Ich beobachtete Sklavenperle. Sie weinte und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Dann blickte ich zurück zu den offenen Feuern, wo die Männer des Dorfes saßen, darunter Thurnus, der Kastenführer, und mein Herr Clitus Vitellius.
Ich erbebte vor Freude bei seinem Anblick. Mir wurde ganz warm, wenn ich diesen Mann nur ansah. Er aber bemerkte mich nicht, sondern sprach konzentriert mit Thurnus. Er war ein Mann, der eine Frau nur zu seinen Bedingungen an sich heranließ. Darüber gab es keine Diskussionen. Dennoch war er einer der beliebtesten Männer in Ar – die Frauen standen angeblich scharenweise bei ihm Schlange. Die vorübergehende Aufgabe der eigenen Freiheit im Sklavenkragen von Clitus Vitellius, so flüstern manche hochgeborenen Ar-Frauen einander zu, ist kein zu hoher Preis. Die Langeweile der Freiheit wurde mit Freuden geopfert, wenn es nur um eine kurze Zeit in den Armen dieses Mannes ging.
»Fertig zum Lauf!« rief ein Bauer in diesem Augenblick.
Ich blickte zu meinem Herrn hinüber. Am liebsten wäre ich zu ihm gelaufen, doch ich wagte es nicht, die Startlinie zu verlassen.
Thurnus hatte mich aufs höchste erregt – und dann von mir abgelassen, als ich fast soweit war. Es war ein elender Nachmittag gewesen.
Ich betrachtete meinen Herrn, nach dem ich mich sehnte. Obwohl viele Frauen ihm Anträge gemacht hatten, war Clitus Vitellius noch in keine freie Gefährtenschaft eingetreten. Ich nahm auch nicht an, daß er es jemals tun würde. Er war schließlich Clitus Vitellius. Er würde sich Sklavinnen nehmen. Ich liebte ihn!
»Wenn die Fackel gesenkt wird«, rief der Bauer und hob sie, »lauft ihr los.«
»Ja, Herr«, antworteten wir.
»Die Fackel wird dann in die Erde gesteckt«, fuhr der Mann fort. »Wenn sie steckt, habt ihr zweihundert Herzschläge Zeit, dann werdet ihr verfolgt.«
Ich schätzte, daß wir einen Vorsprung von etwa drei Minuten vor den jungen Männern haben würden.
Ich blickte mich um. Eta stand ganz rechts auf der Linie. Dann kamen Maria und Donna. Ich stand zwischen Donna und Sklavenperle. Links warteten Chanda und ganz außen Lehna.
»Ich möchte nicht vor Bauernburschen fliehen müssen«, sagte Sklavenperle. »Ich war eine freie Frau.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Möchtest du noch einmal gezüchtigt werden?« rief Lehna.
»Nein!« sagte Sklavenperle hastig. Sie hatte Angst vor Lehna. Aus guten Gründen war sie unmittelbar nach ihrer Gefangennahme unter Lehnas Aufsicht gestellt worden.
Nach der Entführung Lady Sabinas waren wir in das geheime Lager zurückgekehrt, in das mich mein Herr ursprünglich gebracht hatte. Dort hatte man Lady Sabina wie mich an den umgeknickten Stamm gefesselt und gebrandet. Damit war diese Frau politisch entwertet – und das entsprach genau der Absicht meines Herrn und seiner Befehlshaber in Ar. Das Symbol machte sie äußerlich sichtbar zur Sklavin. Sie wurde losgebunden und vor meinen Herrn gestoßen.
»Wir müssen dir einen Namen geben«, sagte er. »Sabina ...«, fuhr er leise fort, als überlege er. »Ah, mir will scheinen, daß dein früherer Name ein ausgezeichneter Sklavenname ist.«
»Nein, nein, Herr!« flehte sie.
»Dein früherer Name«, sagte er, »war sehr raffiniert gewählt. Er hört sich an wie der Name einer freien Frau, doch enthält er bereits – in einer Verkleidung, die wir jetzt fortreißen – deinen neuen Namen als Sklavin. Sehr schlau, Sklavin, aber man hat dich entdeckt. Ab sofort trägst du deinen wahren Namen, der gut zu dir paßt und den ich kraft meiner Macht über dich zu deinem Namen mache.«
»Bitte, Herr!« flehte sie.
»Du heißt ab sofort Bina«, befahl er.
Sie barg das Gesicht in den Händen und begann zu weinen. ›Bina‹ ist das goreanische Wort für Sklavenperle.
»Legt Sklavenperle einen Sirik um«, befahl mein Herr. Im Nu trug das neue Mädchen meines Herrn den Halskragen, von dem eine Kette zu Arm- und Fußreifen führte. Sie war wunderschön anzuschauen. Ich hatte bisher noch keinen Sirik getragen.
