Während er noch sprach, sah er Matai Shang an, doch nicht so, wie ein Gläubiger seinen Hohenpriester anzusehen hätte, sondern als Herrscher, der einem anderen einen strengen Befehl erteilt. Dem Vater der Therns mußte inzwischen klar geworden sein, daß die Enthüllung seines Charakters den Glauben von Kulan Tith bereits beträchtlich geschwächt hatte. Es war nicht mehr viel nötig, um den mächtigen Jeddak zu seinem erklärten Feind zu machen. Trotzdem ist der seit unendlichen Zeiten in den Völkern wurzelnde Aberglauben so stark, daß selbst der große Kaolianer noch zögerte, das letzte Band zu durchschneiden, das ihn noch an der alten Religion festhielt. Matai Shang war wenigstens klug genug so zu tun, als akzeptiere er den Entscheid seines Gastgebers und Gläubigen und versprach, die beiden Sklavinnen am folgenden Morgen in den Audienzsaal zu bringen.
»Jetzt ist es fast Morgen«, sagte er, »und es wäre mir unangenehm, den Schlaf meiner Tochter zu stören, sonst würde ich die beiden sofort herholen, um zu beweisen, daß der Prinz von Helium einem Irrtum unterliegt.«
Diese letzten Worte sprach er mit solchem Nachdruck, der mich wissen ließ, daß er mich auf ganz subtile Art beleidigen wollte, die es mir nicht gestattete, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Ich war schon dabei, gegen jede Verzögerung zu protestieren und zu verlangen, daß die Prinzessin von Helium sofort gebracht werde, als Thuvan Dihn das für unnötig erscheinen ließ.
»Ich würde es vorziehen, meine Tochter sofort zu sehen«, erklärte er.
»Wenn aber Kulan Tith mir versichern will, daß niemand in dieser Nacht den Palast verläßt und daß weder Dejah Thoris noch Thuvia von Ptarth zwischen jetzt und dem Zeitpunkt, da sie vor uns gebracht werden – in diesem Raum und bei Tageslicht – ein Leides geschieht, dann beharre ich nicht darauf.«
»Niemand wird heute nacht den Palast verlassen«, erwiderte der Jeddak von Kaol, »und Matai Shang wird uns versichern, daß den beiden Frauen nichts Böses getan wird. Versprichst du das?«
Vater der Thern nickte. Ein paar Augenblicke später gab Kulan Tith zu verstehen, daß die Audienz beendet sei, und da Thuvan Dihn mich einlud, begleitete ich den Jeddak von Ptarth in seine Gemächer, wo wir bis zum Morgen zusammensaßen. Ich mußte ihm von meinen Erlebnissen auf diesem Planeten berichten und von allem, was seiner Tochter in der Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, zugestoßen war.
Thuvias Vater war ein Mann nach meinem Herzen, und diese Nacht war der Beginn einer Freundschaft, die sich immer mehr vertiefte und die nun der am nächsten kommt, die zwischen Tars Tarkas, dem grünen Jeddak von Thark, und mir besteht.
Die Dämmerung ist auf dem Mars sehr kurz, und im ersten Morgenlicht kamen Boten von Kulan Tith, die uns in den Audienzsaal riefen, wo Thuvan Dihn nach Jahren der Trennung seine Tochter in Empfang nehmen und ich mit der glorreichen Tochter von Helium nach einer fast ununterbrochenen Trennung von zwölf Jahren wieder vereint werden sollte.
Mein Herz klopfte sehr stürmisch, und ich glaubte, jeder im Saal müsse es hören. Es machte mich fast ein wenig verlegen. Meine Arme sehnten sich danach, die unvergleichliche, ewig junge und schöne Geliebte meines Herzens wieder zu umschließen.
Endlich kam der Bote zurück, der Matai Shang hatte holen sollen. Ich verdrehte mir fast den Hals, um den zu sehen, der ihm folgte, aber der Bote kam allein.
Er trat vor den Thron und sprach den Jeddak mit so leiser Stimme an, daß sie kaum zu vernehmen war.
»O Kulan Tith, mächtigster der Jeddaks«, sagte er, »dein Bote kehrt allein zurück, denn als er die Wohnung des Vaters der Therns erreichte, fand er sie leer und ebenso die Gemächer, die seine Suite bewohnte.«
Kulan Tith wurde aschfahl. Thuvan Dihn, der neben mir stand, knurrte bedrohlich. Er hatte den Thron neben seinem Gastgeber nicht eingenommen. Einen Augenblick lang herrschte tödliches Schweigen im großen Audienzsaal des Kulan Tith, Jeddak von Kaol. Dann war dieser es, der den Bann brach.
