»Ergreift diesen Mann!« brüllte er, und zahlreiche Kriegerhände rissen uns auseinander.
Nun, den Edlen von Okar tat es gut, John Carter zu entwaffnen, denn mindestens ein Dutzend von ihnen spürten meine harten Fäuste, und niemand konnte mich daran hindern, mir den Weg zum Thron freizukämpfen, wohin Salensus Oll Dejah Thoris geschleppt hatte. Dann waren aber nicht viel weniger als hundert Krieger über mir, und ich ging kämpfend zu Boden. Ehe sie mich jedoch bewußtlos geschlagen hatten, hörte ich jene Worte von Dejah Thoris’ Lippen, die mich für alles Leiden entschädigten.
Sie stand neben dem riesigen Tyrannen, der ihren Arm umklammert hatte und deutete auf mich, der ich allein gegen eine übergroße Übermacht kämpfte.
»Glaubst du, Salensus Oll«, rief sie, »daß es die Frau eines solchen Mannes je danach gelüsten könnte, sein Andenken zu entehren und einen geringeren Sterblichen zu ehelichen, und wäre er auch tausendmal tot? Gibt es auf einer der Welten noch einen zweiten John Carter, Prinz von Helium? Ist es möglich, daß noch irgendwo ein anderer Mann lebt, der sich so wie er durch eine kriegerische Welt kämpft, sich wilden Tieren und Horden wilder Menschen stellt und das alles nur aus Liebe zu einer Frau?
Ich, Dejah Thoris, Prinzessin von Helium, bin sein. Er hat um mich gekämpft und mich gewonnen. Bist du ein tapferer Mann, dann wirst du auch seine Tapferkeit ehren und ihn nicht töten. Mach ihn zu einem Sklaven, Salensus Oll, wenn du unbedingt willst, aber schone sein Leben. Ich wäre lieber neben ihm eine Sklavin als neben dir die Königin von Okar.«
»Weder Sklavin noch Königin diktiert einem Salensus Oll«, erwiderte der Jeddak der Jeddaks. »John Carter soll eines natürlichen Todes in der Grube des Überflusses sterben, und am Tag seines Todes wird Dejah Thoris meine Königin.«
Ihre Antwort vernahm ich nicht mehr, denn man versetzte mir einen solchen Schlag auf den Kopf, daß ich das Bewußtsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, waren nur noch ein paar Wächter bei mir im Audienzsaal, die ihre Schwertspitzen auf mich gerichtet hatten und mir befahlen, aufzustehen.
Dann führte man mich durch lange Korridore in einen Hof, der fast im Mittelpunkt des Palastgeländes lag.
In der Mitte dieses Hofes war eine tiefe Grube, an deren Rand sechs Wächter mich erwarteten. Einer von ihnen hatte ein langes Seil in den Händen.
Wir waren etwa noch fünfzig Meter von diesen Männern entfernt, als ich plötzlich ein merkwürdiges Prickeln in einem meiner Finger spürte. Erst war ich sehr verblüfft darüber, doch dann fiel mir die Gabe des Prinzen Talu von Marentina ein, jener Ring, den ich im Tumult meiner Abenteuer fast vergessen hatte.
Sofort sah ich der Gruppe entgegen, der wir uns näherten und hob gleichzeitig meine linke Hand an die Stirn, damit der Ring für den sichtbar wurde, der ihn sehen sollte. Gleichzeitig hob auch einer der wartenden Krieger die linke Hand und strich sich über das Haar, und auch er hatte einen Ring am Finger, ein genaues Duplikat des meinen. Wir kreuzten einen Blick des Einverständnisses und Erkennens, aber dann schaute ich diesen Krieger nicht mehr an, damit keiner der Okarianer mißtrauisch werden konnte.
Als ich am Rand der Grube stand, sah ich, daß sie sehr tief war. Da wurde mir klar, daß ich diese Tiefe auch bald persönlich beurteilen sollte. Der Mann, welcher das Seil in den Händen hatte, legte es nämlich so um meinen Körper, daß es von oben her jederzeit abgenommen werden konnte. Dann griffen alle Krieger gemeinsam nach dem Seil, und einer versetzte mir einen Stoß, und so fiel ich in den gähnenden Abgrund hinunter.
Nach dem ersten Sturz fiel ich ins Seil, das man dann schnell und geschickt ablaufen ließ. Im Moment des Stoßes, als die anderen Männer sich um das Seil bemühten, hatte jedoch der Mann mit dem Ring seinen Mund kurz an mein Ohr gelegt und mir ein einziges Wort zugeflüstert:
»Mut!«
Die Grube, die von oben her bodenlos ausgesehen hatte, war gar nicht einmal so tief – kaum mehr als vierzig Meter. Da jedoch ihre Wände glatt waren wie poliertes Glas, spielte die Tiefe die allerletzte Rolle, denn ohne Hilfe von außen konnte ich diesem Gefängnis nicht entrinnen.
