Die ausgezehrten, doch seltsam verwandelten Männer begannen zu singen. Ich erkannte das Lied. Es war das Pfluglied, das ich damals in den Bergwerken gehört hatte, von einem einfachen Bauern gesungen. Es war zur Hymne der Revolution geworden.
Lara, nicht minder verwundert als ich, lief inmitten der Menge und versuchte in meiner Nähe zu bleiben.
So wurde ich auf dem Rücken der Männer von Straße zu Straße getragen, von freudigen Rufen begleitet, ringsum hoben sich Waffen zum Gruß, und in meinen Ohren hallte das Lied. Ich wurde zu der alten Kal-da-Schanke gebracht, an die ich mich lebhaft erinnerte, wo ich gut gegessen und gefeiert hatte und, von Ost verraten, aufgewacht war. Die Schänke war zum Hauptquartier der Revolution geworden, vielleicht weil sich die Männer Tharnas daran erinnerten, daß sie hier wieder das Singen gelernt hatten.
Vor der niedrigen Tür erblickte ich die mächtige Gestalt Krons aus der Kaste der Metallarbeiter. Der große Hammer hing an seinem Gürtel, und seine blauen Augen leuchteten vor Freude. Die mächtigen, narbigen Hände streckten sich mir entgegen.
Neben ihm entdeckte ich zu meiner Freude das lachende Gesicht Andreas’, dessen Stirn fast unter seinem gewaltigen schwarzen Haarschopf verschwand. Hinter ihm stand die strahlende Linna aus Tharna. Sie trug die Kleidung einer freien Frau.
Andreas drängte sich an den Männern vor der Tür vorbei und stürzte auf mich zu. Er packte meine Hände und zog mich auf die Straße, umklammerte meine Schultern und lachte dröhnend.
»Willkommen in Tharna!« sagte er. »Willkommen in Tharna!«
»Ja«, sagte Kron, der nur einen Schritt hinter ihm folgte und meinen Arm ergriff. »Willkommen in Tharna!«
Ich zog den Kopf ein und öffnete die schwere Holztür der Kal-da-Schanke. Das alte Schild war frisch übermalt worden. Auch hier leuchtete der herausfordernde Revolutionsschrei›Sa’ng-Fori‹ an den Wanden.
Ich stieg die niedrigen, breiten Stufen hinab. Diesmal war die Schänke gedrängt voll. Man konnte kaum einen Schritt vor den anderen setzen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ich vermeinte in einer Paga-Taverne in Ko-ro-ba oder Ar zu sein und nicht in einer einfachen tharnaischen Kal-da-Schanke. Fröhliches Lachen drang an meine Ohren.
In der Schänke hing jetzt etwa ein halbes Hundert Lampen, und an den Wanden leuchteten die Kastenfarben der Männer, die hier verkehrten. Dicke Teppiche lagen unter den niedrigen Tischen und wiesen zahlreiche Kal-da-Flecke auf.
Hinter dem Tresen war der dünne, kahlköpfige Wirt eifrig beschäftigt. Auf seiner Stirn stand der Schweiß, und seine glänzende schwarze Schürze war mit Gewürzen, Säften und Wein befleckt. Er rührte kräftig in einem riesigen Topf voller kochendem Kal-da. Ich rümpfte die Nase. Der Gestank kochenden Kal-das war nicht zu verkennen.
Hinter drei oder vier Tischen saß eine Gruppe schwitzender Musiker auf dem Teppich und erzeugte mit seltsamen Instrumenten — Saiten und Trommeln und Scheiben — eine unbeschreibliche Musik, die ins Blut ging — die wilden, packenden, schönen, barbarischen Melodien Gors. Ich wunderte mich über diesen Anblick, denn die Kaste der Musiker war wie die Kaste der Dichter in Tharna verboten gewesen. Die nüchternen Masken Tharnas waren der Meinung, daß Künstler in einer ernsten Stadt nichts zu suchen hatten, denn die Musik vermag wie der Alkohol das Herz eines Menschen zu entflammen, und wenn diese Flamme erst entzündet ist, laßt sich nicht sagen, wie sich der Brand weiter entwickelt. Als ich das Zimmer betrat, standen die Männer auf, brüllten und hoben grüßend ihre Becher. »Tal, Krieger!« riefen sie.
»Tal, Krieger!« erwiderte ich und hob den Arm. Ich begrüßte alle mit dem Titel meiner Kaste, denn ich wußte, daß in ihrem gemeinsamen Kampf jeder von ihnen ein Krieger gewesen war. So war es in den Bergwerken Tharnas festgelegt worden.
Hinter mir betraten Kron und Andreas die Schänke, gefolgt von Lara und Linna.
