter: »Das war eine gute Idee. Ich denke doch, du solltest dich glücklich schätzen, an einem solchen stürmischen Abend nicht draußen im Regen zu stehen.«
Das meiste Heu war in Ballen an den Außenwänden aufgestapelt, aber es lag auch noch mehr als genug loses Heu herum, um es mit einem ausgebreiteten Umhang darüber zu einem bequemen Bett zu machen. Thom erschien am oberen Ende der Leiter, als er gerade zwei Kanten Brot und einen Brocken grüngeäderten Quark aus seiner Ledertasche zog. Der Wirt — er hieß Jeral Florry — hatte ihnen einige Lebensmitte zu einem Preis verkauft, für den man in friedlicheren Tagen die beiden Pferde hätte erstehen können. Sie aßen, während der Regen auf das Dach zu trommeln begann. Wasser aus ihren Feldflaschen ersetzte ihnen Wein, denn den konnte Florry ihnen um keinen Preis der Welt verkaufen, und als sie fertig waren, holte Thom seine Zunderschachtel heraus, stopfte die Pfeife mit dem langen Stiel und lehnte sich gemütlich zum Rauchen zurück.
Mat lag auf dem Rücken, starrte zu dem im Dunkeln liegenden Dach empor und fragte sich, ob es bis zum Morgen mit Regnen aufhören werde. Er wollte diesen Brief so schnell wie möglich loswerden. Da hörte er das Quietschen einer Achse von der Stalltür her. Er rollte sich zur Kante des Heubodens und spähte hinunter. Das Dämmerlicht reichte gerade noch, um sehen zu können.
Eine schlanke Frau richtete sich von den Deichseln des hochrädrigen Karrens auf, den sie gerade aus dem Regen hineingezogen hatte, zog sich den Umhang von den Schultern und murrte in sich hinein, während sie die Nässe herausschüttelte. Ihr Haar war zu unzähligen kleinen Zöpfen geflochten, und ihr Seidenkleid — er glaubte, es müsse wohl blaßgrün sein — war auf der Brust mit vielen Stickereien verziert. Das Kleid war einst kostbar gewesen, doch nun war es zerlumpt und hatte Flecken. Sie rieb sich den Rücken, wobei sie immer noch leise Selbstgespräche führte, und eilte dann zur Stalltür, um in den Regen hinauszublicken. Genauso hastig zog sie dann das große Tor von innen zu. Der Stall lag nun vollständig im Dunkeln. Drunten raschelte es, klickte und ratschte, und plötzlich flammte ein kleines Licht auf und entzündete eine Laterne, die sie in Händen hielt. Sie sah sich um, entdeckte einen Haken an einem Balken, hängte die Laterne auf und ging zu ihrem Karren. Dort kramte sie unter der mit Leinen festgezurrten Plane herum.
»Die war aber schnell«, sagte Thom leise, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Sie hätte den ganzen Stall in Brand stecken können — so im Dunklen mit Feuerstein und Stahl herumzufuchteln.«
Die Frau zog schließlich ein Ende eines Brotlaibs heraus, an dem sie dann herumkaute, als sei es ziemlich hart und sie ziemlich hungrig.
»Ist noch etwas von dem Käse übrig?« flüsterte Mat. Thom schüttelte den Kopf. Die Frau hob die Nase und schnupperte. Mat wurde klar, daß sie möglicherweise den Tabaksrauch aus Thoms Pfeife roch. Er wollte schon aufstehen und ihre Gegenwart preisgeben, als sich ein Torflügel des Stalls erneut öffnete.
Die Frau duckte sich, bereit wegzulaufen, als vier Männer aus dem Regen hereinkamen. Sie legten ihre nassen Umhänge beiseite. Drunter trugen sie helle Jacken mit weiten Ärmeln und Stickereien auf der Brust; dazu Pumphosen, die ebenfalls bis zum Knie herab bestickt waren. Ihre Kleidung war vielleicht vornehm, aber es waren alles große Männer mit grimmigen Gesichtern.
»Tja, Aludra«, sagte ein Mann in gelbem Mantel, »du bist nicht so schnell vorwärtsgekommen, wie du glaubtest, eh?« Er hatte einen Akzent, der Mats Ohren unbekannt war.
»Tammuz«, sagte die Frau in einem Tonfall, als fluche sie. »Reicht es noch nicht, daß du mich durch deine Fehler aus der Gilde ausschließen läßt, du großes Ochsenhirn? Nein, jetzt mußt du mich auch noch verfolgen!« Sie sprach mit dem gleichen Akzent wie der Mann. »Glaubst du, ich sei nun glücklich, dich zu sehen?«
Der, den sie Tammuz genannt hatte, lachte. »Du bist schon eine große Närrin, Aludra, aber das wußte ich ja schon immer. Wärst du einfach nur abgehauen, dann könntest du noch lange an irgendeinem beliebigen, ruhigen Ort leben. Aber die Geheimnisse in deinem Kopf konntest du nicht vergessen, oder? Hast du geglaubt, wir würden nicht davon hören, wenn du deinen Lebensunterhalt damit verdienst, was nur der Gilde rechtmäßig zusteht?« Plötzlich hatte er ein Messer in der Hand. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir die Kehle durchzuschneiden, Aludra.«
Mat wurde nicht einmal bewußt, daß er aufgestanden war, bis er eines der von der Decke herunterbaumelnden Seile in Händen hielt und daran vom Heuboden herunterglitt. Seng mich, ich bin doch ein verdammter Narr!
Es blieb ihm nur Zeit für diesen einen verzweifelten Gedanken, und dann schwang er sich mitten zwischen den Männern hindurch. Sie fielen zur Seite wie die Kegel auf der Kegelbahn. Das Seil rutschte ihm durch die Hände, und er stürzte, taumelte über den strohbedeckten Boden, wobei ihm Münzen aus den Taschen fielen, und konnte sich gerade noch an der Wand abstützen. Als er wieder auf den Beinen war, erhoben sich auch die vier Männer schon wieder. Und jetzt hatten alle Messer in den Händen. Lichtblinder Narr! Seng mich! Seng mich!
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