Einen vollen Tag mußte ich in absoluter Dunkelheit verbringen. Dann erhellte plötzlich ein strahlendes Licht meine seltsame Kerkerzelle. Ich war jetzt schon ziemlich hungrig und durstig, denn seit dem Tag vor meiner Einkerkerung hatte ich weder zu essen noch zu trinken bekommen.
Zu meinem grenzenlosen Erstaunen fand ich, daß die Wände der Grube, die ich für fugenlos glatt gehalten hatte, mit Regalen eingefaßt waren, auf denen die köstlichsten Fleischgerichte und Getränke standen, die Okar zu bieten hatte.
Mit einem Ruf freudiger Überraschung sprang ich auf, um etwas von dieser willkommenen Nahrung zu genießen, aber ehe ich danach greifen konnte, erlosch das Licht. Ich tastete in der Dunkelheit die ganze Wand ab, soweit ich reichen konnte, aber ich spürte nichts als glatte, harte Wände, wie ich sie schon anfangs ertastet hatte. Nun spürte ich erst richtig, wie hungrig und durstig ich war. Was vorher ein vager Hunger und Durst gewesen war, wurde nun von Minute zu Minute quälender, und das allein aus dem Grund, weil ich für einen kurzen Augenblick die köstlichste Nahrung in Reichweite ge sehen hatte.
Und nun schlössen mich wieder Dunkelheit und Schweigen ein, das nur von einem höhnischen Gelächter unterbrochen wurde. Nichts unterbrach einen weiteren Tag lang die Eintönigkeit meiner Gefangenschaft, und nichts erleichterte mir die Qualen von Hunger und Durst. Aber langsam ließ die Pein ein wenig nach, da das Leiden die Funktion gewisser Nerven lahmte.
Und dann flammte wieder das Licht auf. Vor mir stand erneut eine Reihe der herrlichsten Gerichte und feinsten Getränke, klares Quellwasser ebenso wie edler Wein, und die Flaschen waren verheißungsvoll beschlagen.
Mit der Wildheit eines vor Hunger und Durst halb irren Tieres sprang ich nach diesen Köstlichkeiten, aber wie am Tag vorher ging das Licht aus, und ich prallte nur an eine harte Mauer. Und wieder kam dieses höhnische Teufelsgelächter...
Die Grube des Überflusses!
Ah, von welch satanischer Grausamkeit mußte der Menschengeist sein, der sich solche Qualen ausdenken konnte! Und das wurde nun jeden Tag wiederholt, bis ich am Rand des Irrsinns angelangt war. An diesem Punkt machte ich es so, wie damals in den Gruben der Warhoons, nahm mich fest in die Hand und zwang mich selbst in den Tunnel der Vernunft zurück.
Mit meiner ganzen Willenskraft brachte ich es fertig, meinen sich allmählich auflösenden Geist zusammenzuhalten und damit hatte ich solchen Erfolg, daß ich beim nächsten grellen Lichtschein ruhig und fast gleichgültig sitzen blieb und die köstlichen Speisen kaum ansah die in so verführerischer Nähe vor mir waren. Und es war gut so, denn damit hatte ich eine Möglichkeit, das Geheimnis der so schnell wieder verschwindenden Leckerbissen zu lüften.
Da ich mich nicht nach den wundervollen Dingen ausstreckte, ließen meine Peiniger das Licht an in der Hoffnung, mich doch noch in Versuchung führen zu können, damit sie wieder einmal das für sie so fröhliche Schauspiel genießen durften, wenn ich nach den Köstlichkeiten griff, die ich ja doch nie erreichte.
Als ich dasaß und die mit herrlichen Dingen beladenen Regale musterte, sah ich, wie das Ding arbeitete. Es war so einfach, daß ich mich wunderte, wieso ich nicht schon früher auf diese Lösung gekommen war. Die Wand meines Gefängnisses bestand aus klarstem Glas, und hinter diesem Glas waren diese Leckerbissen aufgebaut. Nach etwa einer Stunde ging das Licht wieder aus, doch diesmal folgte kein Hohngelächter, wenigstens nicht von meinen Peinigern. Dafür lachte ich, um wenigstens ein wenig mit ihnen abzurechnen. Ich fürchte allerdings, mein Lachen glich eher dem hohlen Gelächter eines Irren.
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