»Sklavenperle«, sagte mein Herr, »vielleicht erinnerst du dich, daß du vor einigen Tagen eine Sklavin gestraft hast.«
»Du weißt davon?«
»Als wir dein Lager erkundeten, wurden wir Zeuge der Szene. Soweit ich mich erinnere, bestand das Vergehen der Sklavin darin, sich nach der Berührung durch einen Mann zu sehnen.«
»Ja, Herr.«
»Die freie Frau hatte zweifellos das Recht, ihr Mädchen dafür zu strafen.«
»Ja, Herr!« sagte Sklavenperle.
»Diese Frau ist inzwischen aber selbst Sklavin geworden. Sie hält sich sogar in diesem Lager auf. Das gleiche gilt für das Mädchen, das von ihr gestraft wurde.«
»Ja, Herr«, sagte Sklavenperle zitternd.
»Wünschst du dir die Berührung eines Mannes?« wollte mein Herr wissen.
»O nein, Herr!«
»Ah, mir will scheinen, wir haben eine Sklavin hier, die eines Verbrechens schuldig ist.«
»Wer, Herr?«
»Du!«
»Nein!«
»Dein Vergehen ist es, dich der Berührung durch einen Mann entziehen zu wollen.« Mein Herr wandte sich an einen seiner Männer. »Bring Lehna eine Gerte«, sagte er. »Diese Sklavin muß bestraft werden. Sie widersetzt sich.«
»Ich bin bereit«, sagte Lehna.
»Merk dir die Lektion«, sagte mein Herr zu Sklavenperle. »Du sollst dich nach Männern sehnen. Was du ihr angetan hast, wird sie jetzt dir antun. Vielleicht begreifst du dann etwas besser, wie schwerwiegend deine Tat war. Vielleicht bedauerst du es dann, keine nachsichtigere Herrin gewesen zu sein.«
»Laß das nicht zu, Herr!« rief Sklavenperle. »Sie wird mich töten!«
»Unmöglich wäre es nicht. Wenn Lehna mit dir fertig ist, werde ich dich noch einmal fragen, ob du dir die Berührung durch einen Mann wünschst. Ich hoffe für dich, daß deine Antwort dann positiv ausfällt.«
»O ja, Herr«, flüsterte Sklavenperle.
»Lauft!« brüllte der Mann und senkte die Fackel.
Zusammen mit den anderen Mädchen rannte ich los. Wir eilten in verschiedene Richtungen auseinander.
Etwa fünfzig Meter von der Startlinie entfernt, verborgen in der Dunkelheit zwischen den Strohhütten, blieb ich stehen und blickte keuchend zurück. Die Fackel steckte bereits im Boden. Dann rannte ich tiefer zwischen die Hütten. Schließlich erreichte ich den Palisadenzaun und preßte Körper und Wangen gegen die glatten Stämme. Dann trat ich zurück und blickte in die Höhe. Die spitzen Pfähle endeten acht Fuß über dem Boden. Ich drehte mich um und starrte auf die schmale Lehmstraße zwischen den Hütten. Ich sah das Feuer in der Mitte des Dorfes, die erhellten Gesichter der Männer, die daran saßen. Ich sah, wie die Jünglinge eifrig auf sprangen.
»Es gibt keine Verstecke!« schluchzte Sklavenperle, die in meiner Nähe geblieben war.
»Wir sind Sklavinnen!« belehrte ich sie. »Es ist unsere Aufgabe, uns fangen zu lassen!«
Ich sah, wie sich die jungen Männer zur Verfolgung fertigmachten. Mehr als einer hatte es auf mich abgesehen, das wußte ich. Wetten waren auf dieses oder jenes Mädchen abgeschlossen worden, so auch auf mich.
Ich sah Chanda in einer Hütte verschwinden.
Sklavenperle wandte sich ab und hastete an der Innenseite des Palisadenzauns entlang. Ich folgte ihr ein Stück und zog mich dann wieder zwischen die Hütten zurück. Dabei bekam ich fast einen Herzschlag, als ich wenige Fuß vor mir ein bösartiges Fauchen vernahm. Die Hand vor den Mund gehoben, schrie ich auf. Dutzende schimmernder Augen starrten mich durch den soliden Zaun eines Sleengeheges hindurch an. Schnauzen und Zähne wurden gegen die Gitter gepreßt. Ich taumelte zurück.
Und weiter ging die Flucht.
Von Maria, Eta oder Lehna sah ich nichts. Sklavenperle war ebenfalls aus meinem Gesichtskreis verschwunden. Dann erblickte ich ein weißes Fußgelenk, das unter einem Haufen Planen hervorschaute. Es war Donna. »Bedecke deinen Fuß, Sklavin, oder man findet dich schnell!« rief ich lachend und rückte die Plane zurecht. Donna machte sich noch kleiner.
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