Wolfgang Hohlbein - Die Entdeckung

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Die gefährlichen Orks haben Greifenburg, die größte Stadt von Aventurien, besetzt. Da zettelt der Inquisitor Marcian einen Aufstand an, um die Stadt für seinen Prinzen Brin zu befreien. Doch statt der erwarteten kaiserlichen Armee, die eigentlich zu Hilfe eilen sollte, stehen plötzlich weitere Orks vor den Mauern von Greifenfurt. Mit einer Hand voll Soldaten und Freiwilligen nimmt Marcian dennoch den Kampf auf ...

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»Die Luft ist jetzt rein, großer Krieger. Kriecht ruhig aus dem Busch heraus.«

Erschrocken fuhr Alrik herum. Durch die dichten Äste konnte er nichts sehen.

Wollte er unbeschadet aus dem Gebüsch heraus, mußte er wohl oder übel kriechen. Als Versteck war es nun, da man ihn entdeckt hatte, nichts mehr wert. Doch alles in ihm sträubte sich dagegen, vor jemandem zu kriechen, der ihm gegenüber einen so spöttischen Ton anschlug. Er war von adliger Geburt und ein Ritter. Wütend überlegte er, wie er aus der mißlichen Lage herauskäme, als die Frauenstimme schon wieder spottete:

»Nun, seid Ihr noch immer vor Angst wie gelähmt, oder habt Ihr beschlossen in diesem gemütlichen Dornbusch den Winter zu verbringen?«

Vor Wut schnaubend brach Alrik durch das Gestrüpp. Äste kratzten ihm das Gesicht blutig, und die Dornen zerrissen seine Gewänder. »Wer seid Ihr?« brüllte er. Auch jetzt, als er sich aus seinem Versteck freigekämpft hatte, konnte er noch immer niemanden sehen.

Da trat eine zierliche Frau hinter einem mächtigen Baumstamm hervor. »Man nennt mich Andra, die Jägerin, und wer seid Ihr?«

Alrik versuchte so etwas wie eine höfische Verbeugung, führte die Galanterie aber nicht bis zu Ende, denn sonst hätte er sich erneut sein Gesicht zerkratzt.

»Gestatten, Oberst Alrik von Blautann und vom Berg. Ritter in Diensten des Prinzen Brin, des einzig rechtmäßigen Regenten im Mittelreich.« »In der Zeit, die Ihr zu Eurer Vorstellung braucht, könnte ich Euch glatt mit meiner ganzen Sippe bekannt machen«, entgegnete die Fremde schmunzelnd.

Sie trug beinahe kniehohe Stulpenstiefel, eng anliegende Hosen aus einem gelblichen, feingegerbten Leder und ein Lederwams, unter dem eine rote Bluse aus feinem Stoff hervorlugte. Ihre Hände steckten in Handschuhen aus Wildleder. Über ihrem Rücken hing ein mit Stickereien und Fransen verzierter Köcher. Den dazugehörigen Jagdbogen hielt sie in der Hand. Als zweite Waffe führte sie an einem metallverstärkten Gürtel ein Schwert mit auffällig geschwungener Parierstange. Im Haar und an ihren Ohren glitzerte fein gehämmerter Messingschmuck.

So ausstaffiert, machte die Jägerin einen zugleich wilden und verführerischen Eindruck. Obwohl ihr Körper grazil und zerbrechlich wirkte, traute Alrik ihr dennoch zu, es mit jedem Raubtier in dieser Wildnis aufzunehmen.

»Nun, was gafft Ihr so, Ritter des Prinzen? Ihr tätet gut daran, endlich diesen Busch zu verlassen, und wir sollten dann aus der Nähe dieser Lichtung verschwinden.«

Alrik räusperte sich verlegen und tat schließlich, wie ihm geheißen. Einen Augenblick schwieg er verlegen, doch dann überlegte sich der Ritter, daß es höflich sei, ein wenig mit der Fremden zu plaudern. Vielleicht konnte ihm diese Jägerin einen besseren Weg durch den Wald weisen, als er jemals finden würde.

»Sagt, schöne Andra, fürchtet Ihr Euch nicht vor den Orks?« eröffnete er das Gespräch. Alrik war sich durchaus bewußt, wie naiv das klang, doch hatte seine Zunge nicht den Schliff eines geübten Höflings.

Andra lachte laut auf. »Angst vor den Orks? Die Schwarzpelze tun gut daran, sich vor mir zu fürchten. Ich kenne den Wald besser als jeder Olochtai, und ihre ranzigen Pelze rieche ich schon eine Meile gegen den Wind. Aber Ihr habt Glück gehabt, nicht wahr? Daß Ihr dieser Jagdmeute nicht in die Arme gelaufen seid, war doch wohl nur Zufall.«

»Ihr habt mich beobachtet und mich nicht gewarnt?« Alrik blickte die Jägerin verblüfft an. »Ihr hättet mich sterben lassen?«

