»Was?«
»Du sollst das Aushängeschild abgeben. Die Hälfte deiner Zeit wirst du in großen Räumen mit Leuten sprechen, die dich erwartungsvoll anlächeln, dir alles ins Gesicht sagen, was du hören willst, und dann hinter deinem Rücken tratschen. Man wird dich als eines von Marges Haustieren bezeichnen, als einen von ihren Zöglingen.«
»Meinst du wirklich?«, fragte Kaye.
»Du wirst glauben, dass du tolle Arbeit leistest, und eines Tages wird dir dann klar, dass du die ganze Zeit nach ihrer Pfeife getanzt hast und sonst gar nichts. Sie glaubt, die Welt gehöre ihr und alles gehe nach ihrer Nase. Und dann wird jemand kommen müssen, der dich rettet, Kaye. Ob ich das jemals sein könnte, weiß ich nicht. Und ich hoffe für dich, dass es niemals ein zweiter Saul sein wird.«
»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, danke«, sagte Kaye leise, aber auch mit einem Anflug von Trotz. »Aber ich lasse mich auch von meinem Instinkt leiten. Und außerdem will ich herausfinden, was die Herodes-Grippe eigentlich ist. Das wird nicht billig. Ich denke, mit den CDC hat sie Recht. Und wenn wir … die Arbeit am Eliava-Institut abschließen können? Für Saul? Im Andenken an ihn?«
Kushners Anspannung ließ nach. Sie lehnte sich gegen die Wand und schüttelte den Kopf. »Na gut.«
»Du redest von Cross, als sei sie der Teufel persönlich«, sagte Kaye.
Kushner lachte. »Der Teufel nicht gerade. Aber auch nicht meine Kragenweite.«
Die Küchentür öffnete sich, und Debra Kim kam herein. Sie blickte nervös zwischen den beiden hin und her und sagte dann bittend: »Kaye, eigentlich will sie dich und nicht mich. Wenn du nicht mit einsteigst, wird sie Mittel und Wege finden, damit meine Arbeit den Bach runtergeht …«
»Ich mache es«, sagte Kaye. »Aber um Himmels willen, ich kann jetzt nicht sofort weg. Das Haus …«
»Darum wird Marge sich schon kümmern«, sagte Kushner, als müsste sie einer begriffsstutzigen Studentin bei einem Thema auf die Sprünge helfen, das ihr selbst keinen Spaß macht.
»Ganz bestimmt«, bestätigte Kim eilig, und ihr Gesicht heiterte sich auf. »Sie ist einfach toll.«
29
Primatenlabor der Taskforce, Baltimore
Februar
»Morgen, Christopher! Wie geht’s Europa?« Marian Freedman hielt die Tür an der obersten Betonstufe auf. Durch die Straße fegte ein eiskalter Wind. Dicken zog seinen zerknitterten Schal hoch und rieb sich vielsagend ein tränendes Auge, während er die Treppe hochstieg.
»Ich bin noch die Genfer Uhrzeit gewohnt. Schöne Grüße von Ben Tice.«
Freedman salutierte forsch. »Europa meldet sich zur Stelle«, rief sie dramatisch. »Wie geht’s Ben?«
»Er ist todmüde. Letzte Woche haben sie die Hüllproteine untersucht. Schwieriger als sie dachten. SHEVA kristallisiert nicht.«
»Er hätte mich fragen sollen«, sagte Marian.
Dicken legte Schal und Mantel ab. »Hast du heißen Kaffee?«
»Im Aufenthaltsraum.« Sie führte ihn durch einen Flur, dessen Wände in einem bizarren Orange gestrichen waren, und dirigierte ihn nach links durch eine Tür.
»Was macht das Gebäude?«
»Schrecklich. Hast du gehört, dass die Bauaufsicht Tritium in den Rohrleitungen gefunden hat? Das hier war letztes Jahr noch eine Anlage zur Aufarbeitung von Krankenhausabfällen, aber irgendwie ist Tritium in die Leitungen geraten. Wir hatten keine Zeit, abzulehnen und wieder auf die Suche zu gehen. Verrückter Markt! Also … Geigerzähler und Nachrüstung haben zehn Riesen gekostet. Außerdem müssen wir jeden zweiten Tag einen Inspekteur vom Nuklearrat mit seinem Schnüffelapparat durch das Haus führen.«
Dicken stand im Aufenthaltsraum vor dem schwarzen Brett. Es war in zwei Abschnitte geteilt: eine große breite Kunststofftafel und daneben eine kleinere Pinnwand aus Kork voller angehefteter Zettel. »Mitbewohner für billige Wohnung gesucht.« »Kann jemand am nächsten Mittwoch meine Hunde vom DullesAirport abholen?
