Während dieser Tirade war ihr Gesicht rot angelaufen. Nadia hatte sie noch nie auch nur annähernd so wütend erlebt wie jetzt. Die gewöhnliche Tünche von Sachlichkeit, mit der sie ihren bitteren Ärger verdeckte, war dahin; und sie war fast sprachlos vor Wut und bebte. »Ich sage, das ist keine Wissenschaft! Es ist nur ein Herumspielen. Und für dieses Spiel schickt ihr euch an, diese einmalige historische Chronik zu zerstören, die Polkappen zu vernichten und die Abflußkanäle und die Böden der Canyons — eine schöne reine Landschaft unwiederbringlich zu verwüsten. Und das für überhaupt nichts!«
Im Raum war’s mäuschenstill, alle waren wie versteinert. Die Ventilatoren summten. Die Leute fingen an, einander bedächtig anzusehen. Simon machte einen Schritt auf Ann zu mit ausgestreckter Hand. Sie stoppte ihn mit einem Blick. Er hätte ebenso gut in seiner Unterwäsche hinausgegangen und steifgefroren sein können, so erstarrte er. Sein Gesicht lief rot an. Er verlor seine Haltung und setzte sich wieder hin.
Sax Russell stand auf. Er sah so aus wie immer, vielleicht etwas erhitzter als sonst, aber milde, klein, mit eulenhaftem Blinzeln und ruhiger, trockener Stimme, als ob er über einen Lehrbuchabschnitt der Thermodynamik eine Vorlesung hielte oder das Periodische System der Elemente aufsagte.
»Die Schönheit des Mars besteht im menschlichen Geist«, sagte er in diesem trockenen, sachlichen Ton, und alle starrten ihn erstaunt an. »Ohne die menschliche Präsenz ist er nur eine Ansammlung von Atomen, die sich von keinem anderen Fleck im Universum unterscheidet. Wir sind es, die ihn verstehen und ihm Sinn verleihen. Alle unsere Jahrhunderte haben wir zum Nachthimmel aufgeschaut und den Mars zwischen den Sternen wandern sehen. Alle jene Nächte haben wir ihn durch die Teleskope beobachtet, zugeschaut, eine winzige Scheibe betrachtet und versucht, Kanäle in den Veränderungen der Albedo zu erblicken. Alle diese blöden Science Fiction-Romane mit ihren Monstern und Jungfrauen und sterbenden Zivilisationen. Und all die Wissenschaftler, die die Daten erforscht haben oder uns hierher gebracht haben. Das ist es, was den Mars schön macht. Nicht der Basalt und die Oxide.«
Er machte eine Pause, um sie alle anzuschauen. Nadia schluckte. Es war höchst seltsam zu hören, wie diese Worte aus dem Mund von Sax Russell kamen, in dem gleichen trockenen Ton, den er bei der Analyse einer Datenkurve zu benutzen pflegte.
Er fuhr fort: »Jetzt, da wir hier sind, genügt es nicht, sich unter zehn Metern Boden zu verstecken und das Gestein zu untersuchen. Gewiss ist das Wissenschaft, und auch notwendige Forschung. Aber Wissenschaft ist mehr als das. Wissenschaft ist Teil eines größeren menschlichen Unterfangens; und dieses Unterfangen schließt ein, dass man zu den Sternen geht, sich anderen Planeten anpasst und diese an uns. Wissenschaft ist Schöpfung. Das Fehlen von Leben hier und das Fehlen, es in fünfzig Jahren des SETI-Programms, der Suche nach extraterrestrischen Zivilisationen, irgendwie gefunden zu haben, bezeugt, dass Leben selten ist und intelligentes Leben noch seltener. Und dennoch ist der ganze Sinn des Universums, seine Schönheit, in dem Bewusstsein intelligenten Lebens enthalten. Wir sind das Bewusstsein des Universums; und unsere Aufgabe ist es, dieses allenthalben zu verbreiten und die Dinge zu betrachten und überall zu leben, wo wir es können. Es ist zu gefährlich, das Bewusstsein des Universums auf einen einzigen Planeten beschränkt zu halten. Es könnte ausgelöscht werden. Und so sind wir jetzt auf zweien, auch dreien, wenn ihr den Erdmond mitzählt. Und wir können diesen hier verändern, um das Leben darauf sicherer zu gestalten. Verändern würde nicht heißen Zerstören. Es könnte schwieriger werden, seine Vergangenheit zu erkunden, aber seine Schönheit würde nicht vergehen. Wenn es Seen, Wälder oder Gletscher gäbe, wie minderte das die Schönheit des Mars? Ich glaube nicht, dass es das täte. Ich meine, es erhöhte sie nur. Es fügt Leben hinzu, das schönste aller Systeme. Aber nichts, was Leben tun kann, wird Tharsis herunterholen oder Marineris füllen. Mars wird immer Mars bleiben, anders als die Erde, kälter und wilder. Aber er kann Mars sein und zugleich der unsere. Und er wird es sein. Das hat der menschliche Geist so an sich: Es kann gemacht werden, und es wird gemacht werden. Wir können den Mars umwandeln und bauen, wie man eine Kathedrale erbauen würde, als ein Denkmal zugleich für die Menschheit und das Universum. Wir können das machen, also werden wir es machen. Also …« — er hielt die Hand empor, als ob er darüber befriedigt wäre, dass die Analyse durch die Daten in der Graphik bestätigt würde, als ob er das Periodische System geprüft und gefunden hätte, dass es noch gültig wäre — »… also können wir sehr wohl anfangen.«
Er sah Ann an; und alle Augen folgten ihr. Ann hatte die Lippen zusammengepresst, und ihre Schultern sanken herab. Sie wusste, dass sie geschlagen war.
