Noch immer zitternd nach ihrer Flucht, die auf des Messers Schneide gestanden hatte, traten die Kameraden in die schattigen Tiefen des Waldes ein; zu erschöpft um zu reden, zu ängstlich, um stehenzubleiben, folgten sie dem gut begehbaren Weg, der sich vor ihnen geöffnet hatte. Am Rande des Tales selbst, wo sich ein Wildbach aus dem Moorland zwischen den Bäumen hindurchschlängelte und in einer schimmernden Kaskade die schwarzen Wände des Kraters hinunterstürzte, machte D’arvan eine Lichtung für die Flüchtlinge bereit, so daß sie an dieser Stelle zusammentreffen und ein wenig ausruhen konnten, bevor sie sich an den letzten Abstieg ins Tal wagten. Dann trat er ein Stück von der Lichtung zurück, unsichtbar für die Xandim, die sich dort zusammenscharten, und wartete ungeduldig auf die Ankunft der Magusch.
Als Aurian und Anvar auf dem Rücken zweier Pferdeleute, die sich vor Müdigkeit kaum noch aufrecht halten konnten, auf die Lichtung gelangten, ließen sie sich von ihren Reittieren hinuntergleiten, um Schiannath und Esselnath die Möglichkeit zu geben, wieder Menschengestalt anzunehmen.
»Der Göttin sei Dank!« Schiannath strich sich eine Locke dunklen Haares aus der verschwitzten Stirn. »Ich muß zugeben, daß ich da draußen das ein oder andere Mal wirklich Angst bekommen habe.«
»Rudelfürst, du warst ein wahrer Held.« Aurian umarmte ihn. »Wärt ihr beide, du und Esselnath, nicht so mutig gewesen, allem standzuhalten, womit Eliseth euch traktiert hat, hätten Anvar und ich niemals unsere Schilde aufrechterhalten können. Wir wären alle gestorben. Wir verdanken euch unser Leben.«
»Wie wir euch das unsere verdanken, Herrin, denn ohne eure Schilde hätten wir erst gar keine Chance gehabt«, erwiderte Schiannath ernst. »Da wir nur dich und Anvar kennen, abgesehen von dem Windauge, war mir niemals klar, wie mächtig magische Kräfte sein können, wenn sie sich dem Bösen zuwenden. Ich bin bereitwillig mit euch gezogen, um euch zu helfen, aber heute habe ich zum ersten Mal wirklich begriffen, wie lebenswichtig unsere Mission ist, um das Schicksal der Welt zu retten.«
Als die Pferdeleute zu dem Strom hinübergingen, um zu trinken, umarmten Aurian und Anvar einander in wortloser Erleichterung, aber sie wußten, daß ihre Atempause nur kurz sein würde. »Was glaubst du, wieviel Zeit wir haben?« fragte Anvar seine Seelengefährtin.
Aurian zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Der Wald schien ziemlich fest entschlossen zu sein, Eliseths Truppen draußenzuhalten, aber wir haben es hier mit einer bösartigen Magusch zu tun – und jetzt hat sie auch noch den Kessel. Wie ich sie kenne, glaube ich nicht, daß der Wald sie lange aufhalten kann.«
»Da ist eine Sache, die mich verwirrt«, murmelte Anvar stirnrunzelnd. »Wenn Eliseth den Kessel hat, was ist dann aus Miathan geworden? Er hätte ihr niemals freiwillig eine solche Macht überlassen. Was hat sie also mit ihm angestellt? Und wie hat sie das geschafft? Er muß noch leben, denn sonst hätten wir seinen Tod gespürt.« Er schnitt eine Grimasse. »Was für eine Ironie es doch wäre, wenn wir uns am Ende gezwungen sähen, den Erzmagusch vor Eliseth zu retten.«
»Wenn wir das tun«, erwiderte Aurian grimmig, »dann sollte Miathan besser darum beten, daß er jemanden findet, der ihn anschließend vor uns rettet.«
Hastig begann Aurian nun, die Verwundeten zu heilen, die von den ersten Pfeilen der Feinde getroffen worden waren, und dachte währenddessen traurig an die drei, die nicht mehr bei ihnen waren. Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich schwermütigen Gedanken hinzugeben.
Sobald die Magusch alle versorgt hatte, rief sie Anvar und ihre übrigen Gefährten zusammen. »Die Zeit drängt, und wir können nicht länger hierbleiben«, erklärte Aurian ihnen; sie mußte ihre Stimme über einen allgemeinen Chor von Fluchen und Stöhnen erheben. »Vannor, Parric und Sangra – ihr nehmt die Hälfte unserer Streitmacht und geht zum Rebellenlager. Bringt die Leute so schnell wie möglich zum See – wir treffen uns dort. Wenn Eliseth es schafft, in den Wald einzudringen, wollen wir sie auf keinen Fall in der Nähe des Schwertes haben – vor allem dann nicht, wenn ich versuche, es für mich zu beanspruchen. Anvar und ich werden zusammen mit Chiamh, Yazour und den Katzen sowie den übrigen Pferdeleuten ohne Umweg zur Insel gehen. Cygnus, ich möchte, daß du über dem Wald kreist, um uns über die Bewegungen des Feindes auf dem laufenden zu halten – und damit die beiden Gruppen miteinander Verbindung aufnehmen können, falls irgend jemand in Schwierigkeiten gerät. Jetzt teilt eure Leute schnellstens ein, damit wir die Sache hinter uns bringen.«
Parric, der aus jedem ihrer Worte ein Echo Forrals heraushörte, fing Vannors Blick auf und teilte ein Lächeln mit dem Kaufmann, bevor sie die Leute aussuchten, die sie mitnehmen wollten.