Sie sind dort in Quarantäne. Bin den ganzen Tag beschäftigt.« »Wer kennt eine gute Kindertagesstätte in Arlington?« »Mitfahrgelegenheit nach Bethesda am Montag gesucht. Am liebsten jemand aus der Stoffwechsel- oder Exkretionsgruppe. Wir müssen uns sowieso unterhalten.«
Seine Augen trübten sich. Er war erschöpft, aber als er hier den Beweis sah, dass die Sache in vollem Gang war, dass Menschen aus der ganzen Welt zusammenfanden, mit ihren Familien umzogen und ihre Lebensläufe umkrempelten, war er tief bewegt.
Freedman gab ihm einen Styroporbecher. »Er ist ganz frisch.
Wir machen guten Kaffee.«
»Harntreibend«, sagte er. »Müsste euch helfen, das Tritium loszuwerden.«
Freedman verzog das Gesicht.
»Könnt ihr die Expression schon induzieren?«
»Nein«, sagte Freedman. »Aber das verstreute ERV bei Affen ist dem SHEVA mit seinem Genom beängstigend ähnlich. Wir beweisen gerade, was wir schon immer vermutet haben: Das Zeug ist uralt. Es ist ins Genom der Affen eingedrungen, bevor wir und die Meerkatzen getrennte Wege gegangen sind.«
Dicken trank schnell den Kaffee aus und wischte sich den Mund ab. »Dann ist es eigentlich keine Krankheit«, sagte er.
»Oha! Das habe ich nicht gesagt.« Freedman nahm ihm den Becher ab und warf ihn weg. »Es wird exprimiert, es verbreitet sich, es infiziert. Es ist also eine Krankheit, ganz gleich, woher es stammt.«
»Ben Tice hat zweihundert abgestoßene Feten untersucht. Bei allen war eine große Follikelmasse vorhanden, so ähnlich wie ein Eierstock, aber nur mit etwa zwanzig Follikeln. Bei allen …«
»Ich weiß, Christopher. Höchstens drei geplatzte Follikel. Er hat mir gestern Abend den Bericht geschickt.«
»Marian, die Plazenten sind winzig, das Amnion ist nur ein dünner kleiner Sack, und nach der unglaublich leicht verlaufenden Fehlgeburt — bei vielen Frauen tut es nicht einmal weh — wird auch die Gebärmutterschleimhaut nicht abgestoßen. Es ist, als wäre die Frau immer noch schwanger.«
Freedman wurde sehr unruhig. »Bitte, Christopher …«
Zwei weitere Wissenschaftler, beides junge Schwarze, kamen herein. Sie erkannten Dicken, obwohl sie ihm noch nie begegnet waren, nickten ihm zur Begrüßung zu und gingen zum Kühlschrank hinüber. Freedman dämpfte die Stimme.
»Christopher, ich möchte nicht zwischen dir und Augustine stehen, wenn die Fetzen fliegen. Ja, du hast nachgewiesen, dass die Opfer aus Georgien SHEVA im Gewebe hatten. Aber ihre Babys waren keine missgebildeten EierstockDinger, sondern ganz normal entwickelte Feten.«
»Ich würde liebend gern einen davon genauer untersuchen.«
»Dann nimm ihn woandershin mit. Christopher, wir sind kein kriminaltechnisches Labor. Ich habe hier hundertdreiundzwanzig Leute, dreißig Meerkatzen und zwölf Schimpansen, und wir arbeiten ganz gezielt an einem Auftrag. Wir erforschen die Expression endogener Viren im Gewebe von Affen. Das ist alles.« Die letzten Worte hatte sie Dicken an der Tür leise ins Ohr geflüstert. Dann sagte sie lauter: »Komm mit, sieh dir an, wie weit wir sind.«
Sie führte Dicken durch ein Labyrinth aus Bürokabinen, jede mit eigenem kleinen Flachbildschirm ausgestattet. Unterwegs begegneten ihnen mehrere Frauen in weißen Laborkitteln und ein Techniker im grünen Overall. Es roch nach Desinfektionsmitteln, bis Marian die Stahltür zum Haupttierlabor öffnete. Dort stieg Dicken der Geruch von altem Brot — Affenfutter —, der scharfe Gestank von Urin und Kot, aber auch der Geruch von Seife und Desinfektionsmitteln in die Nase.
Sie brachte ihn in einen großen Raum mit Betonwänden, in dem drei Schimpansenweibchen lebten, jedes in einer eigenen, luftdicht verschlossenen Zelle aus Kunststoff und Stahl. Jede Zelle wurde durch ein eigenes Ventilationssystem mit Luft versorgt. In den Käfig, der ihnen am nächsten war, hatte eine Tierpflegerin eine Fixierklammer gebracht, und der Schimpanse versuchte eifrig, sich der stählernen Fessel zu entziehen. Die Tierpflegerin zog die Schrauben an, sodass die Klammer sich immer weiter schloss, und wartete mit unmelodischem Pfeifen, bis das Affenweibchen sich schließlich in sein Schicksal ergab. Die Klammer hielt es so fest, dass es fast flach da lag. Es konnte nicht mehr beißen, nur ein Arm winkte gegenüber der Seite, an der die Pflegerin ihre Arbeit verrichtete, durch die Stangen.
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