»Wer hat hier von Geschäften gesprochen?« Dannyl lächelte und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. »Denkt darüber nach. Die Diebe kennen die Hüttensiedlungen viel besser, als wir es uns jemals erhoffen könnten. Sie sind in einer viel besseren Position, das Mädchen zu finden, als wir – und ich bin davon überzeugt, dass sie lieber selbst nach ihr suchen, als das Risiko einzugehen, dass wir auf ihrem Territorium herumschnüffeln. Wir brauchen es vor dem König nur so darzustellen, dass wir die Diebe eingeschüchtert oder überredet hätten, uns das Mädchen auszuliefern, und wir werden alle Zustimmung bekommen, die wir brauchen.«
Rothen runzelte die Stirn. »Du wirst viel Zeit und Mühe brauchen, um die Höheren Magier für diese Idee zu gewinnen.«
»Sie müssen es ja nicht sofort erfahren.«
Rothen verschränkte die Arme vor der Brust. »Oh doch, das müssen sie«, erwiderte er entschieden.
Dannyl zuckte zusammen. »Ja, du hast wahrscheinlich Recht, aber wenn mein Plan funktioniert und ich ihnen ein Argument liefere, mit dem sie das Ganze beim König rechtfertigen können, werden sie mir sicher verzeihen.«
Yaldin lachte trocken auf. »Vermutlich ist es gut, dass Euer Plan nicht funktioniert hat.«
Rothen erhob sich und trat an ein Fenster. Er rieb an einer Stelle den Raureif weg und spähte hinaus in die säuberlich angelegten und gepflegten Gärten. Unwillkürlich musste er an die zitternden, hungrigen Menschen denken, die er gesehen hatte. War das das Leben, das dieses Mädchen führte? Hatte ihre Suche sie aus der zweifelhaften Sicherheit irgendeiner Hütte auf die Straßen hinausgetrieben? Der Winter nahte, und es war durchaus möglich, dass sie verhungerte oder erfror, lange bevor ihre Kräfte instabil und gefährlich wurden. Er trommelte mit den Fingern auf das Fenstersims.
»Es gibt mehrere Gruppen unter den Dieben, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Dannyl.
»Spricht dieser Mann, den du zu kontaktieren versucht hast, für sie alle?«
»Keine Ahnung«, gab Dannyl zu. »Vielleicht nicht.«
Rothen drehte sich zu seinem Freund um. »Es könnte nicht schaden, das herauszufinden, nicht wahr?«
Yaldin starrte Rothen entgeistert an, dann schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ihr zwei werdet uns alle in Schwierigkeiten bringen«, stöhnte er.
Dannyl legte dem älteren Mann die Hand auf die Schulter. »Macht Euch keine Sorgen, Yaldin. Es muss sich nur einer von uns um die Angelegenheit kümmern.« Er grinste Rothen an. »Überlasst die Sache mir. Und in der Zwischenzeit sollten wir den Dieben einen guten Grund liefern, uns zu helfen. Ich würde mir diese unterirdischen Gänge, die wir gestern entdeckt haben, gern einmal etwas näher ansehen. Ich möchte wetten, dass es den Dieben lieber wäre, wenn wir da unten nicht allzu gründlich herumschnüffeln würden.«
»Mir gefallen diese unterirdischen Räume nicht«, bemerkte Donia. »Sie haben keine Fenster. Ich finde es unheimlich hier unten.«
Sonea kratzte sich die winzigen Stiche, die sie sich während der Nacht eingefangen hatte. Ihre Tante wusch regelmäßig ihre Betten und die Decken mit einem Kräutersud, um die Wanzen zu verscheuchen, und ausnahmsweise einmal sehnte Sonea sich nach der peniblen Ordnungsliebe ihrer Tante. Seufzend sah sie sich in dem staubigen Raum um.
»Ich hoffe, Cery bekommt keinen Ärger, weil er mich hier versteckt.«
Donia zuckte die Achseln. »Er erledigt schon seit Jahren kleinere Aufträge für Opia und die Mädchen aus dem Tanzenden Pantoffel. Sie haben nichts dagegen, wenn du ein paar Tage in ihrem Lagerraum wohnst. Seine Ma hat mal hier gearbeitet, musst du wissen.« Donia stellte eine große Holzschale vor Sonea auf den Tisch. »Beug dich mal darüber.«
Sonea gehorchte und zuckte zusammen, als sie das eiskalte Wasser auf ihrer Kopfhaut spürte. Nachdem Donia ihr Haar mehrmals durchgespült hatte, brachte sie die Schale weg, die jetzt mit trübem, grauem Wasser gefüllt war. Anschließend rubbelte sie Soneas Haar mit einem fadenscheinigen Handtuch trocken. Dann trat sie einen Schritt zurück und unterzog ihr Werk einer kritischen Musterung.
