»Das macht keinen Unterschied. Sie haben auf der Treppe Drähte verlegt. Wenn jemand hier hochkommt, klingelt in Andrews Zimmer Alarm. In ein paar Minuten sind sie auf dem Weg hierher.«
Mark klemmte sich das Bild unter den Arm, dann noch eins und noch eins. »Warum bist du hier?«
»Um dich zu warnen.«
»Warum? Warum hast du angenommen, ich würde zurückkommen?«
»Ich weiß nicht, warum. Ich will es auch nicht wissen. Ich habe unten geschlafen, in der Bibliothek. Du hast nicht genug Zeit, alle mitzunehmen«, sagte er beschwörend, als Mark weitere Bilder holte. »Sie sind bald hier. Sie glauben, du hättest versucht, die Mühle niederzubrennen, den Fluß zu verschütten und die Clones in den Tanks zu vergiften. Diesmal werden sie kurzen Prozeß mit dir machen.«
»Ich habe nicht versucht, Clones zu töten«, sagte Mark. »Ich wußte, daß der Computer Alarm geben würde, bevor das verseuchte Wasser in den Kreislauf geriete. Wie haben sie es herausgefunden?«
»Sie haben einige der Jungen ins Wasser geschickt, und ein paar sind tatsächlich auf der anderen Seite herausgekommen. Danach war es nicht mehr schwer. Vier sind bei dem Versuch umgekommen«, sagte er, ohne daß der Klang seiner Stimme sich veränderte.
»Das tut mir leid«, sagte Mark. »Das wollte ich nicht.«
Barry zuckte die Achseln. »Du mußt jetzt gehen.«
»Ich bin bereit.«
»Du wirst da draußen zugrunde gehen«, sagte Barry mit derselben toten Stimme. »Du und die Kinder, die du mitgenommen hast. Sie können sich nicht fortpflanzen. Ein oder zwei Mädchen sind vielleicht fruchtbar, aber was dann?«
»Ich habe einige Frauen aus dem Brutlager entführt«, sagte Mark.
Barry erschrak, konnte es nicht glauben. »Wie?«
»Egal wie. Ich habe sie. Und wir werden es schaffen. Ich habe es sehr sorgfältig geplant. Wir schaffen es.«
»Dafür also das Ganze?« sagte Barry. »Das Feuer, der Damm, das verseuchte Wasser, die Saatkörner, die du gestohlen hast? Das war der Sinn des Ganzen?« fragte er; diesmal blickte er Mark nicht an, sondern blickte suchend über die verbleibenden Gemälde, als läge in ihnen die Antwort beschlossen. »Du hast sogar Tiere«, sagte er.
Mark nickte. »Sie sind in Sicherheit. In ein oder zwei Wochen hole ich sie.«
»Sie kriegen dich«, sagte Barry langsam. »Sie halten dich für eine Gefahr, und sie werden nicht ruhen, bis sie dich getötet haben.«
»Sie können uns nicht finden«, sagte Mark. »Die, die das könnten, sind in Philadelphia. Bis sie zurück sind, wird es nirgendwo mehr Spuren von uns geben.«
»Hast du daran gedacht, wie es sein wird?« rief Barry, plötzlich die eiserne Beherrschung verlierend, die er bis jetzt aufrechterhalten hatte. »Sie werden dich fürchten und hassen! Es ist nicht fair, ihnen solche Leiden zuzumuten. Und sie werden dich dafür hassen. Sie werden da draußen sterben! Einer nach dem anderen, und jeder Tod wird den Haß der Überlebenden steigern. Zuletzt werdet ihr alle eines gemeinen und elenden Todes sterben.«
Mark schüttelte den Kopf. »Wenn wir es nicht schaffen«, sagte er, »dann wird es überhaupt keine Menschen auf Erden mehr geben. Die Pyramide kippt. Die große weiße Mauer drückt gegen sie, und sie kann nicht standhalten.«
»Und wenn ihr es schafft, dann nur als Barbaren. Es wird tausend, fünftausend Jahre dauern, bis der Mensch wieder aus dem Pfuhl klettert, in den du ihn ziehst. Tiere werdet ihr sein!«
»Und ihr werdet tot sein.« Marks Blicke überflogen den Raum, dann eilte er zur Tür. »Du wirst nicht verstehen, was ich jetzt sage. Niemand außer mir kann es verstehen. Ich liebe dich, Barry. Du bist mir fremd, du bist anders als ich, nicht menschlich. Ihr alle. Aber ich habe sie nicht zerstört, als ich es tun hätte können und wollen, weil ich dich geliebt habe. Leb wohl, Barry.«
Einen Augenblick noch sahen sie einander an, dann drehte sich Mark um und lief die Treppe hinunter. Hinter sich hörte er etwas brechen und zersplittern, aber er hielt nicht an. Er verließ das Haus durch die Hintertür und war jenseits des Dickichts auf dem Feld, als er Andrew und seine Begleiter herankommen hörte. Mark blieb stehen und horchte.
