In der Mitte des Lagers wurden Rufe laut. Die Jagd hatte begonnen.
»Hab keine Angst, Donna«, sagte ich. »Es wird dir nichts geschehen, was dir nicht Spaß machen wird.«
Dann eilte ich weiter, tiefer zwischen die dunklen Hütten.
Ich hoffte, daß meine Worte zutrafen. Die Jünglinge hatten sicher keine große Erfahrung im Umgang mit Frauen, vielleicht waren sie grob und mochten mir weh tun, denn es waren allesamt kräftige Burschen, aber ihre Opfer würden sie gewiß nicht brutal behandeln.
Ich hörte einen jungen Mann vorbeilaufen. Blitzschnell duckte ich mich in die Dunkelheit zwischen den Stützpfeilern einer Hütte.
Ich wollte nicht so schnell gefangen werden. Wir waren in der Palisade eingeschlossen. Irgendwo mußte es ein Versteck geben!
Rechts von mir, weit entfernt, hörte ich ein Mädchen schreien. Eine von uns war gefangen! Ich wußte nicht, wer es war.
Ich wollte kein Seil an meinem Hals spüren. Ich wollte nicht als Gefangene ins Licht des Lagerfeuers gezerrt und vor aller Augen vergewaltigt werden.
Zwei junge Männer mit Fackeln kamen vorbei. Kurz darauf begannen die Sleen in ihrem Gehege zu zischen. Irgend etwas hatte sie gestört – vielleicht ein Mädchen. Die jungen Männer liefen darauf zu. Zwei weitere Bauernburschen kamen vorbei.
Ich sah sie mehrere Meter entfernt vor einer Hütte stehenbleiben. Einer hob seine Fackel und beleuchtete damit einen Haufen Planen. Die beiden stellten sich links und rechts von den Planen auf und rührten sich nicht. Bestimmt hatte Donna ihre Schritte gehört und wartete nun angstvoll darauf, daß sich die Männer wieder entfernten. Hatten die Verfolger sie entdeckt? Die beiden warfen sich einen Blick zu und rissen mit einem lauten Ruf die Planen fort. Donna stieß einen Entsetzensschrei aus, als sie an einem Arm und einem Bein in die Luft gezerrt und über den Kopf eines der jungen Männer gestemmt wurde. »Gefangen!« rief der Bauernbursche.
»Gefangen!« meldete sich eine andere Stimme aus der Richtung des Sleengeheges. Er hatte Lehna den Arm auf den Rücken gedreht und schob sie vor sich her. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt.
»Bringen wir die Mädchen zum Fackelkreis«, sagte einer der Jünglinge. »Dann setzen wir die Jagd fort. Drei sind noch auf freiem Fuß!«
Die Gruppe entfernte sich, und ich erschauderte. Ich wollte nicht gefangen werden!
Ein kühner Plan formte sich in meinem Kopf. Ich bewegte mich leise durch die Schatten, schrittweise. Von Zeit zu Zeit kroch ich am Boden dahin. Dabei hielt ich mich weitgehend unter den Hütten, wo es besonders dunkel war.
Zweimal kamen junge Männer mit Fackeln ganz in meiner Nähe vorbei, und ich verharrte reglos.
Unter einem Bauwerk erstarrte ich. Kaum zehn Fuß entfernt hastete Chanda die Dorfstraße entlang. An einem ihrer Handgelenke baumelte ein Seil. Zwei Verfolger eilten hinter ihr her. Offenbar war sie wieder entwischt. Einem erfahrenen Krieger wäre so etwas nicht passiert. Ich hoffte, daß Chanda ein sicheres Versteck fand.
Dann setzte ich meinen Weg fort, wobei ich mich immer mehr auf allen vieren voranbewegte. Einmal hätte ich vor Verzweiflung beinahe aufgeschrien, denn der Weg zu meinem Ziel führte über eine dunkle Straße, an deren Ende das Zentrum des Dorfes lag. Dort hockten mehrere Männer um das Feuer – die Dorfbewohner und mein Herr mit seinen Begleitern. Auf dem Bauch kroch ich über diese Straße und verschwand schließlich dankbar wieder zwischen den Hütten.
Zunächst war ich wieder in Sicherheit.
Meine Zuversicht wuchs. Die jungen Männer waren auf sich gestellt und durften bei der Verfolgung der Mädchen keine Sleen einsetzen, die es ohnehin in dem engen, dicht bevölkerten Dorf ziemlich schwer gehabt hätten, Witterung aufzunehmen. Fanden die Burschen ein Mädchen nicht, mußten sie bei ihren späteren Vergnügungen auf diese Sklavin verzichten. Das Mädchen hätte sich dann vor ihnen gerettet. Ich war fest entschlossen, mich nicht erwischen zu lassen.
Schließlich erreichte ich jenen Teil des Dorfes, der mein Ziel war, die freie Fläche, auf der mein Herr sein Lager aufgeschlagen hatte. Ich kroch zwischen den aufgereihten Fellen hindurch.
