Ann bedachte Kahlan mit einem breiten Lächeln und berührte ihr Gesicht wie eine freundliche Großmutter das eines geliebten Kindes. Kahlan spürte, wie herzerwärmend ehrlich die Geste gemeint war. Mit funkelnden Augen wiederholte Ann die Geste bei Richard.
Sie band ihr graues Haar zu einem lockeren Knoten zusammen, drehte sich um und legte ein kleines Scheit aus gebündeltem Gras aufs Feuer. »Ich hoffe, der erste Tag eurer Ehe verläuft angenehm?«
Kahlan und Richard sahen sich kurz an. »Wir waren vorhin bei den Quellen und haben gebadet.« Sowohl Kahlans als auch Richards Lächeln verschwand. »Dabei kam einer der Jägerposten ums Leben.«
Ihre Worte trugen ihnen die volle Aufmerksamkeit von Zedd und Ann ein.
»Und wie?« erkundigte sich Ann.
»Er ist ertrunken.« Mit einer Handbewegung forderte Richard alle auf, Platz zu nehmen. »Der Bach war seicht, soweit wir es jedoch beurteilen können, ist der Mann weder gestrauchelt noch gestürzt.« Während die vier sich rings um die in der Zimmermitte in den Lehm geritzte Huldigung niederließen, deutete er mit dem Daumen über seine Schulter. »Wir haben ihn in eines der Gebäude dort hinten gebracht.«
Zedd warf einen Blick über Richards Schulter, fast so, als könnte er durch die Mauer blicken und Junis Leichnam in Augenschein nehmen. »Ich werde ihn mir ansehen.« Er blickte zu Cara auf, die mit dem Rücken zur Tür Wache stand. »Was ist Eurer Meinung nach passiert?«
Ohne Zögern antwortete Cara: »Ich glaube, Juni war zur Gefahr geworden. Als er nach Lord Rahl suchte, um ihm etwas anzutun, ist er gestürzt und ertrunken.«
Zedd zog erstaunt die Brauen hoch. Er wandte sich an Richard.
»Zu einer Gefahr! Warum sollte der Mann dir gegenüber plötzlich aggressiv werden?«
Richard warf der Mord-Sith einen finsteren Blick zu. »Cara täuscht sich. Er hatte nicht die Absicht, uns etwas anzutun.« Zufrieden, daß sie ihm nicht widersprach, richtete er sein Augenmerk wieder auf seinen Großvater. »Als wir ihn fanden – tot –, hatte er einen seltsamen Blick in den Augen. Er muß vor seinem Tod etwas gesehen haben, das diesen maskenhaften Ausdruck … ich weiß nicht … der Sehnsucht vielleicht, auf seinem Gesicht zurückließ. Nissel, die Heilerin, kam und untersuchte seinen Leichnam. Sie meinte, er weise keinerlei Verletzungen auf, sei aber zweifellos ertrunken.«
Richard stützte sich mit dem Unterarm auf dem Knie ab und beugte sich vor. »Ertrunken, Zedd, in sechs Zoll tiefem Wasser. Nissel meint, böse Seelen hätten ihn umgebracht.«
Zedd zog seine Brauen noch höher. »Böse Seelen?«
»Die Schlammenschen glauben, daß manchmal böse Seelen erscheinen und das Leben eines Dorfbewohners einfordern«, erläuterte Kahlan. »Die Dorfbewohner legen Opfergaben vor Tonfiguren nieder, in einigen Gebäuden dort drüben.« Sie deutete mit ihrem Kinn Richtung Norden. »Offenbar glauben sie, diese bösen Seelen durch das Zurücklassen von Reiskuchen versöhnlich stimmen zu können. Als könnten ›böse Seelen‹ essen oder würden sich so leicht bestechen lassen.«
Draußen peitschte der Regen gegen die Häuser. Wasser sammelte sich in einem dunklen Fleck unter dem Fenster und tropfte hier und dort durch das Grasdach. Fast unaufhörlich hörte man Donnergrollen, das die inzwischen längst verstummten Trommeln abgelöst hatte.
