Plötzlich lachte Crysania. Wenn überhaupt jemand wie eine Hexe aussah, dann sie! Sie hatte sich nicht darum geschert, ihre zerrissenen Roben zu wechseln. Als Caramon sie im Wald gefunden hatte, hatte er die Roben mit Schnallen seines Umhangs befestigt. Die Roben waren seit langem nicht mehr schneeweiß; zerrissen und verschmutzt, flatterten sie an ihr wie Federn.
Sie ritt aus dem Wald. Vor ihr erstreckte sich Grasland, und das Pferd fing zu galoppieren an. Crysania gab sich dem Vergnügen des schnellen Rittes hin. Die warme Nachmittagssonne war ein angenehmer Gegensatz zu dem scharfen Wind in ihrem Gesicht. Zu ihrer Rechten glitzerten die schneebedeckten Gipfel des Garnetgebirges im hellen Sonnenschein. Schließlich verlangsamte sie ihr Tempo und lenkte das Pferd in Richtung der fernen Wälder.
Caramon war erst eine Stunde nach Crysanias Verschwinden in der Lage, ihre Verfolgung aufzunehmen. Wie Crysania vorausgesehen hatte, mußte er den Boten die Dringlichkeit seines Aufbruchs erklären und sicherstellen, daß sie nicht beleidigt waren. Das nahm einige Zeit in Anspruch, und schließlich sagte er klipp und klar, was sie sowieso im Lager hören würden – daß sie seine Frau sei und weggelaufen sei.
Der Barbar aus den Ebenen nickte verstehend. Die Frauen seines Stammes, die wegen ihrer Wildheit bekannt waren, setzten sich auch zuweilen solche Dinge in den Kopf. Sein Vorschlag war, daß Caramon ihr die Haare abschneiden solle – das Zeichen einer ungehorsamen Frau —, wenn er sie wieder einfing. Der Zwerg war etwas erstaunt, denn eine Zwergin würde, sobald sie von ihrem Haus und Ehemann weglaufen wollte, daran denken, ihren Bart zu rasieren. Aber ihm kam zu Bewußtsein, daß er sich ja unter Menschen befand, und was konnte man da schon erwarten?
Beide wünschten Caramon einen schnellen Erfolg und machten es sich bequem, um sich am Biervorrat des Lagers zu laben. Einen Seufzer der Erleichterung ausstoßend, eilte Caramon zu Garik, der ein Pferd gesattelt hatte und für ihn bereithielt.
»Wir haben ihre Spur aufgenommen, General«, berichtete der junge Mann. »Sie ritt nach Norden und folgte einer Tierfährte in den Wald. Sie ist auf einem schnellen Pferd unterwegs.« Er schüttelte bewundernd den Kopf. »Sie hat eines der besten gestohlen. Meiner Meinung nach spricht das für sie. Aber ich glaube nicht, daß sie weit kommt.«
Caramon stieg auf das Pferd. »Ich danke dir, Garik«, begann er, hielt aber inne, als ein anderes Pferd vorgeführt wurde. »Was ist das?« knurrte er. »Ich sagte doch, ich reite allein...«
»Ich komme mit, mein Bruder«, ertönte eine Stimme aus dem Schatten.
Caramon sah sich um. Der Erzmagier trat im schwarzen Reiseumhang und in Stiefeln aus seinem Zelt. Caramons Blick verdüsterte sich, aber Garik half Raistlin bereits beim Besteigen des unruhigen schwarzen Pferdes, das der Erzmagier bevorzugte. Caramon wagte nicht, vor den Männern etwas zu sagen, und sein Bruder wußte das. Er sah das amüsierte Glitzern in Raistlins Augen.
»Dann reiten wir also los«, brummte Caramon. »Garik, während meiner Abwesenheit führst du das Kommando. Ich werde wohl nicht lange fortbleiben. Überzeuge dich davon, daß unsere Gäste gut versorgt werden. Die Bauern sollen auf dem Feld weitertrainieren. Wenn ich zurückkomme, will ich sehen, wie sie diese Strohpuppen aufspießen und nicht einander!«
»Ja, Herr«, sagte Garik und verabschiedete sich von Caramon mit dem Rittergruß.
Die Erinnerung an Sturm Feuerklinge kam Caramon und mit ihr die Zeit seiner Jugend, die Zeit, als er und sein Bruder mit ihren Freunden gereist waren – Tanis, Flint, dem Zwergenschmied, Sturm... Er schüttelte den Kopf und versuchte, diese Erinnerungen zu verbannen. Aber sie kehrten eindringlicher zurück, als er den Pfad zum Wald erreichte und seinen Bruder neben sich reiten sah.
Der Magier hielt wie gewöhnlich sein Pferd mit einem nur geringen Abstand hinter dem Krieger. Er war zwar kein begeisterter, aber dennoch ein guter Reiter, so wie er alle Dinge gut machte, wenn er wollte. Er sprach nicht mit seinem Bruder und sah ihn auch nicht an, hielt seine Kapuze über den Kopf gezogen und war in Gedanken verloren. Auch das war nicht ungewöhnlich – die Zwillinge waren zuweilen tagelang gereist, ohne viel zu reden.
