»Du hast mich nicht überredet«, unterbrach ihn Crysania. »Ich habe mich entschieden zu gehen! Es war mein Entschluß.«
»Natürlich«, sagte Raistlin und ließ sie los. Ihm war nicht bewußt gewesen, daß er ihre weiche Haut liebkost hatte. Jetzt fühlte er unwillkürlich sein Blut wallen. Er ertappte sich, wie sein Blick zu ihren gewölbten Lippen, ihrem weißen Hals ging. Vorsicht, dachte er, es wird meine Pläne durcheinanderbringen... Er wollte sich erheben, aber Crysania bekam seine Hand mit ihren beiden Händen zu fassen und legte ihre Wange in seine Handfläche.
»Nein«, sagte sie leise. Ihre grauen Augen sahen zu ihm auf und hielten ihn mit ihrem entschlossenen Blick fest. »Wir werden die Zeit verändern, du und ich! Du bist mächtiger als Fistandantilus, und ich bin stärker im Glauben als Denubis! Ich hörte die Forderungen des Königspriesters an die Götter. Ich kenne seinen Fehler! Paladin wird meine Gebete beantworten, so wie er es in der Vergangenheit getan hat. Gemeinsam werden wir, du und ich...«
Plötzlich lag sie in seinen Armen. Sein Mund suchte ihre Lippen, seine Lippen berührten ihre Augen, ihren Hals. Seine Finger fuhren durch ihr Haar. Sein Duft strömte in seine Nase, und der süße Schmerz des Verlangens floß durch seinen Körper.
Sie gab seinem Feuer nach, so wie sie seiner Magie nachgegeben hatte, und küßte ihn. Raistlin sank auf den weichen Laubteppich. Als er dalag, zog er Crysania zu sich herunter. Ihre Haut war kühl, ihre Lippen wie süßes Wasser für einen Mann, der am Verdursten war. Er schloß die Augen, und dann erschien ein Gesicht in seinem Geist: eine Göttin – dunkelhaarig, dunkeläugig, frohlockend, lachend...
»Nein!« schrie Raistlin. »Nein!« kreischte er halberstickt, während er Crysania von sich schleuderte. Zitternd taumelte er auf die Füße. Er zog seine schwarze Kapuze über den Kopf und versuchte, seine Fassung, seine Beherrschung wiederzuerlangen.
»Raistlin!« rief Crysania und klammerte sich an ihn.
Ihre Berührung verschlimmerte den Schmerz. Er ergriff den zarten weißen Stoff ihrer Roben. Mit einem Ruck riß er ihn von ihren Schultern, während er mit der anderen Hand ihren halbnackten Körper in das Laub stieß. »Ist es das, was du willst?« fragte er. »Wenn ja, dann warte hier auf meinen Bruder. Er wird bald kommen!« Er hielt inne, rang um Atem.
Crysania starrte ihn wortlos an.
»Ist es das, warum wir hierhergekommen sind?« fuhr Raistlin gnadenlos fort. »Ich dachte, dein Ziel wäre höher, Verehrte Tochter! Du prahlst mit Paladin, du prahlst mit deinen Kräften. Glaubst du, das könnte die Antwort auf deine Gebete sein? Daß ich deinem Reiz erliege?«
Dieses Geschoß traf! Er sah sie zusammenzucken. Sie schloß die Augen und schluchzte vor Qual. Ihr schwarzes Haar fiel über ihre bloßen Schultern, die Haut ihres Rückens war weiß und weich und glatt...
Raistlin drehte sich um und verschwand. Er ging schnell und spürte seine Ruhe wiederkehren. Der Schmerz der Leidenschaft ließ nach, er konnte wieder klar denken.
Seine Augen erhaschten eine Bewegung, das Aufblitzen einer Rüstung. Sein Lächeln verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Wie er vorausgesagt hatte, lief Caramon durch den Wald und suchte Crysania. Nun, sie würde ihn willkommen heißen.
Raistlin erreichte sein Zelt und trat hinein. Das höhnische Grinsen kräuselte immer noch seine Lippen, aber als er sich an seine Schwäche erinnerte, an ihre sanften, warmen Lippen, verschwand das Grinsen. Zitternd brach er auf einem Stuhl zusammen und vergrub den Kopf in beide Hände.
Sein Lächeln kehrte eine halbe Stunde später zurück, als Caramon in sein Zelt stürzte. Das Gesicht des großen Mannes war zornrot, seine Augen weit aufgerissen, seine Hand lag auf dem Knauf seines Schwertes. »Ich sollte dich töten, du verdammter Bastard!« sagte er mit erstickter Stimme.