»Ah, ich verstehe«, meinte Ann. Sie hob den Kopf und lächelte dabei auf eine Weise, die Kahlan merkwürdig fand. »Ihr glaubt also, die Schlammenschen hätten euch, verglichen mit dem prunkvollen Ereignis, das euch in Aydindril zuteil geworden wäre, eine schäbige Hochzeit ausgerichtet. Hmmm?«
Kahlan zog verblüfft die Brauen zusammen. »Natürlich nicht. Es war die wundervollste Hochzeit, die wir uns nur hätten wünschen können.«
»Tatsächlich?« Ann machte eine ausholende Armbewegung, die das ganze Dorf einschloß. »Menschen in geschmacklosem Flitter und bekleidet mit Tierfellen? Die sich das Haar mit Schlamm glätten? Kinder, die während einer solchen Feierlichkeit nackt herumtollen, lachen und spielen? Männer mit beängstigenden aufgemalten Masken aus Schlamm, die herumtanzen und sich Geschichten von Tieren, von der Jagd und von Kriegen erzählen? Das sind die Dinge, die eurer Ansicht nach ein gelungenes Hochzeitsfest ausmachen?«
»Nein … das war es nicht, was ich meinte oder was daran so wichtig war«, stammelte Kahlan. »Das, was sich in ihren Herzen abspielte, hat die Hochzeit zu etwas so Besonderem gemacht. Sie war für uns so bedeutungsvoll, weil die Menschen unsere Freude ganz aufrichtig und ehrlich geteilt haben. Was hat das außerdem mit den Reiskuchenopfern für nicht vorhandene böse Seelen zu tun?«
Mit der Seite ihres Fingers korrigierte Ann eine der Linien der Huldigung – jene Linie, die die Unterwelt darstellte. »Wenn du sagst: ›Geliebte Seelen, behütet die Seele meiner verstorbenen Mutter‹, erwartest du dann, daß die geliebten Seelen augenblicklich herbeigeeilt kommen, nur weil du deinem Wunsch Ausdruck verliehen hast?«
Kahlan spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Oft betete sie zu den Seelen, sie möchten die Seele ihrer Mutter beschützen. Allmählich dämmerte ihr, warum diese Frau Zedd zur Verzweiflung trieb.
Richard kam Kahlan zur Hilfe. »Die Gebete sind nicht als unmittelbare Bitte gedacht. Wir wissen schließlich, daß die Seelen nicht auf so simple Weise funktionieren. Nein, sie sind der tiefempfundene Ausdruck der Liebe und der Hoffnung auf den Frieden ihrer Mutter in der nächsten Welt.« Er strich mit dem Finger über die entgegengesetzte Seite der Linie, die Ann ausgebessert hatte.
Anns Wangen rundeten sich zu einem Lächeln. »Genau so ist es, Richard. Die Schlammenschen werden ganz bestimmt nicht so dumm sein, die mächtigen Kräfte, an die sie glauben und die sie fürchten, mit Reiskuchen bestechen zu wollen, meinst du nicht auch?«
»Entscheidend ist die Opfergabe selbst«, erwiderte Richard. Seine unerschütterliche Haltung gegenüber dieser Frau bewies Kahlan, daß Richard gelernt hatte, wie man die Kohlen aus dem Feuer holte.
Zudem verstand Kahlan durchaus, was er meinte. »Das Unbekannte soll durch das Anflehen gefürchteter Mächte versöhnlich gestimmt werden.«
Ann hob den Finger und zog dazu die Brauen hoch. »Ganz recht. In Wirklichkeit ist die Opfergabe ihrem Wesen nach symbolisch, sie soll die Ehrerbietung verdeutlichen. Durch eine solche Verbeugung. vor besagter Macht hoffen sie, diese milde zu stimmen.« Anns erhobener Finger sank zurück.
»Manchmal genügt ein höfliches Nachgeben, um einem erzürnten Widersacher Einhalt zu gebieten, nicht?«
Sowohl Kahlan als auch Richard pflichteten ihr bei.
»Besser, man tötet den Feind und hat es hinter sich«, maulte Cara von hinten an der Tür.
Ann lachte stillvergnügt in sich hinein, lehnte sich zurück und sah zu Cara hinüber. »Nun, manchmal, Liebes, hat eine solche Alternative durchaus ihre Vorzüge.«
»Und wie würdest du ›böse Seelen‹ umbringen?« fragte Zedd mit einer dünnen Stimme, die durch das prasselnde Geräusch des Regens schnitt.
Cara wußte keine Antwort und machte daher ein wütendes Gesicht.
Richard achtete nicht auf ihre Unterhaltung. Er schien wie gelähmt von der Huldigung, als er das Wort ergriff. »Aus dem gleichen Grunde könnten böse Seelen … und ähnliches durch eine Geste der Respektlosigkeit verärgert werden.«
Kahlan wollte gerade den Mund öffnen, um Richard zu fragen, wieso er die bösen Seelen der Schlammenschen plötzlich so ernst nahm, als Zedd sie mit den Fingern seitlich am Bein berührte. Sein Seitenblick verriet ihr, daß sie still sein sollte.
»Manche denken so, Richard«, brachte Zedd leise vor.
»Warum habt ihr dieses Symbol, diese Huldigung, gezeichnet?« fragte Richard.
»Ann und ich benutzten es dazu, einige Dinge zu bewerten. Manchmal kann eine Huldigung von unschätzbarem Wert sein. Eine Huldigung ist eine einfache Sache, und doch unendlich komplex. Etwas über eine Huldigung in Erfahrung zu bringen kommt einer lebenslangen Reise gleich, doch wie bei einem Kind, das laufen lernt, beginnt diese mit dem ersten Schritt. Da du mit der Gabe geboren wurdest, dachten wir weiterhin, dies wäre ein guter Zeitpunkt, dich damit bekannt zu machen.«
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