Dannyl zuckte zusammen. Früher einmal hätte er eine solche Bemerkung nicht infrage gestellt – er hätte Yaldins Worten sogar zugestimmt –, aber seit er Sonea kannte, erschien ihm diese Denkweise ungerecht, ja sogar beleidigend. »Es würde Rothen nicht gefallen, so etwas zu hören.«
»Nein«, pflichtete Yaldin ihm bei. »Aber er steht mit seinen Ansichten allein. Der Rest der Gilde ist der Meinung, dass Klasse und Status sehr wichtig sind.«
»Was redet man denn zur Zeit so?«
Yaldin zuckte die Achseln. »Anfangs waren es nur freundschaftliche Wetten, welcher der beiden Männer zu Soneas Mentor bestimmt werden würde. Aber inzwischen gehen die Dinge weit darüber hinaus. Viele Leute glauben, dass es unklug wäre, jemanden mit ihrer zweifelhaften Vergangenheit in die Gilde aufzunehmen.«
»Fängt das schon wieder an? Wie begründen sie es denn diesmal?«
»Wird sie ihr Gelübde halten? Wird sie einen schlechten Einfluss auf andere Novizen ausüben?« Yaldin beugte sich vor. »Ihr habt sie kennen gelernt. Was meint Ihr dazu?«
Dannyl zuckte die Achseln. »Ich bin der Letzte, den Ihr danach fragen dürft. Sie ist mit einem Dolch auf mich losgegangen, habt Ihr das bereits vergessen?«
»Ihr werdet schon dafür sorgen, dass wir das niemals vergessen«, bemerkte Ezrille. »Aber Ihr müsst uns doch noch mehr über sie erzählen können.«
»Ihre Ausdrucksweise ist ungehobelt, wenn auch nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Ihre Manieren sind nicht das, woran wir gewöhnt sind. Keine Verbeugungen, kein ›Mylord‹.«
»Das wird Rothen ihr alles beibringen, wenn sie so weit ist«, warf Ezrille ein.
Yaldin schnaubte leise. »Er sollte besser dafür sorgen, dass sie vor der Anhörung darüber Bescheid weiß.«
»Ihr vergesst beide nach wie vor, dass sie nicht bleiben will. Warum sollte er sich die Mühe machen, ihr die Etikette beizubringen?«
»Vielleicht wäre es für alle Beteiligten einfacher, wenn sie tatsächlich ginge.«
Ezrille warf ihrem Mann einen tadelnden Blick zu. »Yaldin«, schalt sie ihn, »willst du das Mädchen wirklich in die Armut zurückschicken, nachdem man ihr all den Reichtum hier gezeigt hat? Das wäre grausam.«
Der alte Mann breitete die Hände aus. »Natürlich nicht, aber sie will fortgehen, und es wird einfacher sein, wenn sie es tut. Es wird keine Anhörung geben, und all die Überlegungen, ob man Leute von außerhalb der Häuser aufnehmen sollte, werden in Vergessenheit geraten.«
»Diese ganzen Spekulationen sind doch müßig«, sagte Dannyl. »Wir alle wissen, dass der König sie in der Gilde sehen will, unter unserer Kontrolle.«
»Dann wird er nicht allzu glücklich sein, wenn sie bei ihrem Entschluss bleibt, von hier fortzugehen.«
»Das ist richtig«, stimmte Dannyl ihm zu. »Aber er kann sie nicht zwingen, das Gelübde abzulegen, wenn sie es nicht will.«
Yaldin runzelte die Stirn, dann wurde er durch ein Klopfen an der Tür abgelenkt. Er machte eine träge Handbewegung, und die Tür schwang auf.
Rothen trat ein. Er strahlte übers ganze Gesicht. »Sie bleibt!«
»Nun, dann wäre das Problem also gelöst«, sagte Ezrille.
Yaldin schnaubte. »Nicht alle Probleme sind dadurch gelöst, Ezrille. Uns steht immer noch die Anhörung bevor.«
»Die Anhörung?« Rothen machte eine wegwerfende Geste. »Darüber zerbrechen wir uns ein andermal den Kopf. Heute Abend möchte ich einfach nur feiern.«
27
Irgendwo unter der Universität
Sonea, die sich in einem Sessel zusammengerollt hatte, gähnte und ließ im Geiste noch einmal die Ereignisse des Tages an sich vorüberziehen.
Am Morgen hatte Administrator Lorlen sie aufgesucht, um sie danach zu fragen, wie sie sich entschieden habe, und ihr zum wiederholten Mal zu erklären, was es mit der Anhörung und der Sache mit dem Mentor auf sich habe. Er war ehrlich erfreut darüber gewesen, dass sie bleiben wollte, und Sonea hatte deswegen ein schlechtes Gewissen gehabt – ein Gefühl, das ihr im Laufe des Tages immer vertrauter geworden war.
