»Warte!« rief ich. »Am südlichen Rand dieses großen Forstes liegt das Wrack jenes Thern-Fliegers, der mich über eine lange Strecke hierher gebracht hat. Wenn du mir ein paar Männer zur Verfügung stellst, die es holen und ein paar tüchtige Handwerker, die mir helfen, dann kann ich ihn in zwei Tagen reparieren, Kulan Tith.«
Ich traute dem Jeddak von Kaol nicht ganz und hielt seinen so plötzlichen Gesinnungswandel nicht für recht ernst, doch er überraschte mich damit, daß er ohne zu zögern und voller Eifer auf meinen Vorschlag einging. Sofort stellte er Offiziere und Männer zu meiner Verfügung, und das beseitigte meine letzten Zweifel.
Zwei Tage später stand der Flieger auf einem der Wachttürme und war wieder flugtüchtig. Thuvan Dihn und Kulan Tith hatten mir alle Hilfsmittel zweier Nationen angeboten – Millionen von tüchtigen Kämpfern –, aber mein Flieger konnte außer Wula und mir nur noch eine Person aufnehmen.
Als ich an Bord ging, nahm Thuvan Dihn den Platz neben mir ein. Ich warf ihm einen Blick des Staunens zu, und er wandte sich an den höchsten Offizier, der ihn nach Kaol begleitet hatte.
»Dir vertraue ich mein ganzes Gefolge an«, sagte er. »Du bringst es sicher nach Ptarth. Dort regiert in meiner Abwesenheit mein Sohn. Der Prinz von Helium soll nicht allein in das Land seiner Feinde reisen. Ich habe gesprochen, und du hast mich gehört. Leb wohl!«
8. Durch die Höhlen von Carrion
Unser Destinationskompaß führte uns geradeaus nach Norden, und wir flogen bei Tag und Nacht. Ich hatte ihn, als ich die Festung der Therns verließ, auf den anderen Flieger eingestellt, und diese Einstellung hatte sich nicht verändert.
Anfangs der zweiten Nacht bemerkten wir, daß die Luft merklich kälter wurde. Nun näherten wir uns sehr schnell der arktischen Region.
Ich wußte von den zahlreichen Expeditionen, die ausgesandt worden waren, um dieses unbekannte Land zu erforschen, und deren Erfahrungen mahnten mich zur Vorsicht. Niemals war nämlich ein Flieger zurückgekehrt, der eine größere Strecke hinter der Eisbarriere beflogen hatte, die den südlichen Rand der kalten Zone abschließt. Niemand wußte, was aus all diesen Leuten geworden war, nur daß sie außer Sicht gerieten, nachdem sie in dieses grimmige, geheimnisvolle Land am Pol vorgestoßen waren.
Die Entfernung zwischen Barriere und Pol war nicht allzu groß, und ein schneller Flieger konnte sie an sich in wenigen Stunden zurücklegen. Man nahm deshalb an, daß schreckliche Katastrophen über jene hereinbrachen, die das ›Verbotene Land‹ erreichten, denn so wurde es von den Marsbewohnern der äußeren Welt genannt. Ich nahm daher Geschwindigkeit weg, als wir uns der Barriere näherten, denn ich wollte vorsichtig und bei Tag über diese Eisfelsen wegfliegen, um mich zu orientieren, damit ich nicht in eine Falle rannte, falls es wirklich am Nordpol ein bewohntes Land geben sollte. Ich konnte mir vorstellen, daß es dort vielleicht eine Stelle geben könnte, die Matai Shang eine gewisse Sicherheit vor John Carter, Prinz von Helium, verleihen konnte.
Wir flogen im Schneckentempo und nur ein paar Fuß hoch über dem Boden dahin und ertasteten uns buchstäblich unseren Weg durch die Dunkelheit. Beide Monde waren untergegangen, und die Nacht war kohlschwarz, denn der Himmel war bewölkt. Wolken gibt es auf dem Mars nur in den Zonen an den Polen.
Plötzlich stand wie aus dem Boden gewachsen ein weißer Turm in meinem Weg. Ich warf das Seitensteuer blitzschnell herum und schaltete die Maschine auf Rückwärtsgang, aber es war zu spät, die Kollision war nicht mehr zu vermeiden. Es krachte, als wir auf den Eisturm knallten.
Der Flieger drehte sich halb um sich selbst, und die Maschine blieb stehen; der geflickte Treibstofftank riß auf, und wir stürzten zwanzig Fuß tief auf den Boden.
