Trudi Canavan - Magier

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Auraya hat einen großen Sieg errungen, doch dieser Triumph beschert der jungen Priesterin Nacht für Nacht Alpträume. Und Leiard, der einzige Mensch, der ihr Leid lindern könnte, ist spurlos verschwunden. Als Auraya ausgeschickt wird, um die Opfer einer mysteriösen Krankheit zu heilen, erfährt sie schließlich, dass der Traumweber Leiard seinerseits mit schlimmen Erinnerungen zu kämpfen hat …

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Trudi Canavan

Magier

Für Ivy Dauncey, meine Nana, die so gern Geschichten erzählt

Prolog

Reivan spürte die Veränderung vor allen anderen. Zuerst war es nur Instinkt, eher Gefühl als Wissen, dann fiel ihr auf, dass die Luft dumpfer roch und grießig wirkte. Sie betrachtete die rauen Wände des Tunnels und sah Ablagerungen einer pudrigen Substanz. Sie bedeckte eine Seite aller Ausbuchtungen und Rillen, als hätte sie ein Wind, der aus der Dunkelheit vor ihnen kam, dort hingeweht.

Ein Schaudern überlief sie bei dem Gedanken daran, was das bedeuten konnte, doch sie sagte nichts. Vielleicht irrte sie sich, und ihre Begleiter waren noch zu schockiert über ihre Niederlage. Alle kämpften sie mit der Notwendigkeit, den Tod von Freunden, Verwandten und Kameraden zu verarbeiten, all der Menschen, die sie zurückgelassen hatten, begraben in der fruchtbaren Erde des Feindes. Sie konnten keinen weiteren Grund zur Sorge gebrauchen.

Selbst wenn sie nicht in niedergedrücktester Stimmung nach Hause geeilt wären, hätte Reivan nicht gesprochen. Die Männer in ihrer Gruppe zeigten sich sehr schnell gekränkt. Genau wie Reivan hegten sie einen geheimen Groll, dass sie nicht genug angeborene Fähigkeiten besaßen, um Götterdiener zu werden. Daher klammerten sie sich an die einzigen Quellen der Überlegenheit, die ihnen zur Verfügung standen.

Sie waren klüger als durchschnittliche Menschen. Sie waren die »Denker«. Sie unterschieden sich von denen, die lediglich eine Ausbildung genossen hatten, durch ihr Vermögen, zu berechnen, zu erfinden, zu philosophieren und logisch abzuwägen. Das führte zu einer grimmigen Rivalität untereinander. Vor langer Zeit hatten sie eine eigene Hierarchie gebildet. Ältere hatten Vorrang vor Jüngeren. Männer hatten Vorrang vor Frauen.

Es war natürlich lächerlich. Reivan hatte bemerkt, dass der Geist mit dem Alter ebenso unflexibel und langsam wurde wie der Körper, in dem er ruhte. Nur weil es unter den Denkern mehr Männer als Frauen gab, bedeutete das nicht, dass Männer grundsätzlich klüger waren. In letzterem Fall trat Reivan mit großem Genuss den Gegenbeweis an… Aber dies war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Und ich könnte mich irren.

Der Geruch von Staub war jetzt stärker geworden.

Ihr Götter, ich hoffe, ich irre mich.

Plötzlich erinnerte sie sich an die Fähigkeit der Götterstimmen, Gedanken zu lesen. Sie blickte über ihre Schulter und war für einen Moment verwirrt. Sie hatte erwartet, Kuar zu sehen. Stattdessen trat eine hochgewachsene, elegante Frau hinter die Denker. Imenja, die Zweite Götterstimme. Ein Stich der Traurigkeit durchzuckte Reivan, als sie sich daran erinnerte, warum diese Frau die Armee jetzt anführte.

Kuar war tot, getötet von den heidnischen Zirklern.

Imenja sah zu Reivan hinüber, dann winkte sie sie zu sich. Reivans Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte noch nie zuvor mit einer der Götterstimmen gesprochen, obwohl sie zu der Gruppe von Denkern gehörte, die die Karten für die Route durch die Berge angefertigt hatten. Grauer, der Anführer der Gruppe, hatte persönlich die Aufgabe übernommen, den Götterstimmen Bericht zu erstatten.

Reivan hielt inne. Ein Blick auf die Männer vor ihr sagte ihr, dass diese den Ruf offensichtlich nicht bemerkt hatten. Grauer, dessen Aufmerksamkeit den Karten galt, war Imenjas Wink gewiss entgangen. Als Imenja sie erreichte, setzte sich Reivan wieder in Bewegung, wobei sie sich einen Schritt hinter der Götterstimme hielt.

»Wie kann ich dir dienen, Heilige?«

Imenja runzelte noch immer die Stirn, obwohl ihr Blick auf den Denkern ruhte. »Was ist es, was du befürchtest?«, fragte sie leise.