»Das hat nichts genützt«, sagte Donia kopfschüttelnd.
Sonea hob die Hand, um ihr Haar zu berühren. Es klebte noch von der Paste, die Donia aufgetragen hatte. »Gar nichts?«
Donia beugte sich über sie und zupfte an Soneas Haar. »Nun, ein wenig heller ist es geworden, aber auf den ersten Blick fällt es praktisch nicht auf.« Sie seufzte. »Und viel kürzer können wir es auch nicht schneiden. Aber…« Sie zuckte die Achseln. »Wenn die Magier nach einem Mädchen suchen, wie die Leute sagen, werden sie dich vielleicht gar nicht beachten. Mit dem kurzen Haar siehst du wirklich aus wie ein Junge, zumindest auf den ersten Blick.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und neigte den Kopf zur Seite. »Warum trägst du es überhaupt so kurz?«
Sonea lächelte. »Damit ich aussehe wie ein Junge. Auf diese Weise werde ich nicht ständig belästigt.«
»In dem Bleibehaus?«
»Nein. Ich habe die meisten Botengänge für Jonna und Ranel erledigt. Ranel ist wegen seines Beins zu langsam, und Jonna verstand sich besser auf die eigentliche Arbeit. Außerdem fand ich es grässlich, die ganze Zeit in dem Bleibehaus zu sitzen, also habe ich stattdessen die Wäsche abgeholt und wieder ausgeliefert.« Sonea schnitt eine Grimasse. »Als ich das erste Mal Sachen zu einem Händler bringen musste, habe ich gesehen, wie einige Zünftler und Stallburschen einem Bäckermädchen zugesetzt haben. Ich wollte vermeiden, dass es mir genauso ergeht, also habe ich angefangen, mich wie ein Junge zu kleiden und mich auch wie einer zu benehmen.«
Donia zog die Brauen in die Höhe. »Und es hat funktioniert?«
»Meistens.« Sonea lächelte schief. »Aber manchmal kann es auch ziemlich unpraktisch sein, wie ein Junge auszusehen. Einmal hat sich eine Dienstmagd in mich verliebt! Ein anderes Mal war es ein Gärtner, der mich in die Enge trieb, und ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich ein Mädchen bin. Bis er mich angefasst hat. Er wäre fast in Ohnmacht gefallen, dann wurde er plötzlich ganz rot im Gesicht und hat mir das Versprechen abgenommen, niemandem davon zu erzählen. Da draußen laufen alle möglichen Leute herum.«
Donia kicherte. »Die Mädchen hier nennen diese Männer Goldminen. Opia verlangt einen höheren Preis für Jungen, denn wenn die Wachen dahinterkämen, würden sie sie hängen. Aber mit Mädchen ist es nicht verboten. Erinnerst du dich noch an Kalia?«
Sonea nickte. Kalia war das dünne Mädchen gewesen, das in einem Bolhaus in der Nähe des Marktes bedient hatte.
»Es hat sich herausgestellt, dass ihr Vater sie jahrelang an Kunden verkauft hat«, erklärte Donia kopfschüttelnd. »Seine eigne Tochter! Letztes Jahr ist sie ihm davongelaufen und hat bei Opia angefangen. Sie meint, auf diese Weise würde sie wenigstens etwas von dem Geld zu sehen bekommen. Das hat mir erst richtig klar gemacht, wie viel Glück ich habe. Vater sorgt dafür, dass mich niemand auf ungebührliche Weise belästigt. Das Schlimmste, was ich –« Sie hielt inne und sah zur Tür, dann lief sie durch den Raum und spähte durchs Schlüsselloch. Ein erleichtertes Lächeln trat auf ihre Züge, und sie öffnete die Tür.
Cery schlüpfte hindurch und reichte Donia ein Bündel.
»Du siehst nicht anders aus«, sagte er, nachdem er Sonea kritisch beäugt hatte.
Donia seufzte. »Das Färbemittel hat nicht funktioniert. Kyralisches Haar lässt sich nicht so einfach verändern.«
Er zuckte die Achseln, dann deutete er mit dem Kopf auf das Bündel. »Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht, Sonea.« Er wandte sich wieder der Tür zu. »Wenn du fertig bist, klopf einfach.«
Als die Tür hinter ihm zufiel, griff Donia nach dem Bündel und wickelte es aus.
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