Sein riesiges Thoat war aber weit davon entfernt, müde zu sein, obwohl Thar Ban es doch für gut hielt, es ein wenig äsen zu lassen.
Das ockerfarbene Moos wächst in den geschützten Höfen der verlassenen Städte, wo der Boden viel besser ist als der Sand der toten Seegründe, wesentlich höher und üppiger, und es ist auch sehr wichtig, daß die Pflanzen wenigstens für einen Teil des Tages Schutz vor der sengenden Sonne haben.
In den zarten Stengeln dieser äußerlich so trockenen Pflanze befindet sich genug Flüssigkeit. Die mächtigen Thoats können in ihren riesigen Leibern soviel Feuchtigkeit speichern, daß sie monatelang ohne Wasser auskommen können, und tagelang brauchen sie nicht einmal das bißchen Feuchtigkeit, das ihnen dieses ockerfarbene Moos spendet.
Als Thar Ban lautlos die breite Avenue entlangritt, die von den ehemaligen Kais von Aaanthor zum ungeheuer großen Stadtplatz führt, sahen er und sein Thoat aus, als stammten sie aus einer Traumwelt, so grotesk wirkte der Mann auf dem Tier, so lautlos tappten die riesigen, weichen Pfoten über das kurze Moos, das auf den Platten des alten Straßenpflasters wuchs.
Der Mann war ein großartiges Exemplar seiner Rasse. Er maß von der Sohle bis zum Schädeldach volle fünfzehn Fuß. Seine glatte grüne Haut schimmerte im Licht des nahen Mondes, dessen Strahlen sich in den Edelsteinen seines Harnisches fingen. Seine vier muskulösen Arme waren mit schweren, zahlreichen Reifen und Ornamenten geschmückt, und seine nach oben gebogenen Stoßzähne, die dem Unterkiefer entsprangen, schimmerten weiß und furchterregend.
An der Flanke seines Thoats hingen die lange Radiumflinte und der schlanke Vierzigfußspeer mit der scharfen Metallspitze. Ihm selbst hingen von der Hüfte ein Langschwert, ein Kurzschwert und einige kleinere Hilfswaffen.
Seine vorstehenden Augen und die antennenähnlichen Ohren drehten sich unablässig in alle Richtungen, denn Thar Ban befand sich noch im Feindesland. Auch er fürchtete die großen weißen Affen, die, wie John Carter immer sagte, die einzigen Kreaturen waren, welche den wilden, grausamen Kriegern der toten Seegründe eine Andeutung dessen einjagen konnten, was man sonst Angst nennt.
Als sich der Reiter dem Stadtplatz näherte, zügelte er plötzlich sein Tier. Seine schmalen Röhrenohren richteten sich nach vorne.
Sie hatten ein verdächtiges Geräusch aufgenommen. Stimmen!
Und wo es außerhalb von Torquas Stimmen gab, waren auch Feinde. Die ganze weite Welt Barsooms enthielt nichts als Feinde der wilden Torquasianer.
Thar Ban stieg ab. Er hielt sich im Schatten eines großen Monolithen, wie sie die Avenuen und Kais des schlafenden Aaanthor begrenzen, und so huschte er zum Platz. Ihm folgte wie ein Hund sein schieferfraues Thoat; dessen weißer Bauch war unter dem mächtigen Rumpf nicht zu sehen, und die hellgelben Füße fielen im ockerfarbenen Moos nicht auf.
Auf der Platzmitte sah Thar Ban die Gestalt einer Roten Frau. Ein Roter Krieger sprach mit ihr, aber der drehte sich um und kehrte zu einem Palast am gegenüberliegenden Platzrand zurück.
Thar Ban beobachtete ihn, bis er im gähnenden schwarzen Portal verschwunden war. Das hier war eine Gefangene, die sich bezahlt machen würde! Selten einmal fiel eine Frau der Erbfeinde in die Hände der grünen Krieger. Thar Ban leckte sich genießerisch die dünnen Lippen.
Thuvia von Ptarth ließ den Schatten hinter dem Monolithen an der Einmündung der Avenue nicht aus den Augen. Sie hoffte, daß es nur ein Fantasiegebilde ihrer überanstrengten Sinne sein möge.
Aber nein! Jetzt sah sie ganz klar und deutlich, wie sich der Schatten bewegte. Er kam hinter der schützenden Ersitsäule vor.
In diesem Moment warf die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über den Platz und erfaßte das huschende Wesen. Es war ein riesiger grüner Krieger!