Reivan biss sich auf die Unterlippe. »Es ist wahrscheinlich jener Wahnsinn, der die Menschen unter der Erde erfasst, die Dunkelheit, die meinen Geist verwirrt«, erklärte sie hastig. »Aber… bisher war die Luft auf dem Weg durch die Tunnel noch nie so staubig. Und es lag auch nicht so viel Staub auf den Wänden. Die Muster lassen auf schnelle Luftbewegungen irgendwo vor uns schließen. Ich könnte mir verschiedene Gründe dafür denken…«

»Du befürchtest, dass es irgendwo in den Stollen zu Verschüttungen gekommen ist«, stellte Imenja fest.

Reivan nickte. »Ja. Und weiterer Instabilität.«

»Natürlichen oder unnatürlichen Ursprungs?«

Imenjas Frage und die Möglichkeiten, die dahinter standen, entsetzten Reivan zutiefst. »Ich weiß es nicht. Wer sollte so etwas tun? Und warum?«

Imenja zog die Brauen zusammen. »Ich habe bereits Berichte erhalten, nach denen die Sennoner unserem Volk jetzt, da die Nachricht von unserer Niederlage sie erreicht hat, Scherereien machen. Oder es könnten die Dorfbewohner aus der Gegend sein, die Rache suchen.«

Reivan wandte den Blick ab. Eine Erinnerung an Worns stieg in ihr auf, mit bluttriefenden Mäulern nach einem letzten »Jagdausflug« in der Nacht, bevor sie die Minen betreten hatten. Das Wohlwollen der Dörfler war der Armee nicht übermäßig wichtig gewesen – nicht, da der Sieg so gewiss war.

Wir hätten auch nicht über diesen Weg zurückkehren sollen. Wir hätten die Heiden aus Nordithania vertreiben und das Land für die Götter in Besitz nehmen sollen, bevor wir über den Pass nach Hause zurückgekehrt wären.

Imenja seufzte. »Geh wieder zu deiner Gruppe, aber sag nichts. Wir werden uns um mögliche Hindernisse kümmern, wenn wir ihnen begegnen.«

Reivan gehorchte und nahm wieder ihren Platz bei den Denkern ein. Da sie sich Imenjas Fähigkeit des Gedankenlesens überaus bewusst war, hielt sie Ausschau nach weiteren Störungen. Es dauerte nicht lange, bis sie welche fand.

Es war erheiternd zu beobachten, wie die anderen Denker langsam begriffen, was die stetig wachsende Menge an Geröll in dem Tunnel zu bedeuten hatte. Die erste Blockade, auf die sie trafen, rührte vom Einsturz eines kleinen Bereichs der Decke. Die Trümmer machten den Tunnel nicht unpassierbar, so dass sie lediglich darüber hinwegzusteigen brauchten, um ihren Weg fortzusetzen.

Dann wurden diese Hindernisse häufiger, und es wurde immer schwerer, sie zu überwinden. Mit Hilfe von Magie bewegte Imenja hier einen Felsbrocken zur Seite und schob dort einen Haufen Erdreich fort. Niemand spekulierte darüber, was das Herabstürzen dieser Hindernisse verursacht haben mochte. Alle wahrten klugerweise Stillschweigen.

Der Tunnel führte in eine der großen, natürlichen Höhlen, die man in den Bergwerken so häufig fand. Reivan starrte in den Raum vor ihr. Wo eigentlich nur Dunkelheit hätte sein dürfen, konnte man im schwachen Licht der Lampen der Denker bleiche Umrisse wahrnehmen.

Imenja ging voraus. Als sie die Höhle betrat, ließ sie ihr magisches Licht höher aufsteigen und heller werden. Blankes Entsetzen zeichnete sich auf den Mienen der Denker ab. Auch hier war das Dach eingestürzt, aber diesmal gab es keine Möglichkeit, die Blockade zu umgehen. Die gesamte Höhle lag voller Schutt, Geröll und Felsblöcke.

Einige der Brocken waren riesig. Wenn man unter einem derartigen Steinschlag begraben wurde… Reivan bezweifelte, dass man Zeit haben würde, zu begreifen, was geschah. Ein Krachen, Erschrecken, das Ende.

Besser als eine Klinge im Leib und ein langer, qualvoller Tod, dachte sie. Obwohl ich irgendwie das Gefühl habe, dass ein plötzlicher Tod einen Menschen um etwas beraubt. Der Tod ist eine Erfahrung des Lebens. Man bekommt nur einen einzigen Tod. Ich würde gern wissen, dass es geschieht, selbst wenn es bedeuten würde, dass ich Schmerz und Angst erleiden müsste.

Dann erregte ein unartikulierter Laut von Grauer ihre Aufmerksamkeit.

»Das hätte nicht passieren dürfen«, rief er, und seine Stimme hallte in der Höhle wider. »Wir haben alles untersucht. Diese Höhle war stabil.«

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