Er stand von seinem Thron auf und trat von der Estrade herunter zu Thuvan Dihn. In seinen Augen schimmerten Tränen, als er seinem Freund beide Hände auf die Schultern legte.
»O Thuvan Dihn!« rief er. »Daß dir das im Palast deines besten Freundes zustoßen muß! Mit meinen eigenen Händen hätte ich diesem Matai Shang den Hals umgedreht, hätte ich vermutet, was in seinem verrottetem Herzen ist. Vergangene Nacht wurde mein Glaube, der mich ein Leben lang begleitet hat, erschüttert, und jetzt ist er völlig zerbrochen. Aber es ist zu spät. Zu spät!
Um deine Tochter und die Gattin dieses königlichen Kriegers aus den Klauen dieses Erzfeindes zu befreien, brauchst du dich nur aller Hilfsmittel zu bedienen, die eine mächtige Nation zur Verfügung hat. Ganz Kaol steht zu deiner Verfügung. Was willst du, daß wir tun? Sprich nur ein Wort!«
»Zuerst«, schlug ich vor, »müssen wir diejenigen deiner Leute finden, die verantwortlich dafür sind, daß Matai Shang und sein Gefolge entwischen konnte. Ohne Hilfe der Palastwache oder von einigen unter ihnen wäre das ja gar nicht möglich gewesen. Such die Schuldigen, und von denen wirst du eine Erklärung erzwingen müssen, damit wir erfahren, wie sie flohen und wohin sie sich wandten.«
Ehe Kulan Tith noch die nötigen Befehle erteilen konnte, um die Nachforschungen anzustellen, trat ein sehr gut aussehender junger Offizier vor seinen Jeddak und sprach ihn an.
»O Kulan Tith, mächtigster der Jeddaks, ich allein bin verantwortlich für diesen traurigen Irrtum. Ich hatte während der vergangenen Nacht das Kommando über die Palastwache. Ich machte Dienst in einem anderen Teil des Palastes, als die Audienz in den frühen Morgenstunden stattfand, und daher wußte ich nichts von dem, was beschlossen wurde. Als der Vater der Therns mich rief und mir erklärte, es sei dein Wunsch, daß er mit seinem Gefolge eiligst die Stadt verlasse, da sich sein Todfeind hier aufhalte, der nach dem Leben des Heiligen Hekators trachte. Ich tat dann nur, was mich zu tun mein Leben lang gelehrt wurde, ich gehorchte ihm, in dem ich den Herrscher von uns allen erblickte, der selbst mächtiger ist als du, mächtigster aller Jeddaks.
Laß die Strafe dafür allein auf mich fallen, denn ich allein bin schuldig. Die anderen von der Palastwache, die bei der Flucht halfen, taten das nur auf meinen Befehl hin.«
Kulan Tith sah erst mich und dann Thuva Dihn an, als wolle er von uns wissen, was wir von diesem Mann hielten. Der Irrtum war aber so offensichtlich entschuldbar, daß keiner von uns beiden das Herz gehabt hätte, den jungen Offizier für einen Fehler leiden zu sehen, den jeder andere auch gemacht hätte.
»Wie sind sie aus dem Palast weggekommen und welche Richtung haben sie eingeschlagen?« fragte Thuvan Dihn.
»Sie verließen den Palast so, wie sie kamen, mit ihrem eigenen Flieger«, erwiderte der Offizier. »Ich beobachtete sie noch eine Weile nach ihrem Abflug, und ihre Lichter verschwanden in nördlicher Richtung.«
»Wo im Norden könnte Matai Shang Asyl finden?« fragte Thuvan Dihn an Kulan Tith gewandt.
Der Jeddak von Kaol dachte eine ganze Weile scharf nach. Dann hob er den Kopf.
»Ich habe es!« rief er. »Erst gestern ließ Matai Shang etwas von seinem Bestimmungsort durchsickern. Er sprach von einer Menschenrasse, die sich von uns unterscheidet und die weit im Norden wohnt. Sie, sagte er, sei den Heiligen Therns sehr gut bekannt und sie seien auch ergebene Jünger des alten Kultes. Bei ihnen würde er einen dauernden Hafen des Friedens finden, denn dort gebe es keine lügenhaften Häretiker, die ihn verfolgten. Dorthin wird sich Matai Shang gewandt haben.«
»Und in ganz Kaol gibt es keinen einzigen Flieger, in dem ich ihm folgen könnte!« rief ich.
»Wohl aber in Ptarth«, sagte Thuvan Dihn.
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