Während sie auf ihrem verschlungenen Pfad durch das chaotische Durcheinander aus Zelten, Wagen und Bergen von Ausrüstungsgegenständen und Vorräten durch Morast und Abfall stapften, bog Kahlan Julians Gesicht nach oben und sah, dass wenigstens ihre grobe Risswunde zu bluten aufgehört hatte, die ihr Jagang mit einem seiner auf seinen Raubzügen erbeuteten Ringe zugefügt hatte. Wenn das nur ihre größte Sorge wäre. Als Reaktion auf ihr tapferes Lächeln strich Kahlan ihr beruhigend mit der Hand über den Kopf.
Einen Moment lang hatte sich Jagang einigermaßen erfreut gezeigt, die Kleine wiederzuhaben, die es gewagt hatte, ihm zu entwischen -gab es ihm doch ein weiteres Mittel in die Hand, Kahlan zu quälen und zu unterdrücken; weit mehr aber interessierte ihn die Entdeckung unten in der Grube. Kahlan wurde das Gefühl nicht los, dass er über das, was dort verschüttet lag, mehr wusste, als er sich nach außen hin anmerken ließ. Nicht zuletzt, weil er weit weniger überrascht gewesen war, als man hätte erwarten können, und den Fund wie selbstverständlich hingenommen hatte.
Er ließ den Bereich absperren und von regulären Truppen säubern, dann erteilte er den Offizieren strikte Anweisung, ihn augenblicklich aufzusuchen, sobald das Mauerwerk durchbrochen und man ins Innere dieses so tief unter der Azrith-Ebene eingegrabenen Gebildes vorgedrungen wäre. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass jedem unmissverständlich klar war, wie er den Fund behandelt wissen wollte, und alle vor Ort mit größtmöglichem Einsatz auf dieses Ziel hinzuarbeiten hatten, hatte sich sein Interesse rasch wieder auf das Turnier gerichtet, dessen Eröffnungspartien er wenigstens teilweise verfolgen wollte. Er konnte es kaum erwarten, einige der mit seiner Mannschaft konkurrierenden Teams in Augenschein zu nehmen. Es war nicht das erste Mal, dass er Kahlan zwang, ihn zum Ja’La zu begleiten, und auch diesmal war sie alles andere als begeistert, nicht zuletzt, weil die Aufregung und Brutalität der Spiele ihn in eine überschäumende, von fleischlichen Gelüsten geprägte Stimmung versetzte. War er schon unter normalen Umständen beängstigend genug und zu spontanen und brutalen Gewaltausbrüchen fähig, so wurde sein Verhalten nach einem Tag beim Ja’La, wenn er sich in aufgewühlter und erregter Stimmung befand, noch exzentrischer und despotischer. Gleich nach ihrem ersten gemeinsamen Besuch der Spiele war Kahlan zum Opfer seiner perversen Lust geworden. Sie hatte gegen ihre Panik angekämpft und schließlich akzeptiert, dass er nach Belieben mit ihr umspringen würde und sie ihn nicht würde daran hindern können. Zu guter Letzt hatte das Grauen, unter ihm zu liegen, sie abgestumpft. Sie hatte sich in das Unvermeidliche gefügt, ihre Augen von seinem lüsternen Blick abgewandt und sich in ihren befreiten Gedanken an einen anderen Ort begeben und sich vorgenommen, sich ihren glühenden Zorn für den passenden Moment aufzusparen, einen Moment, da er einen Zweck erfüllte.
Doch dann hatte er plötzlich innegehalten.
» Ich will, dass du weißt, wer du bist, wenn ich dies tue«, hatte er ihr erklärt. » Ich will, dass du weißt, welche Bedeutung ich für dich habe, wenn ich dies tue. Ich will, dass du dies mehr hasst, als irgendetwas sonst in deinem bisherigen Leben .
» Du musst dich erinnern, wer du bist, musst alles wissen, wenn dies eine richtige Vergewaltigung sein soll... und es ist meine Absicht, dies zum schlimmstmöglichen Übergriff zu machen, den du dir vorstellen kannst, eine Vergewaltigung, die dich schwängern wird mit einem Kind, das eine stete Erinnerung für ihn sein wird, ein Ungeheuer. «
Kahlan hatte nicht gewusst, wer mit diesem »ihn« gemeint war.
» Denn damit es all das sein kann«, hatte er hinzugefügt, » musst du dir voll und ganz bewusst sein, wer du bist, was dies für dich bedeutet, was dies alles berührt und was es für alle Zeiten mit einem Makel behaften wird. «
Die Vorstellung, wie viel furchtbarer ein solcher Übergriff für sie in diesem Moment wäre, war ihm wichtiger als die Befriedigung seiner unmittelbaren Gelüste. Das allein sprach Bände über seine Rachgier und welchen Anteil sie an ihrem Entstehen hatte.
