Cery stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er schüttelte den Kopf. »Du hast mir wirklich Angst gemacht, Sonea. Ich kann dich vor den Augen der Magier verstecken, aber ich fürchte, es wäre ein bisschen viel verlangt, dich auch vor ihren Gedanken zu verstecken. Meiner Meinung nach solltest du weiterziehen. Mir schwebt da ein Quartier vor, das nicht zum System der Geheimgänge gehört. Dort könntest du vielleicht für ein paar Tage unterkommen.«
Das einzige Geräusch, das man in der Gildehalle vernehmen konnte, war das Wispern des Atems der dort versammelten Magier. Rothen öffnete die Augen und ließ den Blick über die Gesichter seiner Kollegen gleiten.
Wie immer, wenn er andere Magier bei höchster gedanklicher Anstrengung beobachtete, verspürte er eine vage Verlegenheit. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, ihnen nachzuspionieren, sie bei einem höchst privaten Tun zu stören.
Gleichzeitig löste ihr Mienenspiel eine beinahe kindliche Erheiterung in ihm aus. Einige Magier runzelten die Stirn, andere wirkten verwirrt oder überrascht. Die meisten von ihnen hätten genauso gut schlafen können, so glatt und friedlich waren ihre Gesichter.
Als Rothen ein leises Schnarchen hörte, musste er lächeln. Lord Sharrel hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, und der kahle Kopf sackte ihm langsam auf die Brust. Offensichtlich hatte er seinen Geist allzu wirkungsvoll beruhigt.
— Er ist nicht der Einzige, der nicht bei der Sache ist, wie, Rothen?
Dannyl öffnete ein Auge und grinste. Rothen schüttelte missbilligend den Kopf, dann ließ er den Blick über die Gesichter der Magier wandern, um festzustellen, ob sein Freund die anderen in ihrer Konzentration gestört hatte. Dannyl zuckte kaum merklich die Achseln und schloss das Auge wieder.
Rothen seufzte. Mittlerweile hätten sie sie eigentlich finden müssen. Er runzelte die Stirn. Noch eine halbe Stunde, beschloss er. Dann holte er tief Luft und begann von Neuem mit der Übung, die den Magiern half, ihren Geist zu beruhigen.
Es war später Vormittag, und helles Sonnenlicht hatte den Nebel über der Stadt zerstreut. Dannyl, der am Fenster stand, nahm sich einen Moment Zeit, um die Stille zu genießen. Die Druckmaschinen mochten zwar schneller sein als Schreiber, aber ihr Summen und Stampfen klingelte ihm jedes Mal noch stundenlang in den Ohren.
Er schürzte die Lippen. Jetzt, da das letzte Bündel Plakate gedruckt und in die verschiedenen Stadtteile geschickt worden war, war er endlich frei. Die mentale Suche war gescheitert, und Rothen hatte sich bereits wieder zu den Hüttensiedlungen begeben. Dannyl war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte, dass er bei dem schönen Wetter nach draußen kam, oder verärgert sein sollte, weil er einmal mehr zwischen den ärmlichen Hütten umherstreifen musste.
»Lord Dannyl«, erklang eine Stimme, »vor den Toren der Gilde hat sich eine große Menschenmenge versammelt, die Euch zu sprechen wünscht.«
Erschrocken drehte Dannyl sich um. Administrator Lorlen stand in der Tür.
»Jetzt schon?«, entfuhr es ihm.
Lorlen nickte und verzog die Lippen zu einem erheiterten Lächeln. »Ich weiß nicht, wie sie dort hingekommen sind. Sie müssen sich an zwei Trupps der Stadtwache vorbeigeschlichen haben und in den Inneren Ring vorgedrungen sein, um es bis hierher zu schaffen – es sei denn, es handelt sich um Vagabunden, die uns bei der Säuberung entgangen sind.«
»Wie viele?«
»Ungefähr zweihundert«, erwiderte Lorlen. »Die Wachen sagen, sie behaupteten alle, zu wissen, wo sich das gesuchte Mädchen aufhält.«
Dannyl sah vor seinem inneren Auge die vielen Diebe und Bettler, die vor den Toren auf ihn warteten, und griff sich stöhnend an die Stirn.
»Genau«, sagte Lorlen. »Was wollt Ihr jetzt tun?«
Dannyl lehnte sich an den Tisch und dachte nach. Es war kaum mehr als eine Stunde vergangen, seit er die ersten Boten mit Kopien seines Plakats ausgeschickt hatte. Die Menschen vor den Toren waren die Ersten von einer Horde von Informanten, die gewiss noch folgen würden.