Trotzdem bestand ein Band zwischen ihnen, ein Band des Blutes und der Seele. Caramon ertappte sich, daß er in die alte Kameradschaft zurückglitt. Sein Zorn ließ nach. Er wandte sich halb um. »Es tut mir leid wegen vorhin, Raist«, sagte er, während sie tiefer in den Wald ritten und Crysanias deutlicher Spur folgten. »Es stimmt, was du mir gesagt hast – sie hat mir erzählt, daß sie...« Er verhaspelte sich. »Verdammt, Raist! Warum warst du so grob zu ihr?«
Raistlin hob den Kopf. »Ich mußte grob sein«, sagte er mit seiner sanften Stimme. »Ich mußte ihr den Abgrund zeigen, der vor ihren Füßen klafft, ein Abgrund, der uns alle verschlingen wird, wenn wir hinabstürzen!«
Caramon starrte seinen Bruder zweifelnd an. »Du bist kein Mensch!«
Zu seinem Erstaunen seufzte Raistlin. Die strengen, glitzernden Augen wurden sanft. »Ich bin menschlicher, als du dir vorstellen kannst, mein Bruder«, sagte Raistlin in sehnsüchtigem Ton, der in Caramons Herz traf.
»Dann lieb sie doch, Mann!« sagte Caramon, der neben seinem Bruder ritt. »Vergiß diesen Quatsch von Abgründen! Du bist wohl ein mächtiger Zauberer und sie eine heilige Klerikerin, aber unter euren Roben seid ihr Fleisch und Blut! Nimm sie in deine Arme und...« Er hielt sein Pferd an. Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung.
Auch Raistlin hielt sein Pferd an. Er beugte sich vor, legte die Hand auf den Arm seines Bruders, und seine glühenden Finger brannten sich in Caramons Haut. Sein Gesichtsausdruck war hart, seine Augen kalt wie Glas. »Hör mir zu, Caramon, und versuche mich zu verstehen«, sagte er in einem ausdruckslosen Ton, der seinen Bruder schaudern ließ. »Ich bin der Liebe unfähig. Ist dir das immer noch nicht klar geworden? O ja, du hast recht – unter diesen Roben bin ich Fleisch und Blut. Wie jeder andere Mann bin ich der Wollust fähig. Das ist alles... Wollust.« Er zuckte die Achseln. »Es würde mir wohl wenig ausmachen, wenn ich mich ihr hingeben würde, vielleicht würde es mich vorübergehend schwächen, weiter nichts. Meine Magie wird es nicht beeinträchtigen. Aber« – sein Blick fuhr durch Caramon wie ein Stück Eis – »es würde Crysania zerstören, wenn sie es herausfindet. Und sie würde es herausfinden!«
»Du gemeiner Bastard«, sagte Caramon mit zusammengebissenen Zähnen.
Raistlin hob eine Augenbraue an. »Bin ich das?« fragte er. »Wenn ich es wäre, würde ich mir dann nicht mein Vergnügen nehmen, wo es sich anbietet? Ich bin fähig, mich zu verstehen und zu beherrschen, anders als andere.«
Caramon blinzelte. Er spornte sein Pferd an. Irgendwie war es seinem Bruder wieder gelungen, den Spieß umzudrehen. Plötzlich fühlte sich Caramon von Schuldgefühlen verzehrt, ein Opfer der tierischen Instinkte, die er nicht kontrollieren konnte, während sein Bruder, indem er zugab, daß er der Liebe nicht fähig sei, edel erschien. Caramon schüttelte den Kopf.
Sie folgten Crysanias Spur tiefer in den Wald. Das fiel ihnen auch nicht schwer, da sie auf dem Pfad geblieben war und niemals die Richtung geändert hatte, sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, ihre Spuren zu verwischen.
»Frauen!« brummte Caramon nach einiger Zeit. »Wenn sie nur einen Schmollanfall hat, warum macht sie es dann so kompliziert und geht nicht zu Fuß? Warum muß sie sich ein verdammtes Pferd nehmen und durch das Land reiten?«
»Du verstehst sie nicht, mein Bruder«, sagte Raistlin. »Das ist nicht ihre Absicht. Sie verfolgt einen Zweck mit diesem Ritt, glaub mir.«
»Pah!« schnaufte Caramon. »Ich bin verheiratet! Ich kenne mich da aus! Sie ist eingeschnappt weggeritten und wußte, daß wir ihr nachlaufen! Wir werden sie hier irgendwo finden, ihr Pferd völlig erschöpft, wahrscheinlich lahm. Sie wird frieren und hochnäsig sein. Wir werden uns entschuldigen, und dann bekommt sie ihr verdammtes Zelt, wenn sie das will und... Sieh mal! Was habe ich dir gesagt?« Er brachte sein Pferd zum Halten und zeigte über das flache Grasland. »Das ist eine Spur, der sogar ein blinder Gossenzwerg folgen könnte! Los!«
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