Sie zuckte die Achseln, als ob sie eine Kapuze über Kopf und Rumpf zöge, einen schweren Umhang, der sie zu Boden drückte und ganz vor ihnen verbarg. Mit dem flachen stillen Ton, den sie gewöhnlich benutzte, wenn sie erregt war, sagte sie: »Ich denke, du bewertest Bewusstsein zu hoch und Gestein zu niedrig. Wir sind nicht Herren des Universums. Wir sind nur ein kleiner Teil davon. Wir mögen sein Bewusstsein sein; aber dies bedeutet nicht, alles in ein Spiegelbild von uns zu verwandeln. Es bedeutet vielmehr, sich darin einzufügen, wie es ist, und es mit unserer Achtsamkeit zu verehren.« Sie begegnete dem sanften Blick von Sax, und ein letzter Wutausbruch schoss heraus. »Du hast den Mars nie gesehen.« Und sie verließ den Raum.
Es war geplant, sie aus Luftschiffen abzuwerfen. Arkady beanspruchte sofort das Recht, deren erstes zu steuern, als eine Art von Belohnung für seine Arbeit auf Phobos. Maya und Frank waren nicht unglücklich bei dem Gedanken, dass Arkady für einen oder zwei Monate aus Underhill verschwände, und wiesen ihm gleich eines der Schiffe zu. Er würde in den vorherrschenden Winden ostwärts driften und absteigen, um Windmühlen in Kanalbetten und auf den äußeren Flanken von Kratern zu platzieren, beides Stellen, wo es oft starke Winde geben könnte. Nadia hörte erst von der Expedition, als Arkady durch die Räume zu ihr kam und davon erzählte.
»Klingt hübsch«, sagte sie. Er fragte: »Hast du Lust mitzukommen?« »O ja«, sagte sie. Ihr Geisterfinger pulsierte.
Das Lenkluftschiff war das größte, das jemals gebaut wurde, ein planetares Modell, das seinerzeit in Deutschland in Friedrichshafen konstruiert worden war. Man hatte es 2029 auf den Weg gebracht, so dass es erst kürzlich angekommen war. Es hieß Arrowhead und maß 120 Meter über die Flügel, 100 Meter von Bug bis Heck und war 40 Meter hoch. Es hatte ein inneres ultraleichtes Gerippe, Turbopropeller an jeder Flügelspitze und unter der Gondel. Diese wurden von Solarzellen angetrieben, die auf der Oberseite der Hülle untergebracht waren. Die bleistiftförmige Gondel erstreckte sich längs über den größten Teil der Unterseite, war innen aber kleiner, als Nadia erwartet hatte, weil ein großer Teil von ihr vorerst mit ihrer Ladung an Windmühlen angefüllt war. Beim Start bestand ihr freier Raum aus kaum mehr als dem Cockpit, zwei schmalen Betten, einer winzigen Küche, einer noch kleineren Toilette und dem engen Tunnel, der notwendig war, um dazwischen herumzukriechen. Es war reichlich eng, aber zum Glück hatten beide Seiten der Gondel Fenster an den Seiten; und diese boten, obwohl etwas durch Windmühlen blockiert, eine Menge Licht und gute Sicht.
Das Abheben beim Start war langsam. Arkady löste die von den drei Anlegemasten ausgehenden Taue mit dem Umlegen eines Knebels im Cockpit. Die Turboprops arbeiteten heftig, aber sie hatten es mit Luft zu tun, die nur zwölf Millibar dicht war. Das Cockpit schaukelte langsam auf und ab und bog sich mit dem inneren Gerüst. Und jeder Auf- und Abhüpfer führte etwas höher über den Boden. Für jemanden, der an Raketenstarts gewöhnt war, wirkte das komisch.
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