Während sie darüber redeten, nahmen sie die zerbrochene Windmühle völlig auseinander. Die Heizplatte diente gleichzeitig als Tor für das Abteil mit den Algen. Wenn sich das Tor öffnete, würden die Algen in ein Gebiet entlassen, das durch die Heizplatte etwas wärmer war als die Umgebung. Jede Windmühle diente so als Mikro-Oase; und wenn die Algen es schafften, mit ihrer Hilfe zu überleben und dann über das kleine, von der Heizplatte erwärmte Gebiet hinauswuchsen, war es gut. Falls nicht, würden sie auf dem Mars jedenfalls nicht recht gedeihen. Die Heizplatte diente für sie nur als Startplatz, nicht mehr. So etwa müssten ihre Konstrukteure gedacht haben. »Man hat uns zu Johnny Appleseeds gemacht«, sagte Arkady.
»Johnny was?«
»Eine amerikanische Volkssage.« Er erzählte ihr von dem Mann, der durch das Aussäen von Apfelkernen segensreich für sein Land gewirkt haben soll.
»Ach so. Und jetzt wird John Bunyan uns in den Hintern treten.«
»O nein. Niemals. Der Große Mann ist stärker als dieser legendäre Holzfäller, das kannst du mir glauben.«
»Der Große Mann?«
»Weißt du, alle diese Namen gelten Merkmalen der Landschaft. Die Badewanne des Großen Mannes, sein Golfplatz und was auch immer.«
»Nun ja.«
»Jedenfalls sehe ich nicht ein, weshalb wir in Schwierigkeiten geraten sollten. Wir haben nichts davon gewusst.«
»Wer wird uns das aber glauben?«
»Wahrscheinlich niemand. Diese Schufte, damit haben sie mich wirklich erwischt.«
Offenbar machte dies Arkady die meisten Sorgen. Nicht dass sie den Mars mit fremden Lebensformen kontaminiert hätten, sondern dass er von einem Geheimnis ausgeschlossen worden war. Männer waren so Ichbesessen, wenn es darum ging. Und Arkady hatte seine eigene Gruppe von Freunden gehabt, vielleicht mehr als das. Es gab Leute, die ihm in allen zustimmten, gewissermaßen Gefolgsleute. Die ganze Phobos-Crew und eine Menge der Programmierer in Underhill. Und wenn einige seiner eigenen Leute ihm etwas verheimlichten, so war das schlimm. Wenn aber eine andere Gruppe ihre eigenen Geheimpläne hatte, war das gewiss noch schlimmer; weil die mindestens Störer und vielleicht Konkurrenten waren.
So etwa schien er zu denken. Er sprach nicht viel darüber; aber es kam zum Ausdruck durch sein Gebrumm und seine plötzlichen scharfen Flüche, die echt waren, obwohl sie mit Ausbrüchen von Heiterkeit abwechselten. Er konnte sich anscheinend nicht entschließen, ob er geschmeichelt oder wütend sein sollte. Nadia glaubte schließlich, dass er beides zugleich war. So war Arkady. Er empfand die Dinge unbefangen und total, ohne sich viel Gedanken zu machen, ob das zusammenpasste. Aber sie war sich nicht allzu sicher, ob ihr seine Motive diesmal gefielen — sei es sein Ärger oder seine Heiterkeit. Und das sagte sie ihm ziemlich verwirrt.
»Na, mach schon!« schrie er. »Warum sollten sie es vor mir geheim halten, wenn es ursprünglich meine Idee war?«
»Weil sie wussten, dass ich mit dir kommen würde. Wenn sie es dir sagten, hättest du es mir erzählen müssen. Und wenn du es mir sagtest, würde ich es verhindert haben.«
Arkady lachte darüber unbändig. »Also war von ihnen schließlich doch alles wohl bedacht!«
»Quatsch!«
Die Bioingenieure, Sax, die Leute in der Abteilung, die die Dinger wirklich gebaut hatten. Jemand im Nachrichtenwesen wahrscheinlich auch … Es gab eine ganze Anzahl, die es gewusst haben mussten.
»Was ist mit Hiroko?« fragte Arkady.