Es waren weitere Besucher gekommen: zuerst Dannyl, dann die strenge, einschüchternde Magierin, die den Heilern vorstand, und ein älteres Ehepaar, das mit Rothen befreundet war. Wann immer es an ihrer Tür geklopft hatte, hatte sie sich verkrampft und sich innerlich auf das Erscheinen Ferguns vorbereitet, aber der Krieger war nicht gekommen.
Sie vermutete, dass er sie erst aufsuchen würde, wenn sie allein war, daher war sie beinahe erleichtert, als Rothen sich nach dem Abendessen verabschiedete und erklärte, dass er erst sehr spät zurückkehren werde und sie nicht auf ihn warten solle.
»Ich werde hier bleiben und mit Euch plaudern, wenn Ihr wollt«, erbot sich Tania.
Sonea lächelte. »Vielen Dank, Tania, aber ich glaube, ich möchte heute Abend lieber allein sein.«
Die Dienerin nickte. »Das verstehe ich.« Sie wandte sich wieder dem Tisch zu, hielt jedoch inne, als ein Klopfen von der Tür erklang. »Soll ich öffnen, Mylady?«
Sonea nickte. Sie holte tief Luft, während die Dienerin die Tür einen Spaltbreit öffnete.
»Ist Lady Sonea hier?«
Als Sonea die Stimme hörte, krampfte sich ihr Magen vor Furcht zusammen.
»Ja, Lord Fergun«, antwortete Tania. Sie drehte sich mit ängstlichem Blick zu Sonea um. »Ich werde mich erkundigen, ob sie Euch zu sehen wünscht.«
»Lass ihn herein, Tania.« Obwohl ihr Herz wie wild zu hämmern begonnen hatte, gelang es Sonea, äußerlich gelassen zu wirken.
Die Dienerin wich einen Schritt zurück, und der rotgewandete Magier trat in den Raum. Er begrüßte Sonea mit einem Nicken und legte eine Hand auf die Brust.
»Ich bin Fergun. Ich nehme an, Lord Rothen hat dir von mir erzählt?«
Er warf einen kurzen Blick auf Tania. Sonea nickte.
»Ja«, sagte sie. »Das hat er. Wollt Ihr Euch setzen?«
»Vielen Dank«, erwiderte er, während er sich in einen Sessel sinken ließ.
— Schick die Frau weg.
Sonea schluckte und drehte sich zu Tania um. »Hast du sonst noch etwas zu erledigen, Tania?«
Die Dienerin sah zum Tisch hinüber, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, Mylady. Ich werde später noch einmal zurückkommen, um das Geschirr abzuräumen.« Sie verneigte sich und schlüpfte aus dem Raum.
Als sich die Tür hinter ihr schloss, fiel alle Freundlichkeit von Fergun ab. »Ich habe heute Morgen erfahren, dass Rothen deinen Entschluss zu bleiben verkündet hat. Du hast dir wahrhaftig Zeit gelassen, es ihm zu sagen.«
»Ich musste auf den richtigen Augenblick warten«, erwiderte sie. »Sonst hätte es sehr seltsam gewirkt.«
Fergun starrte sie an, dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Wie dem auch sei, es ist also geschehen. Und nun hör mir zu. Damit ich auch sicher bin, dass du meine Befehle verstanden hast, möchte ich, dass du sie mir wiederholst.«
Sie tat wie geheißen, und Fergun nickte.
»Gut«, sagte er. »Hast du irgendwelche Fragen?«
»Ja«, erwiderte sie. »Woher soll ich wissen, dass Cery sich tatsächlich in Eurer Gewalt befindet? Alles, was ich gesehen habe, ist ein Dolch.«
Er lächelte. »Du wirst mir einfach vertrauen müssen.«
»Euch vertrauen?« Sie schnaubte laut und zwang sich, ihm direkt in die Augen zu blicken. »Ich will Cery sehen. Wenn Ihr mich nicht zu ihm bringt, könnte ich Administrator Lorlen vielleicht fragen, ob Erpressung in der Gilde als Verbrechen gilt.«
Er verzog höhnisch die Lippen. »Du bist nicht in der Position, solche Drohungen auszusprechen.«
»Ach nein?« Sie erhob sich, schlenderte zu dem hohen Tisch hinüber und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Ihre Hände zitterten, und sie war froh darüber, dass sie ihm den Rücken zuwandte. »Ich weiß bestens Bescheid über diese Art von Erpressung. Ich habe bei den Dieben gelebt, oder habt Ihr das vergessen? Ihr müsst beweisen, dass Ihr tatsächlich in der Lage seid, Eure Drohung wahr zu machen. Bisher habe ich nur einen Dolch gesehen. Warum sollte ich Euch glauben, dass Ihr seinen Besitzer habt?«
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