»Wer bist du?« fragte Carthoris.
»Ich bin Kar Komak, Odwar der Bogenschützen«, erwiderte der Mann. »Mir ist etwas recht Seltsames zugestoßen. Seit langen Jahren ruft mich nun Tario in die Existenz zurück, sobald er die Dienste einer Armee seines Geistes benötigt. Von all seinen Bogenschützen ist es Kar Komak, der am öftesten materialisiert worden war.
Seit längerer Zeit nun konzentrierte sich Tario auf meine Dauermaterialisierung. Er war wie besessen von dem Gedanken, daß ihm dies eines Tages gelingen könnte, denn damit war auch die Zukunft von Lothar sichergestellt. Er behauptete, Materie gebe es nur in der Vorstellung der Menschen und alles sei nur Geist, und so glaubte er auch daran, daß er, wenn er seine Suggestion lange genug wirken lasse, mich eines Tages zu einer immerwährenden Suggestion in den Geistern aller Kreaturen werden lassen könnte.
Gestern gelang es ihm nun, aber zu welcher Zeit! Ihm selbst muß es ebenso überraschend gekommen sein wie mir, als ich mit meiner Horde kreischender Bogenschützen die fliehenden Torquasianer zu ihren ockerfarbenen Ebenen verfolgte.
Dunkelheit senkte sich auf uns, und es kam die Zeit, da wir uns wieder in Luft auflösen sollten, doch da fand ich mich plötzlich ganz allein am Rand einer riesigen Ebene, die jenseits am Fuß niedriger Hügel liegt.
Meine Männer waren schon ins Nichts zurückgekehrt, aus dem sie gekommen waren, aber ich blieb – nackt und unbewaffnet.
Erst verstand ich gar nichts, aber schließlich begriff ich doch, was geschehen war. Tarios lange andauernde Suggestionen hatten sich inzwischen gefestigt, und Kar Komak wurde zu einer Wirklichkeit in der Welt der Menschen; aber mein Harnisch und meine Waffen waren zusammen mit meinen Gefährten ins Nichts zurückgekehrt, und so befinde ich mich nun in dieser mißlichen Lage, daß ich nackt und ohne Waffen in einem feindlichen Land weit entfernt von Lothar bin.«
»Möchtest du nach Lothar zurückkehren?« fragte Carthoris.
»Nein!« erwiderte Kar Komak schnell. »Ich mag Tario ganz und gar nicht. Da ich ein Geschöpf seines Geistes bin, kenne ich ihn nur allzu gut. Er ist grausam und tyrannisch, und einem solchen zu dienen ist nicht nach meinem Geschmack. Jetzt, da ihm meine Dauermaterialisierung gelungen ist, wird er noch unerträglicher sein als sonst, und jetzt wird er weitermachen, bis er ganz Lothar mit seinen Kreaturen vollgestopft hat. Ich bin ja neugierig, ob ihm das mit dem Mädchen von Lothar gelungen ist.«
»Ich dachte, dort gebe es keine Frauen«, sagte Carthoris.
»In einem versteckten Raum im Palast von Tario hat der Jeddak die Suggestion eines schönen Mädchens versteckt«, erwiderte Kar Komak. »Er hofft, diese Frau eines Tages für dauernd materialisieren zu können. Ich habe sie dort gesehen. Sie ist wundervoll! Aber ihretwegen hoffe ich, daß Tario da keinen Erfolg hat – so wie mit mir etwa.
Und jetzt, Roter Mann, habe ich dir von mir eine ganze Menge erzählt. Was ist mir dir?«
Gesicht und Art des Bogenschützen gefielen Carthoris.
Weder Zweifel noch Furcht hatte der Mann erkennen lassen, als er sich näherte, und der junge Prinz von Helium war doch schwer bewaffnet! Und gesprochen hatte er sehr offen und ohne Umschweife.
Deshalb erzählte ihm auch der Prinz wer er sei und welches Abenteuer ihn in dieses ferne Land gebracht habe.
»Gut!« rief Kar Komak. »Ich werde dich also begleiten. Wir beide werden sicher die Prinzessin von Ptarth finden, und dann wird Kar Komak mit dir in die Welt der Menschen zurückkehren, in eine Welt, wie er sie vor langer, sehr langer Zeit gekannt hatte, als die Schiffe des mächtigen Lothar den zornigen Throxus durchpflügten und als die donnernde Brandung an die Barriere dieser jetzt ausgetrockneten und trübseligen Hügel schlug.«
»Was meinst du damit?« fragte Carthoris. »Hast du früher wirklich einmal existiert?«
»Ganz gewiß«, erwiderte Kar Komak. »In meiner Zeit kommandierte ich die Flotte von Lothar, und sie war die mächtigste aller Flotten, die auf den fünf Meeren segelte.
