War es vielleicht ein Versehen - eine durch die von den Chimären hinterlassene Verunreinigung ausgelöste Irreführung der Magie? Selbst wenn er das nötige Wissen besäße, was nicht der Fall war, so hatte diese Hexe Sechs ihn von seiner Gabe abgeschnitten, so dass er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie er die Kästchen versehentlich hätte ins Spiel bringen können. Ohne seine Gabe war es praktisch unvorstellbar, dass er das richtige Kästchen geöffnet hätte. Womöglich steckte Sechs hinter alldem, war es Teil eines Komplotts, das er noch nicht verstand.
Das Zeichnen von Bannen, hatte Zedd ihm erklärt, war extrem gefährlich. Eine einzige falsch aufgebrachte Linie, selbst von der richtigen Person unter den korrekten Umständen und im richtigen Medium, konnte eine Katastrophe auslösen. Damals waren ihm diese Zeichnungen wie geheimnisvolle, aus rätselhaften Elementen bestehende Motive vorgekommen, die alle einer komplizierten fremden Sprache anzugehören schienen.
Doch je mehr er über die magischen Zeichnungen und Symbole lernte, desto besser verstand er die Bedeutung hinter ihren einzelnen Elementen. Und so hatte er schließlich herausgefunden, dass Teile der von Darken Rahl zum Öffnen der Kästchen gezeichneten Banne gleichzeitig Teile des Tanzes mit dem Tod waren.
Das ergab durchaus Sinn. Zedd hatte ihm einst erklärt, die Macht der Ordnung sei die Macht des Lebens selbst. Demnach ging es beim Tanz mit dem Tod eigentlich um den Erhalt des Lebens, kreiste die Magie der Ordnung um das Leben und um seine Rettung vor dem Umsich greifen des Feuerkettenbanns.
Er tauchte seinen Finger abermals in die rote Farbe und brachte eine geschwungene Linie auf Johnrocks Stirn auf, die er anschließend mit dem Symbol für die Konzentration von Kraft abstützte. Er verwendete ihm bekannte Elemente, die er jedoch durch eine neue Verknüpfung variierte. Schließlich wollte er nicht, dass eine der Schwes83
tern die Zeichnungen sah und ihre unmittelbare Bedeutung erkannte. Trotz der Verwendung bekannter Elemente waren sie einzigartig. Die anderen Männer ringsum beugten sich ein wenig vor, gebannt nicht nur vom Akt des Malens, sondern auch von der Zeichnung an sich, der eine gewisse Poesie innewohnte. Obwohl sie die Bedeutung der Linien nicht verstanden, erlebten sie sie in ihrer Gesamtheit als Ausdruck eines zielgerichteten Zwecks, als bedeutsam und genau das, was sie waren:
bedrohlich.
»Weißt du, woran mich dieses Ding, diese Zeichnung, erinnert?«, fragte einer.
»Woran denn?«, murmelte Richard, während er das Symbol ausarbeitete, das für den mächtigen Hieb stand, mit dem man die Kraft eines Gegners brach.
»Irgendwie erinnert sie mich daran, wie man das Spiel spielt. Ich weiß nicht warum, aber die Linien sehen ein bisschen aus wie bestimmte Angriffszüge beim Ja’La.«
Überrascht, dass dieser Mann, auch er ein Gefangener, der Zeichnung einen so bedeutsamen Zug abzugewinnen vermochte, musterte Richard ihn fragend.
