Plötzlich sprang die Tür zum Saal auf und knallte laut gegen die Wand. Bewaffnete Soldaten, die Helme aufgesetzt hatten, eilten herein.
»Die Tarndrähte sind durchschnitten!« rief ein Mann. Im nächsten Augenblick sank er blutüberströmt zusammen. Eine Klinge hatte ihn durchbohrt.
Betrunken taumelte Borchoff zwischen den Tischen hoch. Die turischen Soldaten blickten sich verzweifelt um. Die Musik hatte aufgehört. Aus den Korridoren außerhalb des Saals drang Kampflärm herein.
»Zu den Waffen!« brüllte Borchoff. »Läutet die Alarmglocke! Weitere Männer hasteten in den Raum. Turische Soldaten eilten zu den Mauern, versuchten ihre Waffen an sich zu bringen. Sklavinnen schrien.
Gleich darauf hatten die Fremden den Saal in ihrer Gewalt. Es handelte sich um entschlossen und umsichtig kämpfende Männer. Sie trugen graue Helme mit Larl- und Sleenhaarbüscheln. Ihre Lederkleidung machte deutlich, daß sie Tarnkämpfer waren.
»Den Schlüssel zu den Ketten!« verlangte der Gefangene und richtete sich auf.
Klingen näherten sich Borchoffs Hals. Seine Männer warfen die Waffen hin. Die Überraschung war gelungen. Im Lärm der Musik hatten wir nichts gehört.
Die Tarndrähte waren mit geschärften Haken durchtrennt worden, die an langen Seilen unter riesigen Tarnvögeln hingen – durchtrennt und fortgerissen. Die Tarnkämpfer hatten sich von der mondlosen Seite des Himmels her genähert, nur wenige Fuß über dem Boden fliegend, verhüllt von den nächtlichen Schatten. Erst knapp einen Viertel-Pasang vor der Festung waren sie emporgeflattert, die erste Angriffswelle hatte die Tarndrähte zerstört, die nachfolgenden Wellen waren durch die Öffnung eingedrungen und auf Dächern, Vorsprüngen und Hofflächen gelandet. Soldaten hatten sich unverzüglich in den großen Saal vorgekämpft. Der Plan der Festung schien ihnen bekannt zu sein, da sie ohne Zögern vorrückten.
Zornig gab Borchoff den Schlüssel zu den Ketten des Gefangenen heraus. Eilends wurden die Schlösser geöffnet. Der Mann richtete sich gelassen auf und rieb seine Handgelenke.
»Bist du der Anführer dieser Männer?« fragte Borchoff.
»Ja.«
»Man hat dich gefangen, als du dich nach dem Grundriß und den Verteidigungsanlagen dieser Festung erkundigtest.«
»Diese Informationen hatten wir längst«, antwortete der Mann. »Unser Plan stand fest. Ich brauchte mich nur noch von euch fangen zu lassen.«
»Dann war deine Gefangenschaft also beabsichtigt?« fragte Borchoff.
»Ja«, erwiderte der Mann. »So kam ic h in die Festung, wo ich weitere Feststellungen treffen und damit das Vorgehen meiner Männer beschleunigen konnte.« Er wandte sich an einige seiner Leutnants und gab Befehle. Männer eilten davon.
»Du hast gut aufgepaßt«, stellte Borchoff fest.
»Ich wollte die Zeit nutzbringend verwenden«, sagte der Mann und grinste Borchoff an. »Wie erhofft, waren mir deine Männer sehr behilflich; sie äußerten sich offen vor einem Mann, von dem sie annahmen, daß er in Sklavenketten enden würde.«
Borchoff starrte aufgebracht in die Runde.
Dem Anführer der Eindringlinge wurden ein Beutel und ein Schwert gereicht. Beides gürtete er um.
»Ich würde unser Gespräch ja gern fortsetzen, Hauptmann«, sagte er. »Aber du verstehst sicher, daß wir uns jetzt beeilen müssen.«
»Natürlich, Hauptmann«, sagte Borchoff. »Wir lie gen innerhalb des Gebietes, das von den Tarnkämpfern von Ar bewacht wird.«
»Die Abendpatrouille wird leider aufgehalten. Wie man hört, hat es eine Ablenkung gegeben, ein brennendes Feld im Süden. Darum müssen sich die Männer kümmern, damit sie einen vollständigen Bericht machen können.«
Borchoff ballte die Fäuste.
»Fesselt ihn«, sagte der Mann und deutete auf die Ketten, die er eben selbst noch getragen hatte. Der Befehl wurde sogleich ausgeführt.
»Wer bist du?« fragte Borchoff zornig.
»Haben wir die neunzehnte Stunde?« fragte der Mann.
»Ja«, sagte Borchoff.