Wo immer Menschen auf Barsoom lebten, war der Name von Kar Komak bekannt und geachtet. In diesen fernen Zeiten lebten die Landrassen friedlich miteinander, und nur die Seefahrer waren Krieger. Jetzt ist die ganze Glorie der Vergangenheit verblichen, und ehe ich dich traf, war ich der Meinung, daß es auf ganz Barsoom nicht eine einzige Person unserer eigenen Art mehr gibt, die lebt, liebt und kämpft wie die alten Seefahrer meiner Zeit.
Ah! Es wird guttun, wieder einmal Menschen zu sehen, richtige, echte Menschen! Für die Leute meiner Zeit, die auf dem Land lebten, hatte ich damals wenig übrig. Sie wagten sich nicht aus ihren ummauerten und befestigten Städten heraus und vertaten ihre Tage mit Spiel. Sie verließen sich ganz auf den Schutz der Seefahrer. Und die armseligen Kreaturen, die übrig geblieben sind wie Tarios und Jav von Lothar und alle übrigen sind noch viel schlimmer als ihre Vorfahren.«
Carthoris zweifelte ein wenig daran, ob es auch klug sei, sich mit einem Fremden zu belasten. Es bestand ja durchaus die Möglichkeit, daß Tario oder Jav sich eine Gemeinheit ausgedacht und ihm diesen Mann geschickt hatten, der möglicherweise auch nichts anderes war als eine Essenz ihrer Suggestionskraft. Wenn ihm auch die Worte und das ganze Gebaren des Bogenschützen aufrichtig geschienen hatten, wenn er auch ein ehrlicher, tapferer Kämpfer sein mochte – Vorsicht war immer angebracht.
Doch Carthoris fand in seinem Herzen weder Zweifel noch Mißtrauen, und so nahm er die Begleitung des nackten Odwar der Bogenschützen an. Zusammen folgten sie nun der Spur von Thuvia und Komal.
Sie führte hinunter zu den ockerfarbenen toten Seegründen. Bis dorthin war der Pfad deutlich zu erkennen, aber im Moos verlor er sich, wie Carthoris erwartet hatte. Da er bisher eindeutig in die Richtung von Aaanthor geführt hatte, gingen sie dorthin weiter.
Es war eine lange, mühsame Reise, und sie waren zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Der Bogenschütze konnte Carthoris nicht recht folgen, denn der junge Prinz hatte ja die irdischen Muskeln seines Vaters, die ihm mit ungeheurer Schnelligkeit über weite Strecken trugen; der kleinere Planet mit seiner wesentlich geringeren Schwerkraft setzt der irdischen Muskelkraft viel weniger Widerstand entgegen. Für einen Mann von Barsoom sind fünfzig Meilen pro Tag eine recht ordentliche Leistung, aber der Sohn von John Carter hätte mit Leichtigkeit hundert oder noch mehr Meilen zurücklegen können, wäre ihm daran gelegen, seinen neugewonnenen Freund im Stich zu lassen.
Immer schwebten sie ihn Gefahr, von herumstreifenden Banden der wilden Torquasianer entdeckt zu werden, und das galt natürlich für die Zeit, ehe sie die Grenze von Torquas hinter sich brachten.
Doch das Glück blieb ihnen treu, und wenn sie auch zweimal in der Ferne größere Gruppen der grünen Horden sahen, so wurden sie selbst jedoch niemals gesehen.
Am Morgen des dritten Tages erblickten sie von Ferne die schimmernden Kuppeln und Türme von Aaanthor. Unterwegs hatte Carthoris natürlich immer scharf Ausschau nach einem Hinweis auf Thuvia oder den großen Banth gehalten, aber sie hatten von beiden nichts gesehen.
An jenem Morgen aber entdeckten sie weit vorne, etwa auf halbem Weg nach Aaanthor, zwei winzige Gestalten, die zur Stadt wanderten. Gespannt beobachteten sie die beiden eine Weile. Dann war Carthoris überzeugt, daß es Thuvia mit dem Banth sein müßte, und er rannte in großen Sprüngen weiter. Kar Komak folgte ihm so schnell er konnte.
Der Prinz von Helium schrie schon von weitem, um des Mädchens Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und endlich blieb sie stehen, drehte sich um und sah ihm entgegen. Neben ihr stand der riesige Banth mit gespitzten Ohren und wartete auf den sich nähernden Mann.
Aus dieser Entfernung konnte Thuvia von Ptarth den Prinzen von Helium sicher noch nicht erkennen, doch sie mußte wohl überzeugt sein, daß es kein anderer sein konnte als er, da sie ohne jedes Zeichen von Furcht auf ihn wartete.
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