»Als ich noch Hufschmied war, musste ich die Pferde verstehen, wenn ich sie beschlagen wollte. Nun kann man sie ja nicht einfach fragen, was sie bedrückt, aber mit ein bisschen Aufmerksamkeit kann man lernen, gewisse Dinge zu deuten, wie sich das Pferd bewegt, zum Beispiel, und nach einer Weile beginnt man, ein gewisses Verständnis für ihre Körpersprache zu entwickeln. Auf diese Weise kann man verhindern, dass man getreten oder gebissen wird.«
»Das klingt sehr überzeugend«, sagte Richard. »Es ist dem, was ich hier tue, sehr ähnlich. Ich vermittle jedem von euch ein bildhaftes Gefühl von Kraft.«
»Und wie kommt es, dass du so viel über das Zeichnen von Kraftsymbolen weißt?«, fragte ein gewisser Bruce mit Argwohn in der Stimme. Er war einer der Soldaten der Imperialen Ordnung in der Mannschaft, die in ihren eigenen Zelten schliefen und sich daran stießen, dass sie die Befehle einer Angriffsspitze befolgen mussten, die ein unerleuchteter Heide war und nachts wie ein Tier angekettet werden musste. »Hier oben interessiert ihr euch ja eher für die überholten Glaubensüberzeugungen der Magie, statt euch mit den eigentlichen Dingen zu befassen, mit dem Schöpfer und eurer Verantwortung und Pflicht gegenüber euren Mitmenschen.«
Achselzuckend erwiderte Richard: »Ich wollte damit wohl nur zum Ausdruck bringen, dass dies meine Vision, meine Vorstellung von Kraftsymbolen ist. Ich möchte die Männer lediglich mit etwas bemalen, das sie meiner Meinung nach stärker aussehen lässt, das ist alles.«
Die Antwort schien Bruce nicht zufriedenzustellen. Er wies auf Johnrocks Gesicht. »Wie kommst du darauf, dieses Gekritzel könnten Sinnbilder der Stärke sein?«
»Na ja, ich weiß nicht«, sagte Richard, bemüht, sich irgendetwas einfallen zu lassen, um den Mann von seiner Fragerei abzubringen, ohne wirklich etwas Bedeutsames preiszugeben. »Aufgrund ihrer Form sehen sie in meinen Augen einfach kraftvoll aus.«
»Was für ein Unfug«, ereiferte sich Bruce. »Zeichnungen haben keine Bedeutung.«
Einige der Soldaten in der Mannschaft beobachteten Bruce und warteten auf Richards Erwiderung, so als spielten sie mit dem Gedanken, gegen ihre Angriffsspitze zu rebellieren.
Lächelnd erwiderte Richard: »Wenn du so überzeugt bist, Bruce, dass Zeichnungen keine Bedeutung haben, was hältst du dann davon, wenn ich dir eine Blume auf die Stirn male?«
Alle lachten - auch die Soldaten.
Bruce’ Blick streifte kurz seine lachenden Kameraden, und auf einmal wirkte er ein bisschen weniger selbstsicher. Er räusperte sich.
»Schätze, wenn du es so ausdrückst, verstehe ich ungefähr, was du meinst. Ich glaube, ich hätte auch gern eine von deinen Kraftzeichnungen.« Er schlug sich mit der Faust vor die Brust. »Schließlich sollen sich die anderen Mannschaften auch vor mir fürchten.«
Richard nickte. »Das werden sie auch, vorausgesetzt, ihr tut, was ich sage. Denkt daran, vermutlich werden die Spieler der anderen Mannschaften vor dem ersten Spiel die rote Farbe auf euren Gesichtern bemerken und sie für albern halten. Darauf müsst ihr gefasst sein. Lasst zu, dass ihr Gelächter euch wütend macht, eure Herzen mit dem Verlangen füllt, nach Kräften dafür zu sorgen, dass es ihnen im Hals stecken bleibt.
In dem Moment, da wir das Spielfeld betreten, werden die anderen Mannschaften und viele der Zuschauer wahrscheinlich nicht in Gelächter ausbrechen, sondern uns mit übelsten Beschimpfungen überhäufen. Sollen sie, genau das ist unsere Absicht. Sollen sie uns ruhig unterschätzen. Wenn das geschieht, möchte ich, dass ihr euch den Zorn darüber aufspart und eure Herzen davon ganz erfüllen lasst.«
Richard blickte jedem von ihnen in die Augen. »Vergesst nie, dass wir hier sind, um das Turnier zu gewinnen und uns dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten, eine Chance, derer allein wir würdig sind. Diese Männer, die euch auslachen, sind nichts als wertloser Abschaum. Wir müssen sie vom Platz fegen, denn sie sind ein Hindernis auf unserem Weg, gegen die Mannschaft des Kaisers zu spielen.
Ihr Gelächter soll euch in den Ohren klingen. Lasst euch davon durchdringen, aber zu keiner Reaktion hinreißen. Lasst euch nicht die geringste Reaktion anmerken, sondern schließt sie in eurem Innern ein, bis der richtige Moment gekommen ist.
Sollen sie uns ruhig für Narren halten, sich von ihrem Glauben dazu verleiten lassen, dass wir leichte Opfer seien, und darüber vergessen, sich auf das eigentliche Spiel zu konzentrieren.
In dem Moment aber, da das Spiel beginnt, entfesselt ihr euren ganzen aufgestauten Zorn gegen sie. Wir müssen sie mit aller Wucht treffen, zu der wir fähig sind, und sie vernichtend schlagen. Diese Partie muss für uns die gleiche Bedeutung haben, als träten wir gegen die Mannschaft des Kaisers an.
Ein lausiger Sieg mit zwei Punkten Vorsprung, wie normalerweise üblich, ist in dieser ersten Partie einfach nicht genug. Damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Wir müssen sie vernichtend schlagen, sie in Grund und Boden rammen.
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