»Ich bin Rask«, lautete die Antwort, »aus der Kaste der Krieger, Rask aus Treve.«
Die Sklavinnen schrien auf, und ich floh in ihrer Mitte aus dem Saal. Hinter uns wurden Befehle gegeben. Die Festung sollte geplündert werden. Ich hastete durch einen dunklen Korridor. Hinter mir ertönten die Schritte eines Mannes, der dann aber abbog, um einem anderen Mädchen nachzujagen.
Vergeblich versuchte ich die Sklavenglöckchen von meinem Bein zu entfernen. Ein Mädchen hastete an mir vorbei und bog in einen anderen Flur ein. Ich sah mich um und entdeckte eine Stahltür. Ich glitt durch die Öffnung, die nicht bewacht war. Hinter der Tür lag ein Gang. Keuchend lief ich weiter, wobei die Glocken an meinem Bein laut klirrten. Schließlich öffnete ich eine Tür und erblickte einen weiteren Gang; hier brannte eine Lampe, die an einer Kette hing. Diesen Gang hatte ich schon einmal gesehen. Hier war ich an meinem ersten Tag in der Festung entlanggeführt worden. Der Gang war gesäumt von Gittertüren. Ich zerrte an den Türen, hielt dann aber inne. Es war sicher nicht ratsam, sich hier zu verstecken. Hier lagen die Schätze der Festung, die sich die Räuber nicht entgehen lassen würden. Ich mußte mich nach einem Versteck zwischen weniger wertvollen Gütern um sehen. Ich erinnerte mich, daß sich diese Lager weiter unten am Korridor befanden, hinter einer Gittertür. Ich hastete den Gang entlang und erreichte die Tür, an der kein Wächter mehr stand. Doch auch weiter unten im Gang waren alle Türen verschlossen. Verzweifelt zerrte ich an den Gitterstäben. Erschrocken sah ich mich um. Schaute zufällig jemand in den Gang, mußte er mich sofort sehen, ein halbnacktes, verängstigtes Sklavenmädchen. Es mußte doch ein Versteck geben!
Ich lief weiter und erreichte schließlich die Tür zu Borchoffs Büro. Vorsichtig blickte ich in den Raum und machte die Tür hinter mir zu. Gleich darauf hörte ich laute Schritte auf dem Korridor, der an der anderen Tür des Zimmers vorbeiführte. Schwerter rasselten, ein Mädchen schrie auf. »Fessle sie und bring sie zum Startplatz!« sagte ein Mann.
»Du kannst ihr deine Spange anlegen«, erwiderte ein anderer. »Ich nehme die nächste.«
Stimmen schwirrten durcheinander.
Plötzlich versuchte jemand die Tür zu öffnen, hinter der ich stand; sie verschloß den zweiten Zugang zu Borchoffs Büro – zum Glück war der Schlüssel umgedreht. Tritte dröhnten; der Fremde versuchte die Tür einzutreten. Ich sah Holz splittern und eine Hand durch die Öffnung greifen, um den Riegel zu öffnen. Ich machte kehrt und floh auf dem Wege, auf dem ich gekommen war.
Hinter einer Ecke hielt ich keuchend inne. Am meisten störten mich die Glöckchen an meinem Fußgelenk, die jede meiner Bewegungen hörbar machten. Mit einem Werkzeug hätte ich den Ring vielleicht aufbrechen können, doch mit bloßen Händen konnte ich mir keine Hoffnungen machen.
Da kam mir der Gedanke, daß sich im Vorbereitungszimmer der Sklavinnen ja vielleicht der Schlüssel zum Glockenring finden ließ. Dieser Schlüssel wurde in einem flachen Holzkasten aufbewahrt, zu dem nur Sucha einen Schlüssel hatte. Wenn dieser Kasten verschlossen war, ließ er sich jedenfalls leichter öffnen, als der Reif um meinen Fuß.
Ich eilte weiter und erreichte nach wenigen Sekunden die kleine Eisentür, durch die ich zum erstenmal die Quartiere der Sklavinnen betreten hatte.
Vorsichtig drückte ich die Klinke nieder.
Ich spähte durch den Türspalt. Auf der anderen Seite des Raums wurde ein Mädchen an den Haaren fortgezerrt. Ein Mann hob sie sich auf die Schulter und verschwand damit um eine Ecke.
Ich riß ein Stück von meiner Seidentunika ab und stopfte es in den Türspalt, damit die Eisentür nicht hinter mir ins Schloß fiel. Dann eilte ich in den kle inen Raum, in dem sich die Sklavinnen schön machten. Hier war alles durcheinander. Offenbar waren hier mehrere Mädchen gefangengenommen worden. Der Schlüsselkasten war zerbrochen; vermutlich hatten Fremde darin nach Schmuck gesucht. Überall lagen Schlüssel herum, die ich hastig an dem Glockenring ausprobierte.
Читать дальше