»Wir brauchen einen Raum, in dem wir sie befragen können«, überlegte er laut.
»Nicht in der Gilde«, erwiderte Lorlen sofort, »sonst werden die Leute Geschichten erfinden, nur um eine Gelegenheit zu bekommen, einen Blick auf uns zu werfen.«
»Dann eben irgendwo in der Stadt.«
Lorlen trommelte leise mit den Fingern auf den Türrahmen. »Die Garde hat mehrere Hallen in verschiedenen Teilen der Stadt. Ich werde veranlassen, dass eine davon für unsere Zwecke hergerichtet wird.«
Dannyl nickte. »Könntet Ihr auch dafür sorgen, dass ein paar Soldaten dort sein werden, um für Ordnung zu sorgen?«
Der Administrator nickte. »Ich bin davon überzeugt, dass die Leute die Gelegenheit, in der Stadt zu bleiben, nur allzu gern nutzen würden.«
»Dann mache ich mich jetzt auf die Suche nach Freiwilligen, die mir bei der Befragung der Informanten helfen.«
»Das klingt so, als hättet Ihr alles im Griff.« Lorlen trat einen Schritt von der Tür zurück.
Dannyl lächelte. »Vielen Dank, Administrator.«
»Wenn Ihr sonst noch irgendetwas benötigen solltet, schickt einfach einen Boten zu mir.« Lorlen nickte und wandte sich dann zum Gehen.
Dannyl sammelte die Werkzeuge ein, die er für den Entwurf des Plakats benötigt hatte, und legte sie in eine kunstvoll gearbeitete Schreibschatulle. Dann verließ er den Raum und eilte zu seinem Quartier. Unterwegs sprach er einen Novizen an, der gerade aus einem nahen Klassenzimmer getreten war.
»Du da«, rief Dannyl. Der Junge erstarrte und fuhr zu ihm herum. Nach einem raschen Blick senkte er den Kopf und verneigte sich. Dannyl drückte dem Jungen ohne viel Federlesens die Schatulle in die Hände.
»Bring das hier in die Bibliothek der Magier und sag Lord Jullen, dass ich die Sachen später wieder abholen werde.«
»Jawohl, Lord Dannyl«, erwiderte der Novize und hätte in seinem Eifer um ein Haar die Schatulle fallen lassen, als er sich abermals verbeugte. Dann machte er kehrt und eilte davon.
Dannyl setzte seinen Weg fort und stieg die Treppe hinunter. In der Eingangshalle standen mehrere Magier, die alle durch die offenen Türen zu den Toren des Gildeviertels hinüberstarrten. Als Dannyl die untersten Stufen der Treppe erreicht hatte, blickte einer der Magier auf. Es war Larkin, ein junger Alchemist, der erst vor kurzem seinen Abschluss gemacht hatte.
»Sind das Eure Informanten, Lord Dannyl?«, fragte er grinsend.
»Sie sind wohl eher scharf auf die Belohnung«, entgegnete Dannyl trocken.
»Ihr werdet sie nicht in die Gilde bringen«, erklang eine schroffe Stimme.
Dannyl, der sofort den säuerlichen Tonfall des Rektors der Universität erkannt hatte, drehte sich zu dem Magier um.
»Wirklich nicht, Rektor Jerrik?«, fragte Dannyl.
»Auf keinen Fall!«
Larkin, der den Wortwechsel verfolgt hatte, prustete leise, und Dannyl widerstand der Versuchung zu lächeln. Jerrik schien sich niemals zu ändern. Er war noch immer derselbe mürrische alte Mann wie damals, als Dannyl als Novize an die Universität gekommen war.
»Ich werde sie in eine der Hallen der Garde schicken«, erklärte Dannyl dem alten Magier. Dann wandte er sich ab, schlängelte sich zwischen den anderen Magiern hindurch und ging die nächste Treppe hinunter.
»Viel Glück«, rief Larkin ihm nach.
Dannyl hob zur Antwort nur die Hand. Vor ihm drängte sich eine dunkle Masse von Leibern gegen die kunstvoll geschmiedeten Gitter der Tore. Dannyl schnitt eine Grimasse und suchte in Gedanken nach einem verwandten Geist.
- Rothen!
- Ja?
- Sieh dir das an. Dannyl sandte seinem Freund ein mentales Bild der Szene vor ihm. Er spürte das Erschrecken des anderen Magiers, das sich schnell in Erheiterung verwandelte, als Rothen begriff, wer diese Leute waren.
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