Perrin hatte sie nach alledem, als sie eines Nachts um das Lagerfeuer saßen, schließlich doch gefragt: »Nach Jarra dachte ich... Sie waren alle so glücklich bei ihren Hochzeiten. Selbst die Weißmäntel waren am Ende nur die Narren. Fyall hat auch Vorteile aus Rands Eigenschaften gezogen: Er kann mit der bevorstehenden Mißernte nichts zu tun gehabt haben, denn das war schon vor seiner Ankunft klar, und das ganze Gold war ja ein Segen! Doch all die anderen Dinge... Diese brennende Stadt und die ausgetrockneten Brunnen und... Das ist schlimm, Moiraine. Ich kann nicht glauben, daß Rand böse ist. Das Muster formt sich vielleicht um ihn herum, aber wie kann denn das Muster soviel Böses vollbringen? Das ergibt keinen Sinn, und letzten Endes muß doch alles einen Sinn haben. Wenn man ein sinnloses Werkzeug herstellt, ist das reine Metallverschwendung. Aber das Muster verschwendet aber doch nichts.«
Lan warf ihm einen sarkastischen Blick zu und verschwand in der Dunkelheit, um eine Runde um das Lager zu drehen. Loial hatte sich schon unter seinen Decken ausgestreckt, und jetzt hob er den Kopf und spitzte buchstäblich die Ohren, um zu lauschen.
Moiraine schwieg eine Weile lang und wärmte sich die Hände. Schließlich antwortete sie und starrte dabei in die Flammen: »Der Schöpfer ist gut, Perrin. Der Vater der Lügen ist böse. Das Muster eines Zeitalters und auch das Gewebe der Zeitalter selbst ist weder das eine, noch das andere. Das Muster ist einfach. Das Rad der Zeit webt alle Leben in das Muster hinein, alle Handlungen. Ein Muster, das nur aus einer Farbe besteht, ist kein Muster. Für das Muster eines Zeitalters sind Gut und Böse soviel wie Kette und Schuß.«
Selbst jetzt, drei Tage später, als sie im Schein der Spätnachmittagssonne einherritten, fühlte Perrin noch die Eiseskälte, die ihn überfallen hatte, als er diese Worte zum erstenmal von ihr hörte. Er wollte einfach an das Gute des Musters glauben. Er wollte glauben, daß Menschen, die böse Dinge taten, damit gegen das Muster handelten und es verformten. Für ihn war das Muster eine wundervoll fein gewirkte Schöpfung eines Meisterschmieds. Daß darin wertloses Metall und noch Schlimmeres ganz selbstverständlich mit gutem Stahl verschmelzen sollte, war für ihn ein bedrückender Gedanke.
»Es geht mir nahe«, murmelte er leise. »Licht, wie mir das nahegeht.« Moiraine blickte zu ihm zurück, und er schwieg. Er wußte nicht genau, was der Aes Sedai naheging, außer Rand natürlich.
Ein paar Minuten später kehrte Lan zurück und lenkte sein schwarzes Streitroß neben Moiraines Stute. »Remen liegt gleich hinter dem nächsten Hügel«, sagte er. »Sie hatten ein oder zwei aufregende Tage, wie es scheint.«
Loials Ohren zuckten einmal. »Rand?«
Der Behüter schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht kann Moiraine das feststellen, wenn sie es sieht.« Die Aes Sedai blickte ihn forschend an und trieb ihre Stute zu einer schnelleren Gangart an.
Sie erreichten den Hügelkamm, und unter ihnen erstreckte sich Remen bis ganz zum Fluß hin. Der Manetherendrelle war hier eine gute halbe Meile breit, und es gab keine Brücke. Nur zwei überfüllte bootsähnliche Fähren überquerten, von langen Rudern vorwärtsgetrieben, den Fluß in eine Richtung, und in der Gegenrichtung fuhr eine weitere, beinahe leere Fähre herüber. Noch drei weitere lagen an einer langen Kaimauer, zusammen mit fast einem Dutzend Flußhandelsschiffen, einige davon mit einem Mast, andere mit zweien. Zwischen dem Anlegeplatz und der kleinen Stadt selbst lagen einige massige, graue, aus Stein erbaute Lagerhäuser. In der Stadt waren die meisten Häuser ebenfalls aus Stein. Nur ihre Dächer waren mit Ziegeln in allen Farben gedeckt, von Gelb über Rot bis zu purpurnen. Ein wildes Durcheinander von Straßen zog sich um einen Platz im Stadtzentrum.
Moiraine zog sich die weite Kapuze an ihrem Umhang über den Kopf, um ihr Gesicht zu verbergen, bevor sie hinabritten.
Wie üblich starrten die Passanten auf der Straße Loial an, aber diesmal hörte Perrin ehrfürchtiges Gemurmel: »Ogier«. Loial saß höher aufgerichtet im Sattel als seit einiger Zeit, seine Ohren waren steif, und der Anflug eines Lächelns verzog ein wenig seine Mundwinkel. Er bemühte sich offensichtlich, nicht zu zeigen, daß er sich geschmeichelt fühlte, aber er sah aus wie eine Katze, die man hinter den Ohren krault.