Er rannte ihr entgegen. Sie schrie und wandte sich zur Flucht, aber sie hatte kaum die ersten Schritte in die Richtung des Palastes getan, als eine riesige Hand sich auf ihren Arm legte.
Sie wurde herumgewirbelt und halb getragen, halb gezerrt und auf ein riesiges Thoat gehoben, welches an der ockerfarbenen Moosdecke rupfend langsam vom Platzrand her kam.
Da sie von oben einen sirrenden Laut hörte, schaute sie hinauf und sah einen schnellen Flieger, der sich ziemlich rasch auf den Boden herabließ. Kopf und Schultern eines Mannes lehnten weit über die Reling, aber das Gesicht des Mannes lag in tiefem Schatten, so daß sie ihn nicht erkannte.
Nun kamen von hinten her die schrillen Schreie ihrer Entführer.
Wie irr rasten sie hinter dem drein, der es gewagt hatte, die Person zu entführen, die vorher sie entführt hatten.
Als Thar Ban bei seinem Thoat ankam, riß er seine lange Radiumflinte aus dem Halter und schoß dreimal auf die daherrennenden Roten Männer.
Diese Marswilden sind als Schützen von einer unglaublichen Treffsicherheit. Dreimal schoß Thar Ban, und drei Rote Krieger fielen tot um, als drei Projektile in ihren Eingeweiden explodierten.
Die anderen blieben stehen. Keiner von ihnen wagte zurückzuschießen, weil sie Angst hatten, das Mädchen zu verwunden.
Dann sprang Thar Ban mit einem gewaltigen Satz auf sein Thoat. Thuvia von Ptarth hatte er noch immer fest in seinen Armen, und mit einem gellenden Triumpfschrei jagte er zwischen den düsteren Palästen des vergessenen Aaanthor die Avenue entlang.
Carthoris’ Flieger hatte noch nicht den Grund berührt, als er auch schon absprang, um hinter dem schnellen Thoat dreinzurennen, dessen acht lange Beine das Tier mit der Geschwindigkeit eines Eilzuges bewegten. Aber die Männer von Dusar, die noch am Leben geblieben waren, hatten nicht die Absicht, sich eine so wertvolle Gefangene entwischen zu lassen.
Das Mädchen hatten sie ja nun verloren, und es würde ihnen ganz bestimmt nicht leicht fallen, Astok die Sache begreiflich zu machen. Er könnte aber versöhnlicher gestimmt werden, wenn sie ihrem Herrn statt der Prinzessin von Ptarth den Prinzen von Helium bringen könnten.
Die drei restlichen Entführer rannten also hinter Carthoris drein, schwangen ihre Langschwerter und schrien ihm zu, er solle sich ergeben. Ebenso gut hätten sie jedoch dem Mond Thuria befehlen können, nicht ununterbrochen über den Himmel von Barsoom zu rasen, denn Carthoris von Helium war der wahre Sohn des Kriegsherrn vom Mars und seiner unvergleichlichen Dejah Thoris!
Carthoris hatte sein Langschwert schon in der Hand gehabt, als er vom Deck seines Fliegers heruntersprang. In dem Augenblick also, in dem er die Drohung der drei Roten Kriege? erkannte, wirbelte er zu ihnen herum und stellte sich ihnen, wie nur ein John Carter es hätte tun können.
So blitzschnell war sein Schwert, so kraftvoll und lebendig reagierten seine halbirdischen Muskeln, daß einer seiner Gegner schon am Boden lag und mit seinem Blut das ockerfarbene Moos färbte, kaum daß er einen ersten Schritt auf Carthoris zu getan hatte.
Auch die anderen beiden Dusarianer drangen auf den Prinzen von Helium ein. Drei Langschwerter klirrten aneinander und funkelten im Licht des nahen Mondes, bis die großen weißen Affen aus ihrem Schlaf erwachten und zu den hohen Fenstern tappten, um das blutige Schauspiel zu beobachten.
Dreimal berührte eine Schwertspitze Carthoris, so daß ihm das Blut über das Gesicht lief, ihn blendete und seine breite Brust färbte. Mit der freien Hand wischte er den Schweiß und das Blut von den Augen, und um seine Lippen lag dasselbe Lächeln, mit dem sein Vater in den Kampf ging. Immer wieder sprang er seine Gegner an, und er wurde nicht müde, sein Schwert gegen sie zu schwingen.
Mit einem einzigen Hieb trennte er dem einen den Kopf vom Rumpf, so daß der andere, den sicheren Tod vor Augen, falls er bliebe, sich umwandte und zum Palast floh, aus dem er gekommen war.
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