Während die Sonne emporstieg, verblaßten die außerhalb dieser Welt liegenden Berge. Die Wellenwand blieb, doch dahinter erstreckte sich nur noch blauer Himmel.
Die Kinder stiegen aus dem Boot und wateten – nicht auf die Welle zu, sondern nach Süden, mit der Wasserwand zu ihrer Linken. Sie hätten nicht sagen können, warum sie das taten – es war vom Schicksal bestimmt. Und obwohl sie sich auf der »Morgenröte« sehr erwachsen gefühlt hatten und dies auch tatsächlich gewesen waren, empfanden sie jetzt genau das Gegenteil und hielten sich an der Hand, während sie durch die Lilien wateten. Sie spürten keine Müdigkeit. Das Wasser war warm, und es wurde immer flacher. Schließlich gingen sie auf trockenem Sand und dann auf Gras – auf einer mit sehr feinem, kurzem Gras bedeckten Fläche, die fast auf gleicher Höhe mit dem Silbermeer lag und die sich ohne die geringste Erhebung nach allen Richtungen erstreckte.
Und wie immer, wenn alles flach und baumlos ist, sah es so aus, als käme der Himmel vor ihnen herab und berührte das Gras. Aber während sie weitergingen, kam es ihnen eigenartigerweise so vor, als neige sich hier der Himmel wirklich herab und träfe mit der Erde zusammen – eine blaue, sehr helle Wand, aber fest und wirklich. Am ehesten hätte man sie mit einer Glaswand vergleichen können. Und bald darauf waren sie ganz sicher. Die Wand war schon ganz nah.
Aber zwischen ihnen und dem Fuß der Himmelswand befand sich auf dem grünen Gras etwas, was so weiß war, daß sie selbst mit ihren Adleraugen kaum hinsehen konnten. Sie gingen weiter und sahen, daß es ein Lamm war.
»Kommt und frühstückt!« sagte das Lamm mit sanfter Stimme.
Erst jetzt bemerkten sie, daß auf dem Gras ein Feuer flackerte, über dem Fische brieten. Sie setzten sich und aßen den Fisch. Zum ersten Male seit vielen Tagen waren sie hungrig. Und es war die beste Mahlzeit, die sie jemals gegessen hatten.
»Bitte, Lamm«, sagte Lucy. »Ist dies der Weg zum Land Aslans?«
»Nicht für euch«, antwortete das Lamm. »Für euch liegt die Tür zum Land Aslans in eurer eigenen Welt.«
»Was!« sagte Edmund. »Gibt es von unserer Welt auch einen Weg zum Land Aslans?«
»Aus allen Welten führt ein Weg zu meinem Land«, sagte das Lamm.
Doch während es sprach, verwandelte sich das schneeweiße Fell des Lammes in gelbbraunes Gold. Das Lamm wurde größer und größer, und es war Aslan selbst, der über ihnen thronte und aus dessen Mähne Licht fiel.
»O Aslan«, sagte Lucy. »Wirst du uns sagen, wie wir aus unserer Welt in dein Land gelangen können?«
»Ich werde es euch immer wieder sagen«, sagte Aslan. »Aber ich werde euch nicht sagen, wie lang oder wie kurz der Weg sein wird; nur, daß er jenseits eines Flusses liegt! Aber habt keine Angst, denn ich bin der große Brückenbauer. Und jetzt kommt; ich werde die Tür im Himmel öffnen und euch in eure eigene Welt schicken.«
»Bitte, Aslan«, sagte Lucy. »Wirst du uns vorher sagen, wann wir wieder nach Narnia zurückkommen dürfen? Bitte. Und bitte, bitte, laß es bald sein.«
»Meine Liebste«, sagte Aslan sehr sanft. »Du und dein Bruder, ihr werdet nie mehr nach Narnia zurückkehren.«
»Oh, Aslan!« sagten beide ganz entsetzt.
»Ihr seid zu alt, Kinder«, sagte Aslan, »und ihr müßt anfangen, eurer eigenen Welt näherzukommen.«
»Es ist nicht Narnia, weißt du!« schluchzte Lucy. »Du bist es! Wir werden dich nicht mehr sehen! Und wie können wir leben, wenn wir dich nicht mehr sehen?«
»Aber ihr werdet mich sehen, meine Liebe«, sagte Aslan.
»Bist – bist du auch dort?« fragte Edmund.
»Ja«, antwortete Aslan. »Aber dort trage ich einen anderen Namen. Ihr müßt lernen, mich unter diesem Namen zu erkennen. Und dies ist der Grund, warum ihr nach Narnia gelangt seid – da ihr mich in Narnia ein wenig kennengelernt habt, lernt ihr mich vielleicht in eurer Welt noch besser kennen.«
»Und kommt Eustachius auch nie mehr hierher zurück?« fragte Lucy.
»Kind«, sagte Aslan. »Mußt du das wirklich wissen? Kommt, ich öffne die Tür.«
Dann – in einem einzigen Augenblick – erschien ein Riß in der blauen Mauer (wie wenn man einen Vorhang zerreißt), ein schreckliches weißes Licht von jenseits des Himmels leuchtete auf, sie fühlten Aslans Mähne und spürten einen Löwenkuß auf der Stirn, und dann – dann waren sie wieder im Hinterzimmer von Tante Albertas Haus in Cambridge.
Nur noch zwei Dinge müssen erwähnt werden. Erstens erreichten Kaspian und seine Männer sicher die Insel Ramandus. Die drei Lords erwachten aus dem Schlaf. Kaspian heiratete die Tochter Ramandus, alle kehrten schließlich nach Narnia zurück, und Kaspians Gemahlin wurde eine große Königin und die Mutter und Großmutter großer Könige.
Zweitens sagten in unserer Welt alle, wie sehr sich Eustachius gebessert habe und daß er mit einemmal wie ausgewechselt sei. Alle außer Tante Alberta, die meinte, er sei sehr gewöhnlich und unangenehm geworden, und das müsse der Einfluß von Edmund und Lucy gewesen sein.