»Wißt Ihr, wir sind hier im Wald. Hier regiert Firun, Herr der Jagd und des Winters, und nicht Eure Kriegsgöttin Rondra. Ich habe Euer Leben in seine Hände gelegt. Hätte er gewollt, daß Ihr sterbt, wärt Ihr nichtsahnend auf die Lichtung spaziert. Doch so wie Ihr Euch verhalten habt, muß Firun beschlossen haben, daß ich weiter über Euch wache.«

Alrik schwieg. Diese Frau hätte kaltblütig zugesehen, wie er abgeschlachtet worden wäre, obwohl ein Wort von ihr genügt hätte, ihn zu warnen. Die Einsamkeit in den Wäldern mußte ihr den Geist verwirrt haben. Es wäre vermutlich das beste, sich schnell wieder von ihr zu trennen. Eine Weile schritten sie schweigend nebeneinander her. Alrik hatte den Eindruck, daß Andra ihn ständig aus den Augenwinkeln beobachtete. Dann sprach sie ihn wieder an.

»Ihr habt wohl mehr Erfahrung auf dem Schlachtfeld als mit der Jagd im Wald?«

Darauf würde er keine Antwort geben, dachte sich Alrik. Noch immer musterte Andra ihn neugierig.

»Ich folge Euch schon seit gestern. Ihr hinterlaßt eine Spur im Wald wie ein verliebter Keiler. Hätte ich nicht Eure Fährte beseitigt, wären die Olochtai schon längst über Euch hergefallen. Außerdem seid Ihr noch nicht einmal in der Lage, die Richtung zu halten. Zuerst dachte ich, Ihr wollt geradeaus nach Osten. Doch dann seid Ihr immer mehr nach Süden abgedriftet. Was ist eigentlich Euer Ziel? Seid Ihr ein versprengter Soldat der kaiserlichen Armee oder vielleicht ein Bote?«

Wieder brütete Alrik eine Weile dumpf vor sich hin. Dann kam er zu dem Schluß, daß er diese Wilde am schnellsten wieder loswerden würde, wenn sie ihm den Weg zu einem Lager der Kaiserlichen zeigte.

»Richtig«, begann der Ritter dann, »Ihr verfügt wirklich über einen bemerkenswerten Scharfsinn. Ich bin ein Bote und habe mich in diesem Wald verirrt. Ich suche das nächstgelegene kaiserliche Lager, um von dort mit einer Eskorte zum Quartier des Prinzen aufzubrechen. Vielleicht wäret Ihr so höflich, mir den Weg zu weisen?«

»Ihr habt wahrscheinlich nicht einmal eine Ahnung, wo das nächste Lager liegt?«

Der Tonfall der Fremden machte Alrik mißtrauisch. Vielleicht war die vermeintliche Jägerin nicht verrückt, sondern in Wirklichkeit nichts anderes als ein Strauchdieb, und statt ihm den richtigen Weg zu weisen, plante sie, ihn ins Lager ihrer Spießgesellen zu locken. Der Oberst blieb unvermittelt stehen.

»Wißt Ihr was, meine schöne Jägerin? Wir sollten Firun noch einmal Gelegenheit zu einem Gottesurteil geben. Bislang hat er es ja ganz gut mit mir gemeint, und ich bin sicher, daß sein göttlicher Wille mir auch weiterhin geneigt ist.«

Andra blieb stehen und schaute ihn ungläubig an. »Ihr seid ein mißtrauischer Mann und gottesfürchtiger, als ich erwartet hätte.« Die Frau blickte ihn herablassend an. »Doch eins wüßte ich noch gern, bevor wir uns trennen. Da Ihr es vorzieht, Euch der Obhut Firuns zu übergeben, sagt, was stört Euch an mir?«

Alrik schwieg. Er würde ihr niemals ins Gesicht sagen, was er gedacht hatte. Das verbot ihm der Anstand. Schließlich zuckte die Jägerin mit den Schultern.

»Ich habe es nicht nötig, solchen Ballast wie Euch mit mir durch den Wald zu schleppen. Wenn Ihr meine Gesellschaft nicht wollt, werde ich sie Euch bestimmt nicht aufzwingen. Mögen die Zwölfgötter mit Euch sein!«

Mit diesen Worten schulterte die Jägerin ihren Bogen und lief leichtfüßig ins Dickicht. Schon nach wenigen Augenblicken vermochte Alrik sie nicht mehr zu sehen.

In unbehaglicher Stimmung marschierte der Oberst alleine weiter. Mit Andra an seiner Seite hatte er sich nicht wohl gefühlt, doch ohne sie war es nicht besser. Leise fluchte er auf den Wald und wünschte, er hätte den dunklen Forst schon hinter sich gelassen. Außerdem ärgerte er sich darüber, sie nicht nach dem Weg zu einem der Armeelager gefragt zu haben. Er wußte, daß hier irgendwo Truppen stationiert sein mußten, wenn die Pläne des obersten kaiserlichen Heerführers, Marschall Haffax, in die Tat umgesetzt worden waren.

Mißmutig wanderte Alrik durch den Wald. Der Wind schüttelte Regentropfen von den Bäumen. Tausende goldfarbener Blätter lagen auf dem Waldboden und leuchteten noch einmal auf, während das Praiosgestirn hinter den Wipfeln versank und die Nacht hereinbrach.

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