Ich hörte ein Mädchen weinen. »Beeil dich, Sklavin«, sagte eine Stimme. »Ja, Herr«, lautete die Antwort. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, ich wagte kaum zu atmen. Reglos blieb ich liegen. Einige Meter zu meiner Rechten gingen drei Gestalten vorbei. Hätten sie hier nach mir gesucht, wäre ich wahrscheinlich nicht unentdeckt geblieben. Als sie vorbei waren, hob ich vorsichtig den Kopf. Sie hatten unser Lager umschritten, waren zwischen den Fellen und dem Palisadenzaun hindurchgegangen und kehrten nun in die Mitte des Dorfes zurück. Man hatte Chanda die Hände fest auf dem Rücken gefesselt. Sie weinte. Einer der jungen Männer hatte ihr die Hand ins Haar gelegt und zerrte sie mit sich. Die beiden jungen Burschen hatten die Geduld verloren, sie waren wütend, weil ihnen das Mädchen entwischt war. Männer haben es nicht gern, von Sklavinnen getäuscht zu werden. Ich hoffte, daß man sie nicht zu brutal nehmen würde.
Ich kroch in die Felle meines Herrn. Zum erstenmal konnte ich freier atmen.
»Wie viele sind noch frei?« rief einer der jungen Männer einem anderen zu. »Zwei!« lautete die Antwort. Ich wußte nicht, wer das andere noch nicht gefangene Mädchen sein mochte.
Ich kuschelte mich in die Felle meines Herrn und bedeckte sogar meinen Kopf. Ich nahm nicht an, daß man mich hier suchen würde. Wer konnte ein Mädchen für so kühn halten, sich auf der Lagerstatt ihres Herrn zu verstecken? Außerdem nahm ich nicht an, daß es die Bauernjungen wagen würden, die Schlaffelle eines Kriegers zu durchstöbern. Dazu war ihnen ihr Leben bestimmt viel zu kostbar. Ich fühlte mich absolut sicher. Dies war vermutlich der einzige Ort im Dorf, wo mir keine Gefahr drohte. Der Gedanke an meine Schlauheit erfüllte mich mit angenehmer Genugtuung. Ich liebte den Körpergeruch meines Herrn, der sich den Fellen mitgeteilt hatte. Ich war von seiner Aura umgeben, von der Aura seines Ichs. Ich wünschte, er läge jetzt bei mir in diesen Fellen, denn ich liebte ihn. War ich seine Sklavin, weil ich ihn liebte, oder liebte ich ihn, weil ich seine Sklavin war? Jedenfalls gehörte ich uneingeschränkt ihm, etwas, das auf dieser Welt selbstverständlich war. Sein Wille war einzig entscheidend. Ich war nichts, er war der Herr.
Ich hörte einen Ruf und rührte mich nicht mehr. Die Bauernjungen brüllten triumphierend auf. Nach einigen Sekunden riskierte ich einen Blick aus den Fellen ins Freie. Die Häscher hatten ein weiteres Mädchen gefangen – Sklavenperle. Sie wurde zum Fackelkreis getragen.
Von allen Mädchen war nur ich noch frei. Ich war der Jagd entkommen. Ich war stolz auf meine Klugheit.
Mehr als eine Ahn lang lag ich ruhig in den Fellen. Manchmal kamen die jungen Jäger in meine Nähe, doch sie betraten das Lager der Gäste nicht. Einer schritt zwar ziemlich nahe an mir vorbei, doch ich lag stocksteif in den Fellen.
Mir war ausgesprochen wohl. Ich war meinen Häschern entwischt. Natürlich bestand die Möglichkeit, daß sich mein Herr über das Versteck nicht freuen würde. Vermutlich würde er mich dann auspeitschen. Doch nahm ich eigentlich nicht an, daß er mich für meine Schlauheit und Kühnheit bestrafen würde. Mein Herr durchschaute mich, als bestünde ich aus Glas, doch zugleich spürte ich, daß auch ich mich in der letzten Zeit an ihn gewöhnt hatte, daß ich seine Stimmungen besser zu deuten wußte und seine Reaktionen voraussagen konnte. Dies mochte die für eine Sklavin unerläßliche Einstimmung auf ihren Herrn sein, geboren aus der Sorge um sein Wohlbefinden; doch fragte ich mich zugleich, ob dieses Gefühl nicht doch tiefer ging, ob hier nicht eine grundlegende Übereinstimmung mit einer anderen Person bestand. Ich hatte das Gefühl, meinen Herrn allmählich kennenzulernen. Vor zwei Tagen hatte ich ihn einmal beobachtet und dabei gespürt, daß er lie ber Wein als Paga trinken würde. Ich hatte Wein geholt und mich vor ihm hingekniet. »Darf ich dir Wein anbie ten, Herr?« hatte ich gefragt. Im ersten Augenblick war er überrascht gewesen und hatte geantwortet »Ja, Skla vin« und den Wein angenommen. Zuweilen spürte ich seinen Blick. In der Nacht zuvor hatte er in einer fast zärtlichen Geste mein Haar berührt. Dann, als sei er zornig auf sich selbst, hatte er mir einen Schlag versetzt und mich zu Eta geschickt, damit sie mir zu arbeiten gebe. Ich war nicht unzufrieden gewesen. Ich hatte das Gefühl, daß ich meinen Herrn beschäftigte, daß seine Gefühle angesprochen waren.
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