Sie konnten sich nicht entscheiden. Sie wussten nicht genug von ihren Ansichten, um erraten zu können, was sie vielleicht dachte. Nadia war sich ziemlich sicher, dass sie auch dazu gehörte, konnte aber nicht erklären, warum. Sie dachte darüber nach und sagte: »Ich habe das Gefühl, es ist die Gruppe um Hiroko, das ganze Farmteam und eine hübsche Anzahl anderer, die sie respektieren und … ihr folgen. In gewisser Weise sogar Ann. Obwohl Ann sehr wütend sein wird, wenn sie davon hört. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass Hiroko von allem, was an Geheimem vor sich geht, wissen würde. Besonders, wenn es mit ökologischen Systemen zu tun hat. Schließlich arbeitet ja die Bioingenieurgruppe die meiste Zeit mit ihr zusammen; und für manche von denen ist sie wie so was wie ein weiblicher Guru. Sie verehren sie beinahe. Wahrscheinlich haben sie ihren Rat erhalten, als sie diese Algen zusammengefügt haben.«
»Hmmm …«
»Also haben sie wahrscheinlich ihre Zustimmung für diese Idee bekommen. Vielleicht sollte ich sogar sagen, ihre Erlaubnis.«
Arkady nickte. »Ich verstehe, was du meinst.«
Sie redeten endlos weiter, zerkrümelten jeden einzelnen Punkt. Das Land, über das sie kamen, flach und unbewegt, sah für Nadia jetzt anders aus. Es war besät und gedüngt. Es würde sich jetzt unausweichlich verändern. Sie sprachen über die anderen Teile der Terraformungspläne von Sax, gigantische orbitale Spiegel, die Sonnenlicht auf die Grenzgebiete der Dämmerungen lenkten, über Kohlenstaub, der über die Polkappen ausgestreut würde, aerothermale Wärme, die EisAsteroiden. Es schien, dass das alles wirklich passieren würde. Die Debatte war umgangen, die ersten irreversiblen Fakten geschaffen worden. Jetzt würden sie das Antlitz des Mars verändern.
Am zweiten Abend nach ihrer Entdeckung, als sie im Lee eines Kraters vor Anker lagen, bekamen sie einen Anruf aus Underhill, der von einem Nachrichtensatelliten übermittelt wurde. »He, ihr beiden!« sagte John Boone zur Begrüßung. »Wir haben ein Problem.«
»Ihr habt ein Problem?« entgegnete Nadia.
»Wieso, stimmt da draußen etwas nicht?«
»Nein, nein.«
»Na schön; denn in Wirklichkeit seid ihr es, auf die ein Problem zukommt. Und ich möchte nicht, dass ihr euch mit mehr als einem herumschlagen müsstet. Unten in der Claritas-Fossae-Region ist ein Staubsturm aufgekommen, und er wächst und bewegt sich ziemlich schnell nach Norden. Wir denken, dass er euch in einem Tag erreichen könnte.«
»Ist es für Staubstürme nicht etwas früh?« fragte Arkady.
»O nein, wir sind bei Ls = 240, das ist die übliche Jahreszeit dafür. Jedenfalls gibt es ihn, und er kommt in eure Richtung.«
Er übermittelte ein Satellitenfoto des Sturms, und sie studierten ihren Fernsehbildschirm eingehend. Die Gegend südlich von Tharsis war jetzt durch eine amorphe gelbe Wolke verdeckt.
»Wir sollten lieber gleich nach Hause starten«, sagte Nadia nach eingehender Betrachtung.
»Bei Nacht?«
»Wir können die Propeller nachts mit Batterien laufen lassen und diese dann morgen früh wieder aufladen. Wir werden nicht viel Sonnenlicht haben, sofern wir nicht über den Staub gelangen können.«
Nach einiger Diskussion mit John und dann mit Ann legten sie ab. Der Wind trieb sie nach Ostnordost, und bei diesem Kurs würden sie direkt zum Südhang des Olympus Mons gelangen. Sie hofften, danach um die Nordflanke von Tharsis herumzukommen, die sie wenigstens für einige Zeit vor dem Sturm schützen würde.
Bei Nacht erschien das Fliegen lauter. Das Rauschen des Windes über den Stoff der Hülle war ein fluktuierendes Stöhnen und der Klang ihrer Motoren ein jämmerliches kleines Brummen. Sie saßen im Cockpit, das nur durch schwach leuchtende grüne Instrumentenlichter erhellt war, und sprachen mit gesenkter Stimme, während sie sich über das dunkle Land in der Tiefe bewegten. Sie mussten etwa 3000 Kilometer zurücklegen bis Underhill. Das bedeutete etwa dreihundert Stunden Flugzeit. Wenn sie rund um die Uhr fuhren, wären das ungefähr zwölf Tage. Aber der Sturm würde, wenn er in dem üblichen Maße zunahm, sie lange davor erreichen. Danach … Es war schwer zu sagen, wie es gehen würde. Ohne Sonnenlicht würden die Propeller die Batterien erschöpfen und dann …
»Können wir einfach mit dem Wind treiben?« fragte Nadia. »Die Propeller für gelegentliche Richtungsschübe benutzen?«
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