D’arvan, der aus dem Schatten der Bäume zusah, spürte, wie sein Herz einen Augenblick aussetzte, als Aurian von dem Schwert der Flammen sprach. Bei den Göttern, dann mußte sie der Eine sein! Aber um das Artefakt für sich beanspruchen zu können, mußte sie gegen Maya kämpfen, die nach Hellorins Willen in Gestalt des unsichtbaren Einhorns die Insel und ihre Brücken gegen jeden verteidigen mußte, der sich ihnen näherte. Und er hatte keine Möglichkeit, Aurian die Identität ihres Gegners zu enthüllen.
Der Magusch des Waldes spürte, wie er zu zittern begann. Das war eine schreckliche Nachricht – das diese beiden engen Freundinnen um des Schwertes willen einer solchen Gefahr ausgesetzt wurden. Zum ersten Mal begriff er die zweischneidige Natur dieses schrecklichen Artefaktes, und plötzlich hatte er auch die schlimme Vorahnung, daß das Schwert noch weitere Geheimnisse in sich barg. Nicht zum ersten Mal fragte sich D’arvan, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn das Schwert niemals gefunden worden wäre.
Zumindest konnte er bei Aurian und Maya sein – und vielleicht würde er auch, wenn der Kampf begann, eine Möglichkeit finden, einzuschreiten.
Er folgte Aurian und ihren Kameraden, die vorsichtig die steilen, felsigen Wände des Kraters hinunterkletterten. Plötzlich hörte er das finstere Grollen von Donner und bemerkte die zunehmende Erregung der Bäume in seiner Nähe. Als er dann ihren Schmerz und ihren Zorn spüren konnte, erstarrte D’arvan vor Entsetzen. Eliseth hatte eine Möglichkeit gefunden, in den Wald einzubrechen! An der östlichen Grenze des Waldes wurde seine Hilfe dringend gebraucht, sonst war alles verloren. Einen Augenblick lang zögerte D’arvan, auf schreckliche Weise hin und her gerissen zwischen zwei Entscheidungen: Sollte er Maya und Aurian helfen oder zur Verteidigung des Waldes eilen? Aber dann begriff er, daß er überhaupt keine Wahl hatte. Es war sehr zweifelhaft, daß ihm gestattet würde, sich in den Kampf um das Schwert einzumischen – die Dinge würden sich entwickeln, wie sie sich entwickeln mußten. Er durfte jedoch nicht zulassen, daß sich Eliseth einmischte. Mit einem geflüsterten Fluch wandte sich D’arvan von dem Drama ab, das sich in Kürze in dem Krater abspielen würde, und lief zurück durch den Wald, um die Ostgrenze zu verteidigen.
Eliseth, schäumte vor Wut. Nachdem Aurian und dieser verfluchte Wald sie überlistet hatten, hatte sie ihren Zorn zunächst an ihrer Armee ausgelassen und die Männer verflucht und beschimpft. Gleichzeitig trieb sie sie zu immer größeren Anstrengungen an, was ihren fruchtlosen Versuch betraf, sich mit Gewalt einen Weg durch das dornige Gewirr des Unterholzes zu bahnen. Nach einer Weile, als sie begriff, daß all ihr Toben und Schreien zu nichts anderem führte, als ihre Anhänger gegen sich aufzubringen, hatte sie sich ein wenig beruhigt und begonnen, über die Situation nachzudenken.
Diese Bäume wurden eindeutig von irgendeiner magischen Kraft aus dem Innern des Tals beschützt, denn weder Äxte noch Schwerter konnten ihnen etwas anhaben, und sie hatte bereits zu viele ihrer Männer verloren: Einige waren von besonders starken Ästen erwürgt oder von dornigen Stacheln blind gestochen worden; nicht wenige waren von herunterkrachenden Zweigen bewußtlos geschlagen worden, und einer, der unklugerweise versucht hatte, an der trockenen Rinde einer sterbenden, alten Buche ein Feuer zu entzünden, war zerquetscht worden, als sich der ganze Baum scheinbar selbst entwurzelt hatte und auf ihn heruntergestürzt war. Eliseth glaubte, die Identität des Beschützers des Waldes zu kennen: Es mußte sich um Eilin handeln, Aurians Mutter. Diese verfluchte, rebellische Erdmagusch, die ihr und den übrigen Magusch vor so langer Zeit den Rücken gekehrt hatte, würde natürlich alles tun, um ihre Tochter zu beschützen.
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