Andrew hatte recht, und er, Barry, konnte an der Situation nichts ändern. Wenigstens würden die Unglücksfälle, wenn Mark dafür verantwortlich war, aufhören, und für eine Weile wäre Friede im Tal. Aber an dem Tag, an dem Mark mit seiner Gruppe aufbrach, entdeckte man, daß die Einzäumung der Weiden an einer entlegenen Stelle zusammengebrochen war; das Vieh war hinausgewandert und hatte sich zerstreut. Bis auf zwei Kühe, deren Kälber und einige Schafe konnten alle Tiere wieder zusammengetrieben werden. Und dann hörten die Unfälle auf, genau wie Andrew es prophezeit hatte.
Täglich wurde der Wald dichter, die Bäume stämmiger. Mark wußte, daß dies einst ein Naturschutzpark gewesen war, in dem kein Holz geschlagen werden durfte, aber selbst ihn versetzte die Größe der Bäume in ehrfürchtiges Staunen; einige waren so groß, daß ein Dutzend Kinder, die einander an den Händen hielten, sie kaum umfassen konnten. Er nannte ihnen die Namen derer, die er kannte: Weiße Eiche, Silbertanne, Ahorn, Birke ... Die Tage waren warm, während sie gen Süden wanderten. Am fünften Tag bogen sie nach Südwesten ab, und niemand stellte in Frage, was er tat. Was ihnen befohlen wurde, taten sie rasch und fröhlich, ohne zu fragen. Sie waren alle kräftig, aber ihre Rucksäcke waren schwer, und sie waren noch sehr jung, und es schien Mark, als kröchen sie dahin, wo er am liebsten gelaufen wäre; aber er trieb sie nicht zu sehr an. Sie mußten in guter Verfassung sein, wenn sie ihr Ziel erreichten. Am frühen Nachmittag des zehnten Tages ließ er anhalten, und wartend blickten sie ihn an.
Mark hielt Ausschau über das weite Tal. Von seinem Kartenstudium wußte er, daß es hier war, aber er hatte nicht ahnen können, wie schön es war. Auf beiden Seiten eines Flüßchens erhob sich das Land hoch genug, um nicht überflutet werden zu können, aber nicht so steil, daß die Wasserbeschaffung schwierig sein würde. Dies war der Rand des Nationalforsts; einige der Bäume waren so groß wie die Giganten, an denen sie nun seit Tagen vorübergezogen waren, andere waren jünger und würden das Holz spenden, das sie für ihre Häuser brauchten. Es gab ebenes Gelände, das zu Feldern bestellt werden konnte, und Weideland für das Vieh. Er seufzte, und als er sich seiner Gefolgschaft zuwandte, lächelte er übers ganze Gesicht.
Den Rest des Nachmittags und den nächsten Tag ließ er sie vorläufige Unterkünfte bauen; er schritt die Umrisse der Gebäude ab, die sie erbauen, markierte die Bäume, die sie fällen und als Bau- und Brennmaterial benutzen sollten, er zog die Grenzen der Flächen, die zu roden waren; dann, als er sich darauf verlassen konnte, daß sie bis zu seiner Rückkehr genug zu tun hatten, sagte er ihnen, daß er Weggehen und in ein paar Tagen wiederkommen werde.
»Aber wo gehst du hin?« fragte einer von ihnen und blickte sich um, als ob er sich zum erstenmal frage, was sie denn eigentlich hier täten.
»Das ist ein Test, nicht wahr?« sagte ein anderer und lächelte.
»Ja«, sagte Mark ernst. »Man könnte es einen Test nennen. In der Kunst des Überlebens. Habt ihr irgendwelche Fragen zu meinen Anordnungen?« Keine Fragen. »Ich bringe euch eine Überraschung mit«, sagte er, und sie waren es zufrieden.
Leichten Schrittes trottete er durch den Wald zum Fluß, dann folgte er dem Fluß nordwärts, bis er das Kanu fand, das er Wochen zuvor im Dickicht versteckt hatte. Alles in allem brauchte er vier Tage für den Rückweg zum Tal. Mehr als zwei Wochen war er weggewesen, und er hatte Angst, daß es vielleicht schon zu spät war.
