»Du wärest herzlich willkommen, wenn du mit uns gehen wolltest, Horner Dees«, versicherte ihm an Morgans Statt Walker Boh. »Du bist weniger alt, als du behauptest, und doppelt so fähig. Der Hochländer und seine Freunde könnten deine Erfahrungen brauchen.«
»Ja, Horner«, stimmte Morgan eilig zu. »Wie ist das mit den Schattenwesen? Wir brauchen deine Hilfe, um gegen sie zu kämpfen. Komm doch mit.«
Aber der alte Fährtensucher schüttelte starrsinnig seinen Bärenkopf. »Ich werde dich vermissen, Hochländer. Ich verdanke dir mein Leben. Ich schaue dich an und sehe den Sohn, den ich unter anderen Umständen vielleicht hätte haben können. Na, ist das nicht ein Geständnis? Aber ich habe in meinem Leben genug Aufregung gehabt, und ich bin nicht scharf auf mehr. Ich sehne mich nach der Ruhe und der Dunkelheit der Bierhäuser. Ich brauche die Annehmlichkeiten meines eigenen Heims.« Er streckte wieder die Hand aus. »Aber wer sagt denn, daß sich das nicht wieder ändern kann? Also, ein andermal vielleicht.«
Morgan ergriff die Hand. »Jederzeit, Horner.« Dann ließ er die Hand los und umarmte den alten Mann. Horner Dees drückte ihn an sich.
Danach ging die Reise schnell, die Zeit verstrich fast magisch, die Tage und Nächte verflossen wie Quecksilber. Walker und Morgan gelangten aus den Charnalbergen in das Vorgebirge im Süden und folgten ihnen dann westwärts zum Rabb. Sie überquerten den Nordarm des Flusses und gelangten in das offene Grasland, das sich bis zu den fernen Gipfeln der Drachenzähne erstreckte. Die Tage waren lang und heiß, die Sonne brannte aus einem wolkenlosen Himmel, kaum hatten sie das unbeständige Wetter des Gebirges hinter sich gelassen. Die Sonne ging früh auf und ging spät unter. Selbst die Nächte waren warm und hell. Die beiden begegneten nur wenigen Reisenden und keiner einzigen Föderationspatrouille. Das Land war zunehmend von der Schattenwesenkrankheit befallen, dunkle Flecken, die die Verbreitung der Krankheit andeuteten, aber es gab keine Zeichen der Überträger.
Am Ende der Woche erreichten der Dunkle Onkel und der Hochländer den südlichen Zugang zum Jannissonpaß. Es war schon fast Mittag, und der Paß erstreckte sich vor ihnen durch die Verbindung der felsigen Drachenzähne mit dem Charnalgebirge, ein breiter, leerer Korridor, der nordwärts nach Streleheim führte. Hier hatte Padishar Creel gehofft, die Truppen der Südlandbewegung, des Zwergenwiderstandes und der Trolle von Axhind und seines Kelctischen Vogels Rock zu vereinigen, um die Armeen der Föderation zu bekämpfen und zu besiegen. Der Wind wehte sanft über die Ebene und über den Paß; sonst regte sich nichts.
Morgan schaute sich trübsinnig und resigniert um. Walker stand schweigend eine Weile neben ihm, dann legte er ihm die Hand auf die Schulter. »Wohin nun, Hochländer?« fragte er leise.
Morgan zuckte mit den Schultern und lächelte tapfer. »Nach Süden, denke ich, nach Varfleet. Ich werde versuchen, Kontakt mit Padishar aufzunehmen. Ich hoffe, daß er Par und Coll gefunden hat. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich selber nach den Talbewohnern suchen gehen.« Er hielt inne und musterte das harte, bleiche Gesicht des anderen. »Ich kann mir denken, wo du hingehen wirst.«
Walker nickte. »Paranor suchen.«
Morgan holte tief Luft. »Ich weiß, daß du genau das nicht tun wolltest, Walker.«
»Allerdings.«
»Ich kann mitgehen, wenn du willst.«
»Nein, Hochländer, du hast genug für andere getan. Es ist Zeit, daß du etwas für dich selbst tust.«
Morgan nickte. »Nun, ich habe keine Angst, falls du das denkst. Ich habe die Magie des Schwertes von Leah wieder. Ich könnte etwas nützen.«
Walkers Finger drückten Morgans Schulter kräftig und ließen dann los. »Ich glaube nicht, daß irgendwer mir helfen kann, wo ich hingehe. Ich glaube, ich werde mir selbst helfen müssen, so gut ich kann. Der Elfenstein wird vermutlich mein bester Schutz sein.« Er seufzte. »Seltsam, wie die Dinge sich entwickeln. Ohne Quickening würde keiner von uns tun, was er tut, oder sein, was er ist, nicht wahr? Sie hat uns beiden ein neues Ziel, ein neues Gesicht und vielleicht sogar neue Kraft gegeben. Vergiß nicht, was sie für dich aufgegeben hat, Morgan. Sie liebte dich. Und ich glaube, daß sie dich – in welcher Weise auch immer sie kann – immer lieben wird.«
»Ich weiß.«
»Horner Dees sagte, daß du ihm das Leben gerettet hast. Du hast auch meines gerettet. Hättest du nicht das Schwert benutzt, so zersplittert, wie es war, hätte Uhl Belk mich getötet. Ich glaube, Par und Col Ohmsford können sich keinen besseren Beschützer wünschen. Geh sie suchen. Sorg dafür, daß sie wohlauf sind. Hilf ihnen, wo immer du kannst.«
»Das werde ich.«
Sie schüttelten sich die Hände, hielten sie einen Moment fest und schauten sich in die Augen.
