Der Hieb fegte Snip die Schädeldecke vom Kopf. Rosafarbene Klumpen seines Hirns klatschten auf Beatas Uniformjacke. Snip sackte zusammen.
Beata hockte starr vor Schreck da. Wie ein von Panik ergriffenes Kind hörte sie sich selber schreien. Sie konnte sich nicht zwingen aufzuhören. Es war, als sähe sie einem anderen dabei zu.
Statt sie zu töten, richtete der Soldat jedoch sein Augenmerk auf Snip oder, besser gesagt, auf Snips Schwert. Er zog die blinkende Waffe aus Snips erschlaffter Hand, dann befreite er Gehenk und Scheide mit einem Ruck vom Gewicht der Leiche.
Er war gerade dabei, das Schwert der Wahrheit in die Scheide zu schieben, als weitere Reiter eintrafen.
Lächelnd zwinkerte er Beata zu. »Ich glaube, Kommandant Stein würde dies gern haben wollen. Was meinst du?«
Beata hockte wie benommen da, von Kopf bis Fuß mit Snips Gehirn bespritzt, während er dort vor ihr lag und sein Blut im Erdboden versickerte.
»Wieso?« Mehr brachte Beata nicht heraus.
Der Mann grinste noch immer. »Nachdem ihr alle Gelegenheit hattet, eure Stimme abzugeben, wird Kaiser Jagang jetzt die entscheidende und geheime Auszählung vornehmen.«
»Was hast du denn da?«, fragte ein anderer Soldat, während er von seinem Pferd absaß.
»Ein paar ganz brauchbar aussehende Mädchen.«
»Aber schlag sie nicht alle tot«, beschwerte sich der Soldat gut gelaunt. »Ich mag sie warm, wenn sie sich noch bewegen.«
Alles johlte. Wimmernd schob sich Beata mit den Fersen nach hinten und versuchte rücklings von den Männern fortzukrabbeln.
»Ich hab schon von diesem Schwert gehört, deshalb werde ich es Kommandant Stein mitbringen. Er wird über alle Maßen erfreut sein, es dem Kaiser überreichen zu können.«
Hinter ihrer Schulter sah sie, wie ein anderer Soldat Estelle und Emmeline oben auf der Dominie Dirtch beiläufig entwaffnete, als die beiden versuchten, ihren Posten zu verteidigen. Emmeline versuchte mit einem Sprung von der Dominie Dirtch hinunter zu fliehen; beim Aufprall brach sie sich das Bein. Ein Soldat packte ihr rotes Haar und ging daran, sie wie ein eingefangenes Huhn zu den Kasernen hinüberzuschleifen.
Estelle wurde von dem Soldaten oben auf der Dominie Dirtch abgeküsst, während sie ihn mit ihren Fäusten bearbeitete. Ihre Abwehrversuche amüsierten die Soldaten. Überall stiegen Soldaten in dunklen Lederplatten und -gürteln, in dornenbesetzten Riemen, Kettenpanzern und Fellen, mit mächtigen Schwertern, Flegeln und Äxten von ihren Pferden. Andere, noch zu Pferd, umkreisten johlend ein ums andere Mal die Dominie Dirtch.
Als die Soldaten sich ohne Ausnahme Estelles neuerlichen Schmerzens- und Entsetzensschreien und dem Gejohle ihres Häschers zuwandten, packte eine Hand Beatas Kragen und schleifte sie auf ihrem Hinterteil weg vom Ort des Geschehens.
Kaum hörbar knurrte die Frau im roten Leder hinter ihr: »Beweg dich! Solange du noch kannst!«
Die Panik verlieh Beata Flügel. Sie rappelte sich auf und rannte zusammen mit der Frau los. Die beiden warfen sich in eine im hohen Gras verborgene Bodensenke.
»Hör auf mit dem Geflenne!«, kommandierte die Frau. »Hör endlich auf, sonst schaffst du es womöglich noch, das man uns erwischt!«
Beata zwang sich, still zu sein, konnte aber ihre Tränen nicht unterdrücken. Soeben war ihr gesamter Trupp bis auf Emmeline und Estelle aufgerieben worden, und diese beiden waren in Gefangenschaft geraten.
Snip, dieser Narr Snip, war beim Versuch sie zu retten umgekommen.
»Wenn du nicht still bist, schneide ich dir eigenhändig die Kehle durch.«
Beata biss sich auf die Lippe. Sie hatte ihre Tränen stets unterdrücken können; so schwer wie jetzt war es ihr allerdings noch nie gefallen.
»Tut mir Leid«, wimmerte Beata leise.