»Warum, mein Bruder?« fragte Raistlin und las in seinem Zauberbuch weiter. »Habe ich noch einen Lieblingskender von dir umgebracht?«
»Du weißt verdammt genau, warum!« knurrte Caramon mit einem Fluch, griff nach dem Zauberbuch und schlug es zu. Seine Finger brannten bei der Berührung des nachtblauen Einbandes, aber er nahm den Schmerz nicht wahr. »Ich fand Crysania im Wald, ihre Kleider zerrissen, und sie weinte! Diese Kratzer an deinem Gesicht...«
»Habe ich mir selbst zugefügt. Hat sie dir erzählt, was vorgefallen ist?« unterbrach ihn Raistlin.
»Ja, aber...«
»Hat sie dir erzählt, daß sie sich mir angeboten hat?«
»Das glaube ich nicht...«
»Und daß ich sie abgelehnt habe?« fuhr Raistlin kühl fort.
»Du arroganter Sohn einer...«
»In diesem Augenblick sitzt sie bestimmt weinend in ihrem Zelt und dankt den Göttern für meine Liebe zu ihr, die so stark ist, daß ich ihre Jungfräulichkeit wertschätze.« Raistlin gab ein höhnisches Lachen von sich.
»Ich glaube dir nicht!« sagte Caramon leise. Er packte die Roben seines Bruders und riß ihn aus seinem Stuhl.
»Entferne deine Hände, Bruder!« sagte Raistlin mit einem sanften Flüstern.
»Ich sehe dich in der Hölle!«
»Ich sagte, entferne deine Hände!« Ein blaues Licht blitzte auf, und es krachte und zischte. Caramon schrie vor Schmerz auf und löste seinen Griff, als ein lähmender Schock durch seinen Körper jagte.
»Ich habe dich gewarnt.« Raistlin richtete seine Roben und nahm wieder seinen Platz ein.
»Bei den Göttern, dieses Mal werde ich dich töten!« sagte Caramon mit zusammengepreßten Zähnen und zog sein Schwert.
»Dann tu es doch«, schrie Raistlin und sah von seinem Zauberbuch auf, das er wieder geöffnet hatte. »Bring es hinter dich! Diese ständigen Drohungen langweilen mich.« In seine Augen trat ein merkwürdiger Glanz. »Versuch es!« flüsterte er und starrte seinen Bruder an. »Versuch mich zu töten! Du wirst niemals nach Hause zurückkehren...«
»Das spielt keine Rolle!« Überwältigt von Eifersucht und Haß, trat Caramon auf seinen Bruder zu, der dasaß und mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck wartete.
»Versuch es!« befahl Raistlin wieder.
Caramon hob sein Schwert.
»General Caramon!« Stimmen schrien von draußen, schnelle Schritte waren zu hören.
Mit einem Fluch senkte Caramon das Schwert und starrte, von Zornestränen halbblind, seinen Bruder an.
»General! Wo bist du?«
»Hier!« schrie Caramon schließlich. Er wandte sich von seinem Bruder ab, warf das Schwert in die Scheide zurück und riß den Zeltvorhang auf. »Was ist los?«
»General, ich... Deine Hände! Sie sind verbrannt...«
»Mach dir keine Gedanken! Was ist los?«
»Die Hexe, General! Sie ist verschwunden!«
»Verschwunden?« wiederholte Caramon beunruhigt. Er warf seinem Bruder einen bösartigen Blick zu und eilte hinaus.
Raistlin hörte seine dröhnende Stimme Erklärungen verlangen, die die Männer ihm gaben. Raistlin schloß seufzend die Augen. Caramon war es nicht erlaubt worden, ihn zu töten.
Vor ihm, sich in einer gradlinigen Spur erstreckend, führten ihn die Fußstapfen unerbittlich weiter.
Caramon hatte einmal Crysanias Reitkunst gelobt. Bevor sie mit Tanis, dem Halbelf, von Palanthas auf die Suche nach dem magischen Wald von Wayreth gegangen war, war sie einem Pferd niemals näher gewesen als in einer der eleganten Kutschen ihres Vaters. Frauen von Palanthas ritten nicht, nicht einmal zum Vergnügen wie die anderen solamnischen Frauen.
Aber das war in ihrem anderen Leben gewesen.
Ihr anderes Leben. Crysania lächelte bitter, während sie sich über den Hals ihres Pferdes lehnte, ihre Fersen in seine Flanken grub und es zu schnellerem Lauf antrieb.
Sie unterdrückte einen Seufzer und duckte sich, um niedrigen Zweigen auszuweichen. Sie blickte nicht zurück. Man würde nicht so schnell die Verfolgung aufnehmen, hoffte sie. Die Boten waren da – Caramon mußte sich erst einmal um sie kümmern —, und er wagte nicht, ihr einen seiner Leibwächter nachzuschicken. Nicht nach einer Hexe!
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