Ich fragte mich, welchen Eindruck die Schänke auf die wahre Tatrix von Tharna machen würde.
Kron nahm meinen Arm und führte mich an einen Tisch in der Mitte des Raumes. Ich ergriff Laras Hand und folgte ihm. In ihren Augen stand ein seltsamer Ausdruck, doch sie sah sich mit der Neugier eines Kindes um. Sie hatte nicht geahnt, wie die tharnaischen Männer sein konnten. Wenn sie von Zeit zu Zeit einmal zu offen gemustert wurde, senkte sie schüchtern den Kopf und errötete.
Endlich saß ich mit untergeschlagenen Beinen hinter dem niedrigen Tisch, und Lara kniete nach der Art goreanischer Frauen neben mir auf ihren Fersen.
Bei meinem Eintritt hatte die Musik kurz aufgehört, doch nun klatschte Kron zweimal in die Hände, und die Musiker beschäftigten sich wieder mit ihren Instrumenten.
»Freier Kal-da für alle!« rief Kron, und als der Wirt, der die Regeln seiner Kaste kannte, Einwände machen wollte, warf ihm Kron eine goldene Tarnmünze zu. Gierig bückte sich der Mann danach. »Gold ist hier reichlicher, vorhanden als Brot«, sagte Andreas, der sich neben uns niedergelassen hatte.
Tatsächlich waren die Gerichte auf den Tischen eher kärglich, doch das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Für die Männer hätte die Nahrung von den Tischen der Priesterkönige stammen können. Selbst das übelriechende Kal-da war in dem ersten Freiheitstaumel ein wohlschmeckendes und mächtiges Getränk.
Wieder klatschte Kron in die Hände. Zu meiner Überraschung ertönte leises Glockenlauten, und vier verängstigte Mädchen, offensichtlich nach Anmut und Schönheit ausgewählt, nahmen vor unserem Tisch Aufstellung. Außer den Glöckchen trugen sie nur das rote goreanische Tanzgewand. Sie warfen die Kopfe in den Nacken, hoben die Arme und begannen zum barbarischen Rhythmus der Musik zu tanzen.
Zu meiner Überraschung beobachtete Lara sie mit Entzücken.
»Wo hast du nur in Tharna Vergnügungssklavinnen aufgetrieben?« fragte ich, als ich die Silberkragen der Tänzerinnen bemerkte. Andreas, der eben ein Stück Brot in den Mund steckte, antwortete: »Hinter jeder Silbermaske steckt eine Möchtegern-Vergnügungssklavin.« »Andreas! sagte Linna und tat, als wollte sie ihm wegen seiner Frechheit einen Schlag versetzen, doch er brachte sie mit einem Kuß zum Schweigen, und sie begann spielerisch an dem Brot zu knabbern, das er noch zwischen den Zähnen hielt.
»Sind das wirklich Silbermasken aus Tharna?« fragte ich Kron skeptisch. »Ja«, erwiderte er. »Gut, nicht wahr?«
»Wo haben sie das Tanzen gelernt?«
Er zuckte die Achseln. »Das ist ein Instinkt bei den Frauen«, sagte er. »Aber diese hier sind natürlich noch unausgebildet.«
.Ich lachte vor mich hin. Kron sprach ganz und gar nicht mehr wie ein Mann aus Tharna.
»Warum tanzen sie für dich?« fragte Lara.
»Wenn sie nicht tanzen, bekommen sie die Peitsche zu spüren.« Lara senkte den Blick.
»Du siehst die Kragen«, sagte Kron und deutete auf die schlanken Silberbänder, die sich um den Hals der Mädchen legten. »Wir haben die Masken eingeschmolzen und das Silber für die Kragen verwendet.« Nun erschienen auch andere Mädchen zwischen den Tischen, die in kurze Sklavenröcke und Sklavenkragen gekleidet waren und stumm den Kal-da zu servieren begannen, den Kron bestellt hatte. Jede trug einen schweren Krug mit der übelriechenden, heißen Flüssigkeit und schenkte den Männern nach.
Einige musterten Lara neidisch, andere blickten sie haßerfüllt an. Sie fragten sich offenbar: Warum bist du nicht gekleidet wie wir, warum trägst du nicht den Kragen?
Zu meiner Überraschung streifte Lara den Umhang ab, nahm einem Mädchen den Kal-da-Krug aus der Hand und begann die Männer zu bedienen.
Einige Mädchen schauten ihr dankbar nach, denn sie war frei und zeigte durch ihre Tat, das sie sich nicht für besser hielt als sie. »Das«, sagte ich zu Kron und deutete auf Lara, »ist die Tatrix von Tharna.«
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