»Ich habe gerade deinen Hintern vor dem Teufel gerettet. Als Gegenleistung könntest du wenigstens dafür sorgen, dass man uns nicht schnappt.«
Die Frau verfolgte, wie der Mann mit dem Schwert der Wahrheit davongaloppierte, zurück nach Fairfield. Sie stieß einen leisen Fluch aus.
»Wieso habt Ihr mich einfach fortgeschleift?«, fragte Beata voll erbittertem Zorn. »Warum habt Ihr nicht wenigstens versucht, ein paar von ihnen zu erledigen?«
Die Frau machte eine knappe Handbewegung. »Wer, glaubst du wohl, hat das getan? Was glaubst du, wer dir den Rücken frei gehalten hat? Einer von deinen Kindersoldaten vielleicht?«
Daraufhin schaute Beata hin und sah, was ihr zuvor überhaupt nicht aufgefallen war. Da und dort lagen vereinzelt tote gegnerische Soldaten. Ihr Blick wanderte zurück zu den blauen Augen der Frau.
»Idiotin«, murmelte die Frau.
»Ihr tut, als sei ich schuld daran, als würdet Ihr mich hassen.«
»Weil du eine Närrin bist.« Verärgert deutete sie auf das Blutbad. »Dein Posten ist soeben von drei Mann überwältigt worden, und diese drei sind nicht einmal außer Atem.«
»Aber – sie haben uns doch überrascht.«
»Hältst du das alles eigentlich für ein Spiel? Du hast noch nicht mal genügend Verstand, um zu begreifen, dass man dich schlicht hinters Licht geführt hat. Die Verantwortlichen haben euch mit falschem Mut die Brust geschwellt und euch hierher geschickt, damit ihr scheitert. Das ist doch sonnenklar, aber du siehst es nicht einmal. Einhundert von euch Jungen und Mädchen wären nicht imstande, einen dieser Männer zu Boden zu schlagen. Das sind Truppen der Imperialen Ordnung.«
»Aber wenn sie wenigstens…«
»Du glaubst, der Feind spielt nach deinen Regeln? Soeben ist all diesen jungen Leuten das wahre Leben zum Verhängnis geworden, und eins kann ich dir versprechen, die toten Mädchen werden weitaus besser dran sein als die, die überlebt haben.«
Beata war so entsetzt, dass sie kein Wort herausbrachte. Die Hitzigkeit in der Stimme der Frau legte sich ein wenig.
»Na ja, es ist nicht allein deine Schuld. Schätze, du bist nicht alt genug, um es besser zu wissen und einige der Tatsachen des Lebens zu kennen. Man kann von dir nicht verlangen, dass du erkennst, was wahr ist und was nicht. Du glaubst bloß, es zu können.«
»Wieso seid Ihr eigentlich so versessen auf dieses Schwert?«
»Weil es Lord Rahl gehört. Er hat mich geschickt, es zu holen.«
»Wieso habt Ihr mir das Leben gerettet?«
Die Frau starrte sie an. Hinter diesen kalten, berechnenden blauen Augen schien es keine Furcht zu geben.
»Schätze, weil ich selber einmal ein törichtes junges Mädchen war, das in die Hände von bösen Männern geriet.«
»Was haben sie Euch denn angetan?«
Die Frau lächelte bitter. »Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin: zu einer Mord-Sith. So viel Glück wird dir nicht beschieden sein; diese Soldaten hier sind in dem, was sie tun, nicht annähernd so gut.«
Von den Mord-Sith hatte Beata noch nie etwas gehört. Die Aufmerksamkeit der beiden wurde erneut auf Estelles Schreie oben auf der Dominie Dirtch gelenkt.
»Ich muss dem Schwert hinterher. Ich schlage vor, du läufst weg.«
»Nehmt mich mit.«
»Nein. Helfen kannst du mir nicht, und ansonsten behinderst du mich nur.«
Beata wusste, wie erschreckend wahr das war. »Was soll ich denn tun?«
»Schaff deinen Hintern von hier fort, bevor diese Männer ihn in die Finger kriegen, oder es wird dir sehr viel mehr als Leid tun.«
»Bitte«, flehte Beata sie an, als ihr abermals die Tränen kamen, »helft Ihr mir, Estelle und Emmeline zu retten?«
Die Frau presste die Lippen aufeinander und dachte einen Augenblick nach.
»Die eine dort«, meinte die Frau schließlich und zeigte kalt berechnend auf Estelle. »Wenn ich von hier verschwinde, werde ich dir helfen, die eine mitzunehmen. Von da an müsst ihr selber sehen, wie ihr entkommen könnt.«
Beata sah den Mann lachen, sah, wie er Estelles Brust betatschte, während sie ihn abzuwehren versuchte. Beata wusste, wie Estelle dabei zumute sein musste.
Читать дальше