Zum Glück wurde bei diesem Absturz aus geringer Höhe keiner von uns verletzt, und als wir uns aus den Trümmern des Wracks herausgearbeitet hatten, kam gerade der kleinere Mond wieder über den Horizont herauf. In seinem Licht entdeckten wir, daß wir uns am Fuß einer mächtigen Eisbarriere befanden, die von großen Granitfelsen daran gehindert wird, sich weiter nach Süden auszubreiten. Welch ein Schicksal! Da hatten wir nun diese riesige Strecke ohne Zwischenfall hinter uns gebracht und unsere Reise fast vollendet, und nun waren wir auf der verkehrten Seite der Eisbarriere gestrandet! Ich sah Thuvan Dihn an, doch der schüttelte den Kopf.
Den Rest der Nacht verbrachten wir vor Kälte zitternd in unseren Schlafseiden und Pelzen auf dem Schnee, der den Fuß der Eisbarriere bedeckte.
Bei Tagesanbruch hatten sich meine schwer angeschlagenen Lebensgeister wenigstens ein bißchen wieder zum gewohnten Optimismus durchgerungen, obwohl es, wie ich zugeben muß, recht wenig Grund dafür gab.
»Was werden wir nun tun?« fragte Thuvan Dihn. »Wie sollen wir dieses unzugängliche Eis übersteigen?«
»Erst müssen wir beweisen, daß es unzugänglich ist«, erwiderte ich, »aber das werde ich kaum zugeben, ehe ich nicht den ganzen Globus umkreist habe und abgeschlagen wieder auf diesem Fleck stehe. Je früher wir aufbrechen, desto besser ist es, denn eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Wir werden auch mindestens einen Monat brauchen, um diese kalten, beschwerlichen Kilometer zurückzulegen, die wir vor uns haben.«
Fünf Tage lang wanderten wir über das gefrorene, eisstarrende Land zu Füßen der Eisbarriere. Schreckliche Pelztiere griffen uns bei Tag und Nacht an. Nicht einen Augenblick konnten wir uns vor diesen wilden Dämonen des Nordens sicher fühlen.
Unser gefährlichster und ausdauerndster Feind war der Apt. Das ist eine riesige, weißpelzige Kreatur mit sechs Beinen, von denen vier kurz und dick sind und das Tier mit erstaunlicher Geschwindigkeit über Eis und Schnee tragen. Zwei weitere sind zu beiden Seiten des langen, kräftigen Halses an den Schultern angewachsen und enden in weißen, unbehaarten Händen, mit denen diese Tiere ihre Beute fangen und festhalten.
Kopf und Maul gleichen ungefähr den Flußpferden der Erde, nur daß beim Apt vom Unterkiefer aus zwei mächtige, gebogene Hörner fast bis zur Brust reichen.
Die beiden riesigen Augen riefen meine größte Neugier hervor. Sie reichen vom Schädeldach als große, ovale Flecken bis zu den Wur zeln der Hörner, so daß diese Waffen tatsächlich aus den unteren Teilen der Augen herauswachsen. Und diese Augen bestehen aus etliehen tausend Ozellen.
Das war eine ganz bemerkenswerte Augenkonstruktion für ein Tier das auf grellschimmernden Eis- und Schneeflächen jagt. Da wir einige dieser Tiere erlegten, konnte ich die Augen genauer untersuchen, und da stellte ich fest, daß jeder Ozellus sein eigenes Augenlid hat. Das Tier kann ganz nach Belieben jedes einzelne Facettenauge unabhängig von allen übrigen schließen, wenn ich auch davon überzeugt war, daß dieses Tier den größten Teil seines Lebens in dunklen unterirdischen Höhlen zubrachte. Auf diese Art konnte es sich gegen grelles Tageslicht schützen.
Dann begegneten wir dem größten Apt, den wir je gesehen hatten Dieses Tier maß an den Schultern volle sechs Meter und war so glatt, sauber und schön, daß ich hätte schwören mögen, es sei erst kürzlich ordentlich gebürstet und getrimmt worden.
Er stand mit etwas schiefgelegtem Kopf da und sah uns entgegen, als wir uns ihm näherten. Wir hatten nämlich herausgefunden, daß es eine beträchtliche Zeitverschwendung war, wenn wir diese Tierrier sen, die von dämonischer Wut besessen zu sein scheinen, in einem weiten Bogen umgingen. Selbst wenn sie sich nämlich die Bäuche vollgeschlagen haben und nichts mehr in ihnen Platz hat, töten sie aus Freude am Töten.
Dieser Apt nun griff uns nicht an, sondern schaute uns dumm entgegen, drehte sich um und trottete davon. Das hätte mich ja an sich sehr erstaunt, wäre nicht um seinen Hals ein breiter goldener Kragen gelegen, den ich im dicken Fell schimmern sah.
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