Remen wirkte auf Perrin wie ein Durchschnittsort. Es roch nach Menschen und von Menschen erzeugten Gerüchen, auch der Geruch des Flusses mischte sich natürlich kräftig unter, und er überlegte gerade, was Lan wohl gemeint haben könnte — da stellten sich ihm die Nackenhaare auf, denn plötzlich witterte er etwas, das nicht hierher gehörte. Kaum hatte er die Witterung in der Nase, da war sie auch schon wieder verschwunden wie ein Pferdehaar auf glühenden Kohlen, doch er erinnerte sich daran. In Jarra hatte er genau das gleiche gewittert, und auch dort war die Witterung so schnell verflogen. Es war kein Entstellter oder Ungeborener — Trolloc, seng mich, das heißt nicht ›Entstellter‹! Und auch kein Ungeborener! Ein Myrddraal, ein Blasser, Halbmensch oder was sonst, aber kein Ungeborener! — kein Trolloc und kein Blasser, aber der Gestank war kein bißchen angenehmer, genauso beißend und widerlich. Wer auch immer diesen Geruch verströmte, hinterließ offensichtlich keine bleibende Spur.
Sie erreichten schließlich den Marktplatz. Genau in der Mitte hatte man eine der großflächigen Pflasterplatten herausgenommen, damit eine Art von Galgen errichtet werden konnte. Aus dem Erdboden erhob sich ein dicker Balken mit einem Querbalken obenauf, an dem ein eiserner Käfig etwa vier Schritt über dem Boden hing. Im Käfig saß ein hochgewachsener Mann in Grau und Braun gekleidet, das Kinn auf die Knie gestützt. Er hatte keinen Platz, um sich zu bewegen. Drei kleine Jungen warfen gerade Steine nach ihm. Der Mann blickte stur geradeaus und zuckte nicht einmal, als ihn ein Stein zwischen die Gitterstäben hindurch traf. Mehr als ein Blutgerinsel war bereits auf seinem Gesicht zu sehen. Die Stadtbewohner achteten im Vorbeigehen genauso wenig auf das, was die Jungen taten, wie der Mann selbst, obwohl sie sich alle die Hälse nach dem Käfig verdrehten, die meisten zustimmend und ein paar auch ängstlich.
Moiraine gab einen Laut von sich, in dem Ekel mitschwang. »Es gibt noch mehr«, sagte Lan. »Kommt. Ich habe bereits Zimmer in einer Schenke für uns genommen. Ich glaube, Ihr werdet es interessant finden.«
Perrin blickte sich nach hinten zu dem Mann im Käfig um, während er hinter den anderen herritt. Etwas an dem Mann kam ihm bekannt vor, doch er konnte ihn nicht zuordnen.
»So was sollten sie nicht tun.« Loials Stimme klang wie eine Mischung aus Grollen und Fauchen. »Die Kinder, meine ich. Die Erwachsenen sollten sie daran hindern.«
»Stimmt«, meinte Perrin, obwohl er nicht recht aufgepaßt hatte. Warum kommt er mir so bekannt vor?
Auf dem Schild über der Tür der Schenke in der Nähe des Flusses, zu der Lan sie führte, stand ›Wanderers Schmiede‹, und das schien Perrin ein gutes Omen, auch wenn das Haus nichts von einer Schmiede an sich hatte, abgesehen von dem Mann mit dem Lederschurz und dem Hammer, den man auf das Schild gemalt hatte. Es war ein großes, dreistöckiges Gebäude mit rotem Dach und aus gleichmäßigen, matt glänzenden grauen Steinen erbaut. Die Fenster waren groß, die Türen mit Runen eingelegt, und so wirkte das Ganze recht wohlhabend. Stallburschen kamen angerannt, um sich um die Pferde zu kümmern. Sie verbeugten sich noch tiefer, nachdem Lan ihnen ein paar Münzen zugeworfen hatte.
Drinnen musterte Perrin aufmerksam die Gäste. Die Männer und Frauen an den Tischen hatten, wie es ihm schien, alle Festtagsgewänder an. Er sah mehr bestickte Mäntel, mehr Spitzenbesätze an Kleidern, mehr bunte Bänder und fransenbesetzte Schals, als er seit langer Zeit gesehen hatte. Nur vier Männer an einem der Tische trugen einfache Mäntel, und sie waren auch die einzigen, die nicht erwartungsvoll aufblickten, als Perrin und die anderen eintraten. Die vier Männer unterhielten sich leise weiter. Er konnte kaum etwas von dem verstehen, was sie sagten. Es klang ihm nach den Vorzügen von Eispfeffer gegenüber Fellen als Ladung und welchen Einfluß die Unruhen in Saldaea wohl auf die Preise hätten. Er stufte sie daraufhin als Kapitäne von Handelsschiffen ein. Die anderen schienen Ortsansässige zu sein. Selbst die Bedienungen trugen ihre besten Kleider. Ihre langen Schürzen bedeckten bestickte Kleider mit Spitzenkragen.
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