Ich wollte es nicht wissen. Ich wollte, dass wir zusammenblieben. Sonea und ich, im Dienst der Diebe… Oder ohne die Diebe, aber zusammen …
Sie war nicht für die Diebe bestimmt – oder für ihn. Sie besaß Magie. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie gehörte zu den Magiern.
Eifersucht loderte in ihm auf, aber er schob sie beiseite. In der Dunkelheit waren ihm Zweifel an seinem Hass auf die Gilde gekommen. Ein Gedanke drängte sich ihm immer wieder auf: Wenn die Magier so viel Mühe darauf verwandt hatten, Sonea – und viele andere Hüttenleute – vor ihren unbeherrschten Kräften zu retten, dann konnten sie dem Hüttenvolk gegenüber nicht gar so gleichgültig sein, wie er es immer vermutet hatte.
Und welche bessere Zukunft hätte er sich für Sonea vorstellen können? Sie konnte Reichtum, Wissen und Macht haben. Wie konnte er ihr das verwehren?
Er konnte es nicht. Er hatte keinen Anspruch auf sie. Diese Erkenntnis schmerzte ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Obwohl sein Herz in dem Moment, als sie in sein Leben zurückgekehrt war, zu singen begonnen hatte, hatte sie ihm gegenüber niemals mehr als Zuneigung oder Freundschaft zu erkennen gegeben.
Wieder hörte er ein leises Geräusch und blieb stehen. Irgendwo in der Ferne konnte er das Klatschen von Schuhsohlen auf dem Stein wahrnehmen. Als die Schritte näher kamen, wich Cery von der Tür zurück, damit der Magier eintreten konnte. Die Schritte kamen jetzt schnell näher, was bedeutete, dass Fergun es eilig hatte.
Aber dann blieb, wer immer draußen vorbeiging, nicht vor der Tür stehen, sondern setzte seinen Weg fort.
Cery machte einen Schritt nach vorn. War das da draußen wirklich Fergun, der nur in eine andere Richtung ging? Oder war es jemand anders?
Er stürzte zur Tür hinüber und hob die Hand, um dagegen zu hämmern, dann packten ihn plötzlich Zweifel, und er erstarrte. Wenn er Recht hatte und Fergun ihn benutzte, um Sonea zu erpressen, würde er sie dann in Gefahr bringen, indem er floh und Ferguns Pläne durchkreuzte?
Wenn Fergun Sonea zu viel erzählt hatte, würde er sie vielleicht töten, um sein Verbrechen geheim zu halten. Cery hatte viele Geschichten von fehlgeschlagenen Entführungen und Erpressungsversuchen gehört, und als er sich jetzt das unerfreuliche Ende einiger dieser Berichte ins Gedächtnis rief, schauderte er.
Die Schritte draußen waren inzwischen verklungen. Cery lehnte den Kopf an die Tür und fluchte. Es war zu spät. Der Fremde war fort.
Seufzend beschloss er, weiterhin zu versuchen, Ferguns Freundschaft zu gewinnen, und sei es auch nur, um mehr über die Pläne des Magiers zu erfahren. Wieder einmal ging Cery im Geiste verschiedene Möglichkeiten eines Gesprächs mit dem Mann durch. Als kurz darauf abermals Schritte erklangen, glaubte er beinahe, er habe sie sich nur eingebildet.
Aber dann wurden die Schritte lauter, und er wusste, dass er sich nicht geirrt hatte. Sein Herz schlug plötzlich schneller – es waren zwei Personen, die sich seinem Gefängnis näherten. Sie blieben draußen vor der Tür stehen, und Cery hörte, durch die Tür gedämpft, Ferguns Stimme.
»Halt, wir sind da.«
Das Schloss klickte, und die Tür schwang auf. Eine Lichtkugel schwebte über Ferguns Kopf und blendete Cery für einen Moment. Doch trotz des grellen Lichts erkannte er die Silhouette des zweiten Besuchers.
»Sonea!«, rief er überglücklich.
»Cery?«
Sonea hob die Hände und nahm ihre Augenbinde ab. Dann lächelte sie ihn blinzelnd an und trat in seine Zelle.
»Geht es dir gut? Du bist nicht krank oder verletzt?« Sie musterte ihn forschend.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Und was ist mit dir?«
»Mir geht es gut.« Sie drehte sich zu Fergun um, der sie und Cery voller Interesse beobachtete. »Fergun hat dir nichts angetan?«
Cery brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Nur, wenn ich es herausgefordert habe.«
Sie zog die Brauen hoch. Dann wandte sie sich um und sah Fergun mit schmalen Augen an. »Gebt mir etwas Zeit, um allein mit ihm zu reden.«
Fergun zögerte, dann zuckte er die Achseln. »Meinetwegen. Ein paar Minuten, mehr nicht.«
Er machte eine Bewegung mit der rechten Hand, und die Tür fiel zu, so dass sie in tiefer Dunkelheit zurückblieben.