»Sei vorsichtig, Walker«, sagte Morgan.
Walker lächelte schwach und ein wenig ironisch. »Bis zum nächsten Mal, Morgan Leah.«
Dann drehte Walker sich um und machte sich auf den Weg über den Paß. Er gelangte aus der Sonne in den Schatten der Felsen und schaute nicht mehr zurück.
Für den Rest des Tages und auch noch den ganzen nächsten zog Walker Boh westwärts über die Streleheimebenen, entlang der dunklen, alten, von den Drachenzähnen umgebenen Wälder im Süden. Am dritten Tag schlug er den Weg in den schattigen Wald ein und ließ die Ebene und den Sonnenschein hinter sich. Die Bäume standen da wie riesige, hohe Wachposten, die darauf warteten, in den Kampf geschickt zu werden, ihre dicken Stämme kameradschaftlich dicht beieinander, und die Äste zu einem Baldachin verflochten. Es waren die Wälder, die vor vierhundert Jahren die Druidenfestung vor der übrigen Welt abgeschirmt hatten. Zu Shea Ohmsfords Zeiten waren Wölfe zur Bewachung eingesetzt worden. Und selbst später hatte es noch eine Dornenhecke gegeben, die niemand außer Allanon persönlich überwinden konnte. Die Wölfe waren nicht mehr da, auch die Dornenhecke war verschwunden und sogar die Festung selbst. Nur die Bäume waren geblieben, in tiefes, allgegenwärtiges Schweigen gehüllt.
Walker folgte den Pfaden, als wäre er ein Schatten, glitt lautlos zwischen den Stämmen über den Teppich toter Nadeln, verloren in der Trübsal seiner wachsenden Unentschlossenheit. Die Gedanken an das, was er auf dem Wege zu tun war, waren wirr und nervenzehrend, und die Ungewißheit, die er sorgfältig überwunden zu haben glaubte, suchte ihn erneut heim. Sein ganzes Leben lang hatte er sich bemüht, Brin Ohmsfords Vermächtnis zu entkommen; und jetzt beeilte er sich freiwillig, es zu umarmen. Die Entscheidung, es zu tun, hatte lange gebraucht, und er hatte sie oft in Frage gestellt. Sie war das Ereignis einer seltsamen Mischung aus Umständen, Gewissen und Überlegung. Er hatte so viel darüber nachgedacht, wie er imstande war, und er war überzeugt, daß er die richtige Wahl getroffen hatte. Und dennoch war die Aussicht auf die Konsequenzen beängstigend, und je näher der Moment rückte, da er sie erkennen würde, desto mehr nahmen die bösen Vorahnungen überhand.
Als er schließlich im Herzen des Waldes bei der Anhöhe, auf der Paranor einst gethront hatte, ankam, waren seine Gefühle in wildem Aufruhr. Lange Zeit stand er da und starrte zu den wenigen Steinblöcken hinauf, die von den Außenmauern übriggeblieben waren, auf die roten Streifen, die der Sonnenuntergang mit heißem, schwindendem Leuchten über die Hügelkuppe warf. Im Schein des verblassenden Lichts konnte er sich vorstellen, daß es möglich wäre, Paranor vor der hereinbrechenden Nacht in die Höhe ragen zu sehen, seine Zinnen scharf umrissen, mit Türmen, die wie Speere in das Blau des Himmels stachen. Er konnte die ungeheure Größe der Präsenz der Festung, die trotzende Masse ihrer Steine fühlen. Er konnte das Leben ihrer Magie anrühren, die auf ihre Wiedergeburt wartete.
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