Jetzt waren seine Bewegungen plötzlich wieder ganz gezielt.
Mit ausgestrecktem Schwanz und schäumenden Lefzen rannte er schnurgerade auf den Kadaver des Thoats zu, und der andere Banth, der vermutlich das Thoat geschlagen hatte, stand mit den Vordertatzen auf seiner Beute, die er zu verteidigen gedachte.
Der angreifende Banth war keine zwanzig Schritte mehr von dem Kadaver entfernt, als der andere Banth eine schauerliche Herausforderung brüllte und einen mächtigen Satz in die Richtung des anderen tat.
Der Kampf, der sich nun abspielte, ließ selbst einen kriegserfahrenen Barsoomianer vor Ehrfurcht erstarren. Voll unglaublicher Wut und Blutlust gingen sie aufeinander los, röhrten schauerlich und hieben mit den Tatzen. Die beiden blutenden Kreaturen bissen und schlugen solange aufeinander ein, bis sie tot dalagen. Ihre Köpfe und Schultern waren buchstäblich zerfetzt, und ihre mächtigen Kiefer waren noch in den Leib des Gegners verkrampft. Carthoris hatte fasziniert zugeschaut und konnte sich schließlich nur unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft von diesem schauerlichen Anblick losreißen.
Dann lief er schnell zum toten Thoat und suchte nach Anzeichen dafür, ob das Mädchen, wie er fürchtete, das Schicksal des toten Tieres geteilt hatte oder nicht. Nirgends vermochte er jedoch etwas zu entdecken, das ihm Gewißheit gegeben hätte.
Ihm war etwas leichter ums Herz, als er nun ins Tal weiterging, um sich umzuschauen. Er war noch nicht weit gekommen, als er am Boden ein glitzerndes Juwel liegen sah. Er hob es auf und musterte es und entdeckte, daß es der Haarschmuck einer Frau war. Und schließlich fand er darin eingraviert die Insignien des königlichen Hauses von Ptarth.
Doch zu seinem Entsetzen entdeckte er Blut, noch ganz frisches Blut an diesem Schmuckstück.
Carthoris schnürte es die Kehle zu, als er alle Möglichkeiten durchdachte, die dieser Fund in sich schloß. Nein, das Schlimmste konnte und wollte er nicht glauben!
Er hielt es ganz einfach für unmöglich, daß ein so strahlendes, liebenswertes Wesen ein so schreckliches Ende gefunden haben könnte. Und er wollte es um nichts in der Welt glauben, daß die schöne, wundervolle Thuvia überhaupt je zu existieren aufhören könnte.
Er steckte das funkelnde Geschmeide, das Thuvia von Ptarth getragen hatte, an seinen Harnisch, genau an jene Stelle seiner Waffengehänge, unter der sein treues Herz schlug, das große Herz des Prinzen von Helium. Es war ein heiliges Vermächtnis für ihn, das er niemals wieder abzunehmen gedachte.
Dann setzte er seinen Weg in das unbekannte Tal fort.
Er konnte an keiner Stelle weit sehen, da riesige Bäume ihm den Ausblick verwehrten. Gelegentlich zeigten sich dazwischen die Umrisse der hohen Berge, die das Tal auf allen Seiten einschlossen. Im Licht der beiden Monde hatte es den Anschein, als stünden sie in unmittelbarer Nähe, doch er wußte, daß sie sehr weit entfernt waren, daß auch das Tal sehr weitläufig war.
Die halbe Nacht hindurch setzte er seine Suche fort, bis er in der Ferne das schrille Quieken von Thoats hörte. Lauschend blieb er stehen.
Diese Tiere waren eigentlich fast immer zornig und mißgelaunt, aber nun wurde er von ihren Stimmen geleitet.
Lautlos huschte er zwischen den Bäumen weiter, bis er sich schließlich am Rand einer baumlosen Ebene befand, in deren Mitte sich eine mächtige Stadt mit glänzenden Kuppeln und farbenprächtigen Türmen erhob.
Die Stadt war mit einer hohen Mauer umgeben; vor ihr hatte ein großer Trupp grüner Krieger von den toten Seegründen Lager bezogen. Er musterte die Stadt und ihre Umgebung so genau, wie es aus dieser Entfernung möglich war und stellte fest, daß sie nicht eine jener verlassenen Metropolen aus längstvergangener Zeit sein konnte. Aber welche Stadt war das? Seine Studien hatten ihn gelehrt, daß in diesem wenig erforschten Teil von Barsoom die wilden Stämme der Torquasianer überlegen herrschten, und das waren grüne Krieger. Kein Roter Mann hatte bisher einen Fuß auf den Boden ihres Herrschaftsgebietes gesetzt, um dann wieder in die Welt der Zivilisation zurückzukehren.