Er kam von einem der Hügel über dem Tal und versteckte sich in einem Gebüsch, um zu beobachten und auf die Dunkelheit zu warten. Am späten Nachmittag tauchte das Schaufelradboot auf, und als es angelegt hatte, schwärmten Leute heraus und bildeten eine lange Kette; von einem zum anderen ging die Fracht, ans Ufer und hinein ins Bootshaus. Als die Lichter angingen, kroch Mark aus dem Gebüsch. Er machte sich auf den Weg zum alten Haus, in dem er die Medikamente und Drogen versteckt hatte. Auf halbem Wege hielt er inne und kniete nieder. Hundert Meter zu seiner Rechten war der Höhleneingang; der Boden war zertrampelt, die Öffnung zugeschüttet worden. Sie hatten seinen Eingang gefunden und ihn unpassierbar gemacht.
Er wartete, bis er sicher war, daß niemand unter ihm das Haus beobachtete, und dann legte er vorsichtig das letzte Wegstück zurück, kroch bäuchlings unter den Büschen hindurch, die das Haus umgaben, und glitt über die Kohlenrutsche in den Keller. Er brauchte kein Licht, um das Paket zu finden, das er Monate zuvor hinter gelockerten Ziegeln versteckt hatte. Hier war auch die Flasche Wein, die er versteckt hatte. Mit flinken Bewegungen warf er die gestohlenen Schlafpillen in den Wein und schüttelte ihn kräftig.
Es war dunkel, als er den Hang wieder hinaufkletterte und zum Quartier der Brutfrauen eilte. Er mußte dort sein, nachdem sie sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten, aber bevor sie einschliefen. Er kroch auf das Gebäude zu und wartete vor einem Fenster, bis die Nachtschwester ihre Runde mit dem gelben Tee machte. Als sie das Zimmer verlassen hatte, in dem Brenda und fünf andere Frauen schliefen, klopfte es leise ans Fenster.
Brenda grinste, als sie ihn sah. Rasch öffnete sie das Fenster, er kletterte hinein und flüsterte: »Mach das Licht aus. Ich habe Wein. Wir machen eine Party.«
»Sie ziehn dir die Haut ab, wenn sie dich erwischen«, sagte eine der Frauen. Die Aussicht auf eine Party vergnügte sie, und schon waren sie dabei, die Matte auszurollen, und eine von ihnen band sich ihr Haar hoch.
»Wo sind Wanda und Dorothy?« fragte Mark. »Sie sollen kommen, und noch ein paar andere. Die Flasche ist groß.«
»Ich hole sie«, flüsterte Loretta und unterdrückte ihr Lachen. »Warte, bis die Schwester weg ist.« Sie spähte hinaus, schloß die Tür wieder und drückte den Finger auf den Mund. Nach ein paar Minuten guckte sie wieder und schlüpfte dann hinaus.
»Vielleicht können wir beide nach der Party ein bißchen zusammen rausgehen?« sagte Brenda und rieb ihre Wange gegen die seine.
Mark nickte. »Habt ihr Gläser?«
Jemand brachte Gläser, und er verteilte den Wein. Andere kamen hinzu, und nun waren elf von den jüngeren Frauen auf der Matte, tranken Wein und bemühten sich, ihr Kichern und Lachen zu dämpfen. Als sie anfingen zu gähnen, zogen sie sich in ihre Betten zurück, und diejenigen, die aus anderen Zimmern gekommen waren, streckten sich auf der Matte aus. Mark wartete, bis sie alle fest schliefen, dann ging er lautlos.
Er ging zur Bootslände, vergewisserte sich, daß niemand an Bord des Raddampfers geblieben war, ging dann zurück und begann, die Frauen, wie Kokons in ihre Decken gehüllt, eine nach der anderen hinauszutragen. Auf seinem letzten Gang sammelte er so viele Kleider zusammen, wie er finden konnte, schloß das Fenster, durch das er eingestiegen war, und kehrte, vor Erschöpfung keuchend, zum Boot zurück.
Er löste die Halteseile und ließ das Boot mit der Strömung treiben; mit einem Ruder hielt er es nahe am Ufer. Weiter flußabwärts, in der Nähe des alten Hauses, angelte er mit dem Bootshaken nach einem Felsen, zog das Boot ans Ufer und band es fest. Nur das noch, dachte er; er war jetzt sehr müde. Nur das noch.
Er lief zum alten Haus, rutschte in den Keller, eilte die Treppe hinauf. Ohne ein Licht zu benützen, ging er geradewegs zu den Bildern und hob das erste auf. Hinter ihm flammte ein Streichholz auf, und Mark erstarrte.
»Warum bist du zurückgekommen?« fragte Barry. »Warum bist du nicht da draußen in den Wäldern geblieben, wo du hingehörst?«
»Ich bin nur gekommen, meine Sachen zu holen«, sagte Mark und drehte sich um. Barry war alleine. Er entzündete die Öllampe. Mark deutete auf das Fenster, und Barry schüttelte den Kopf.
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