»Er ist noch oben«, sagte jemand. »Ich kann ihn sehen.«
Barry hatte die Bretter vor dem Fenster auf gebrochen, so daß man ihn, oder vielmehr eine Gestalt, sehen konnte. Er wollte ihm einen Vorsprung verschaffen, begriff Mark; geduckt rannte er zum Fluß.
»Das war also der Sinn des Ganzen«, flüsterte Barry wieder, und nun wandte er sich dem hölzernen Kopf zu, der Molly war. Er hielt den Kopf zwischen seinen Händen und setzte sich vor das freigelegte Fenster, die Lampe hinter sich. »Das war also der Sinn des Ganzen«, sagte er noch einmal und fragte sich, ob Molly immer schon gelächelt habe. Mit all seinen Aktionen — dem Feuer bei der Mühle, mit dem er von der Sprengung ablenkte, die den Wasserlauf verschüttete; der Verunreinigung des Wassers — hatte Mark nur eins bezweckt: das Labor lahmzulegen, damit das Verpflanzen der Clone-Keime in die Brutfrauen verschoben werden mußte, denn er brauchte sie für seine Zwecke, konnte aber erst im Frühjahr mit ihnen in die Wildnis aufbrechen, sonst hätte er nicht die Chance gehabt, sie durchzubringen. Barry blickte nicht auf, als er Feuer im Hause knistern hörte, nur drückte er den geschnitzten Kopf enger an seine Brust, als wolle er ihn beschützen.
Weit weg auf dem Fluß stand Mark auf dem Deck des Dampfbootes; er beobachtete das Feuer und weinte. Als das Boot gegen einen Stein stieß, heizte er die Maschine und setzte die Reise flußabwärts mit ihrer Kraft fort. Als er den Shenandoah erreichte, bog er nach Süden und folgte ihm, bis das große Boot nicht weiter konnte. Der Tag dämmerte schon. Er legte die Kleider zurecht, die er aus dem Frauenquartier mitgenommen hatte, und stellte aus den Vorräten im Boot Pakete zusammen; sie würden brauchen können, was sie nur irgend tragen konnten.
Sobald die Frauen aufwachten, würde er ihnen Maisbrot und Tee reichen und sie dann an Land bringen. Er würde das Boot zur Mitte des Flusses bringen und es stromabwärts treiben lassen. Sie brauchten es im Tal. Dann würden er und die Frauen aufbrechen und durch die Wälder nach Hause ziehen.
Epilog
Mark hielt sich hinter Bäumen, als er sich der Gratlinie der Hügel über dem Tal näherte. Noch einmal, dachte er; nach zwanzig Jahren. Zwanzig Jahre, seit er es zuletzt gesehen hatte. Möglich, daß sie ein ausgeklügeltes Alarmsystem verlegt hatten, aber er glaubte es nicht. Jedenfalls nicht hier oben. Nach allem, was er sah, war hier oben seit vielen Jahren niemand im Wald gewesen. Er rannte die letzten paar Meter zum Grat, verbarg sich hinter einem Geflecht wilden Weins und blickte hinunter. Lange Zeit rührte er sich nicht, atmete kaum, und dann stieg er langsam den Hang hinunter.
Kein Zeichen von Leben. Espen wuchsen in den Feldern, Weiden drängten sich am Ufer. Wacholder und Fichten, die einst regelmäßig gestutzt worden waren, waren hoch aufgeschossen und verdeckten fast die Gebäude. Die Rosenhecke war zum Gestrüpp verwildert. Ein plötzliches Kreischen, das fast menschlich klang, erschreckte ihn, und er fuhr herum. Ein Dutzend großer Vögel flatterte in die Luft und flog linkisch zum nächsten Gebüsch. Die Hühner waren wild geworden, dachte er verwundert. Und das Vieh? Er sah weder Rinder noch Schafe, aber sie würden im Wald sein, an den Flußufern, in der ganzen Gegend zerstreut.
Er ging weiter. Wieder blieb er stehen. Eines der Dormitorien war verschwunden. Spurlos. Ein Tornado, dachte er, und nun sah er den Pfad der Zerstörung, den die Zeit verwischt hatte; ein Pfad, auf dem keine Häuser mehr waren, keine großen Bäume, nur junge Erlen, Espen und Gräser, die den Boden festhalten würden, bis die Fichten vom Hügel heranrückten, bis Ahorn- und Eichensamen hier auf gastfreundlichem Boden landeten und Wurzeln schlugen. Er folgte der Schneise, die der Tornado geschlagen hatte, und je weiter er kam, desto überzeugter war er, daß seine Vermutung stimmte. Aber ein Sturm konnte nicht den Untergang der ganzen Gemeinschaft verursacht haben. Nicht allein ein Sturm. Dann sah er die Ruine der Mühle und blieb stehen.
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