Die Männer von Torquas hatten eine ungewöhnliche Geschicklichkeit bewiesen, als sie die bisher gebräuchlichen Schußwaffen soweit entwickelten, bis sie zu großen Kanonen geworden waren, die als von fast unfehlbarer Treffsicherheit galten. Damit war es ihnen immer gelungen, die wenigen Angriffe einer kleinen Anzahl Roter Stämme und Nationen, die ihre unmittelbaren Nachbarn waren, abzuwehren, denn früher einmal hatten diese immer wieder versucht, mit ihren Kampfschifflotten das Gebiet zu erkunden.
Carthoris war überzeugt, daß er sich im Torquas-Land befand, aber er hätte nie davon zu träumen gewagt, in diesem Land eine so wundervolle Stadt vorzufinden. Kein Chronist hatte je eine solche Möglichkeit angedeutet, denn die Torquasianer waren wie alle anderen grünen Horden dafür bekannt, daß sie niemals ein festes Gebäude errichteten, sondern nur die zahlreichen verlassenen Städte, die über den ganzen Planeten verstreut zu finden waren, als Standquartiere benützten, wenn sie auf Raub-oder Kriegszüge gingen oder längere Rasten einlegen mußten. Sie waren Nomaden, und zu mehr als den niederen, kunstlosen und mit kleinen Mäuerchen eingefaßten Inkubatoren hatten sie es als Baumeister nicht gebracht. Die bauten sie auch nur deshalb, weil sie ihren Eiern Schutz vor der heißen Sonne gewähren mußten.
Das Lager der Grünen dehnte sich weit nach links und rechts aus und schien die ganze Stadt zu umschließen. Es lag etwa fünfhundert Yards von der Stadtmauer entfernt. Zwischen dem Lager und der Mauer gab es nichts, was irgendwie an Barrikaden, Wälle oder dergleichen erinnerte und vor Gewehr- oder Kanonenkugeln hätte schützen können. Im Licht der aufgehenden Sonne erkannte Carthoris viele Gestalten, die sich auf der hohen Mauerkrone und auf den dahinterliegenden Hausdächern bewegten.
Er war überzeugt, daß es Menschen waren wie er, nur konnte er wegen der großen Entfernung nicht feststellen, ob es Rote Menschen waren.
Fast unmittelbar nach Sonnenaufgang begannen die grünen Horden auf die kleinen Gestalten zu schießen, die sich auf der Mauerkrone und den Hausdächern befanden. Zu Carthoris’
Staunen wurde das Feuer nicht erwidert, aber bald hatte der letzte Stadtbewohner Deckung vor der Treffsicherheit der grünen Männer gesucht, und innerhalb der Stadtmauern war kein Lebenszeichen mehr zu erkennen.
Carthoris hielt sich noch immer im Schutz der Bäume, welche die Ebene begrenzten und bewegte sich hinter dem Rücken der Belagerer weiter, denn er hoffte entgegen aller Hoffnung, Thuvia von Ptarth zu finden, da er nicht annehmen konnte und wollte, sie könne tot sein.
Es war ein Wunder, daß man ihn nicht entdeckte, denn die grünen Krieger ritten ununterbrochen auf ihren Thoats hin und her, vom Lager zum Wald und wieder zurück. Aber der Tag ging weiter, und nichts Entscheidendes geschah, bis er gegen Sonnenuntergang einem mächtigen Tor in der westlichen Stadtmauer gegenüberstand.
Hier schien sich die Hauptstreitmacht der Belagerer versammelt zu haben. Eine große Plattform war hier aufgebaut, und darauf saß breit und wuchtig ein riesiger grüner Krieger, der von zahlreichen seiner Leute umgeben war.
Das mußte also der bekannte, wenn nicht berüchtigte Hortan Gur, Jeddak von Torquas sein, der wilde alte Riese, dieses schreckliche Ungeheuer der südwestlichen Hemisphäre, denn nur für einen Jeddak wurde eine Plattform errichtet, wenn die grünen Horden von Barsoom irgendwo auf dem Marsch ein Lager bezogen.
Noch während der junge Prinz aus Helium die Plattform beobachtete, drängte sich ein grüner Krieger zu seinem Herrscher durch. Er zerrte einen Gefangenen mit sich, und als die Krieger vor der Plattform zur Seite traten, um diesen Mann durchzulassen, konnte er einen flüchtigen Blick auf ihn tun.
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