Cery seufzte. »Nun, jetzt sitzen wir immerhin zusammen in der Falle.«
»Er wird mich nicht hier zurücklassen. Er braucht mich.«
»Wozu?«
»Das ist ziemlich kompliziert. Er möchte, dass ich der Gilde beitrete, damit er mich dazu zwingen kann, ein Gesetz zu brechen, so dass man mich wieder hinauswirft. Ich glaube, das ist seine Art, sich dafür zu rächen, dass ich ihn bei der Säuberung mit meinem Stein getroffen habe – aber ich vermute, dass es ihm außerdem darum geht, die Gilde davon zu überzeugen, wie wenig wünschenswert es ist, Hüttenleute aufzunehmen. Es spielt keine Rolle. Wenn ich tue, was er sagt, wird er dich freilassen. Glaubst du, dass er zu seinem Wort stehen wird?«
Cery schüttelte den Kopf, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. »Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Er war nicht grausam zu mir. Die Diebe wären schlimmer gewesen.« Er zögerte. »Ich glaube nicht, dass er weiß, was er tut. Zieh irgendjemanden ins Vertrauen.«
»Nein«, erwiderte sie. »Wenn ich ihn verrate, wird Fergun sich weigern, dein Versteck preiszugeben. Du wirst verhungern.«
»Es muss doch noch jemanden geben, der über dieses Verlies Bescheid weiß.«
»Es könnte Tage dauern, bis man dich findet, Cery. Wir sind weit gegangen, um hierher zu kommen. Möglicherweise befindest du dich nicht einmal innerhalb der Gilde.«
»Mir kam der Weg nicht so weit –«
»Es spielt keine Rolle , Cery. Ich wollte ohnehin nicht bleiben, deshalb macht es keinen Sinn, dein Leben aufs Spiel zu setzen.«
»Du wolltest der Gilde nicht beitreten?«
»Nein.«
Sein Herzschlag beschleunigte sich. »Warum nicht?«
»Aus vielerlei Gründen. Zum einen hassen die Menschen die Magier. Ich käme mir wie eine Verräterin vor, wenn ich mich ihnen anschlösse.«
Er lächelte. Es sah ihr so ähnlich, die Dinge so zu betrachten. Er holte tief Luft. »Sonea, du solltest bleiben. Du musst lernen, deine Magie zu benutzen.«
»Aber dann werden mich alle hassen.«
»Nein, das stimmt nicht. In Wahrheit würden sie alle liebend gern selbst Magier werden, wenn sie auch nur die leiseste Chance dazu hätten. Wenn du das Angebot der Magier ablehnst, werden dich alle für verrückt halten oder für dumm. Sie würden es verstehen, wenn du bleibst. Niemand würde verlangen, dass du all das aufgibst.« Er schluckte hörbar und zwang sich zu einer Lüge. »Ich möchte nicht, dass du all das aufgibst.«
Sie zögerte. »Du würdest mich nicht hassen?«
»Nein.«
»Ich würde es tun.«
»Die Menschen, die dich kennen, würden deine Entscheidung nicht für falsch halten«, sagte Cery.
»Aber… mir würde es trotzdem so vorkommen , als hätte ich die Seiten gewechselt.«
Cery seufzte. »Sei nicht dumm, Sonea. Wenn du Magierin wärst, könntest du den Menschen helfen. Du könntest vielleicht sogar darauf hinwirken, dass man die Säuberungen einstellt. Die Leute würden auf dich hören.«
»Aber… ich gehöre zu Jonna und Ranel. Die beiden brauchen mich.«
»Nein, das tun sie nicht. Es geht ihnen gut. Denk nur, wie stolz sie wären. Ihre eigene Nichte in der Gilde.«
Sonea stampfte mit dem Fuß auf. »Es spielt keine Rolle, Cery. Ich kann nicht bleiben. Fergun hat gesagt, er würde dich töten. Ich werde einen Freund nicht im Stich lassen, nur um ein paar Magiertricks zu lernen.«
Einen Freund. Cery sackte in sich zusammen. Er schloss die Augen und stieß einen langen Seufzer aus. »Sonea. Erinnerst du dich an die Nacht, in der wir in der Gilde spioniert haben?«
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