Seine Geduld war eine Eigenschaft, die ihn nur noch gefährlicher machte. Er hatte nicht die geringste Mühe, impulsiv zu reagieren, doch war es ein Fehler zu glauben, er ließe sich zu leichtfertigem Handeln verleiten. Aus dem Bedürfnis, ihr zu einem Verständnis seiner höheren Ziele zu verhelfen, hatte er ihr erklärt, dies entspreche weitgehend seiner Art, Menschen zu bestrafen, die seinen Zorn erregten. Tötete er solche Menschen, so seine Erklärung, waren sie tot und nicht länger leidensfähig, ließe er sie jedoch fürchterliche Schmerzen erleiden, sehnten sie ihren Tod herbei - den er ihnen daraufhin verweigern könne. Nur als Zeuge ihrer endlosen Qualen könne er sich ihrer Reue für ihre Verbrechen gewiss sein, ihres unerträglichen Kummers über alles, was für sie verloren war.
Das, so hatte er ihr erklärt, war es, was er für sie bereithalte: die Qualen der Reue und des unwiderruflichen Verlusts. Ihr Gedächtnisverlust hätte sie gegen diese Dinge unempfindlich gemacht, weshalb er den richtigen Moment abwarten würde. Nachdem sein unmittelbares Verlangen zugunsten ehrgeizigerer Ziele gezügelt war, hatte er sein Bett zu guter Letzt mit einer Reihe anderer weiblicher Gefangener bevölkert. Kahlan hoffte nur, dass Julian zu jung für seinen Geschmack war. Was ganz sicher nicht der Fall sein würde, wenn sie ihm nur den geringsten Anlass bot...
n90
Auf ihrem Weg durch die Soldatenmassen, die eine bereits begonnene Partie bejubelten, stießen die kaiserlichen Gardisten jeden aus dem Weg, der dem Kaiser ihrer Meinung nach zu nahe kam. Als sie am Rand des Ja’La-Spielfeldes ankamen, stellte Kahlan sich auf die Zehenspitzen und versuchte, die Gesichter der bereits mitten im Kampfgetümmel befindlichen Männer zu erkennen. Doch dann merkte sie, dass sie sich reckte, um das Spiel zu verfolgen, und ließ sich sofort wieder hinunter. Das Letzte, was sie wollte, war, sich von Jagang die Frage anhören zu müssen, wieso sie plötzlich ein solches Interesse an Ja’La zeigte. Dabei galt ihr Interesse nicht dem Spiel selbst, sondern vielmehr der Frage, ob sie den Mann mit den grauen Augen erspähen konnte, der sich absichtlich hatte in den Morast fallen lassen, um sein Gesicht vor Jagang - oder auch Schwester Ulicia - zu verbergen.
Ob es nun regnete oder nicht, ein Mann, der unablässig mit einem schlammverschmierten Gesicht herumlief, würde vermutlich nur Jagangs Verdacht erregen, und was dann geschehen würde, erfüllte sie zutiefst mit Sorge.
Als es der Angriffsspitze einer der Mannschaften gelang, bis in die gegnerische Hälfte vorzudringen, brachen die zuschauenden Soldaten in Jubel und anfeuernde Rufe aus. Sofort stürzten Blocker herbei, um zu verhindern, dass er weiteren Boden gutmachte. Unter dem tosenden Gebrüll des Publikums rissen sich die Spieler gegenseitig von den Beinen, während ihre Mitspieler ausschwärmten, um ihre Zone zu verteidigen. Ja’La war ein Laufspiel, bei dem man ständig abtauchte, den Gegner zu passieren oder zu blocken versuchte, oder den Mann mit dem Broc jagte – einem schweren, lederüberzogenen Ball, ein wenig kleiner als ein Menschenkopf - und dabei versuchte, diesen in seinen Besitz zu bringen, selbst anzugreifen und letztendlich zu punkten. Nicht selten kamen die Spieler zu Fall oder wurden von den Füßen gerissen. Wälzten sie sich dann mit nacktem Oberkörper am Boden, waren sie schon bald nicht nur mit einer Schweißschicht, sondern auch mit Blut bedeckt. Das quadratische Ja’La-Feld war in ein Raster unterteilt, und in jeder Ecke gab es ein Tor, zwei für jede Mannschaft. Der Einzige, der punkten durfte, war die Angriffsspitze, und zwar nur während des zeitlich genau festgelegten Ballbesitzes seiner Mannschaft, und selbst dann nur von einem speziellen Rasterfeld in der gegnerischen Spielfeldhälfte aus. Aus dieser Wurfzone, einem sich über die gesamte Spielfeldbreite erstreckenden Bereich, konnte er den Broc in eines der gegnerischen Netze schleudern.
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